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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Platz durch Einschließung und der, ihn durch den gewaltsamen Angriff in Be¬
sitz zu nehmen. Dieser Stellung entsprechend ist sie diejenige Verfahrungsart,
welche in der Regel einen mittelgroßen Zeitaufwand erfordert und die Ein¬
nahme mit mittelgroßen Verlusten erkauft. Geringer wie beim gewaltsamen
Angriff sind die letztern, weil die Annäherung an die Festung bei der förm¬
lichen Belagerung gedeckt d. h. unter Schutzmaßregeln gegen das directe feind¬
liche Feuer geschieht und größer wie bei der Einschließung ist der Verlust, weil
diese außerhalb Schußweite vor sich gehen kann und an und für sich die Noth¬
wendigkeit eines Kampfes nicht erheischt. Die Arbeiten, durchweiche der Vor¬
gang gegen den Platz gedeckt wird, nehmen aber Zeit hinweg; außerdem ver¬
mögen sie nur nacheinander ausgeführt zu werden und hierauf beruhtes, wenn
eine förmliche Belagerung Wochen, ja Monate hindurch dauert, während der
gewaltsame Angriff in wenigen Stunden zum Ziele gelangt. Kürzer als die
bloße Einschließung ist ihre Dauer dann, wenn sie mit dieser Hand in Hand
geht. In Sebastopol haben wir ein Beispiel vor uns, welches darlegt, daß
eine in förmlicher Weise angegriffene Festung länger zu widerstehen vermag,
als sie der bloßen Einschließung gegenüber ohne Angriff es vermögen würde;
denn es ist klar, daß, wenn dieser Platz seit September vorigen Jahres her¬
metisch nach außen hin abgeschlossen worden wäre, die Garnison ihre Eristenz-
und ihre Vertheidigungsmittel (Pulver, nicht Eisenmunition und Geschütz)
schon längst verbraucht haben würde. Die förmliche Belagerung ist darum die
am häufigsten zur Anwendung gebrachte Form des Festungskrieges, weil sie
gegen jeden Platz anwendbar ist.*) Wie untrennbar die ältere Kriegführung
sie mit der Einschließung, für verbunden erachtete, mag der Umstand belegen,
daß vor den Kriegen, welche infolge der'großen französischen Staatsumwälzung
entstanden, der Gebrauch allgemein war und bis ins Alterthum der Römer
und Griechen zurückverfolgt werden kann, Festungen, die man förmlich be¬
lagern wollte, zuvor durch eine ringförmige Verschanzungsliuie zu umfassen,
um ihnen jede Verbindung mit außen zu verbieten. Wenn man einen Entsatz
zu fürchten hatte, fügte man dem nach innen gewendeten Ring einen concentrisch
nach außen gekehrten bei. Man nannte diese Retranchements, welche zumeist
von enormer Ausdehnung waren, Contra- und Circumvattatiouslinien und sie
genügten in der Regel, wiewol nicht immer, die Belagerung gegen Zufällig¬
keiten und unvorhergesehene störende Zwischenfälle zu sichern. Die Anordnung
der Linien insbesondere wurde durch Terrainverhältnisse bedingt. Ihrer An¬
wendung widerstrebt in gewissem Sinne unsre heutige Taktik, wie auch der
Umstand, daß ihre Ausführung selbst zur Einschließung nur mittelgroßer



Die wenigen existirenden AuSnahinsMc, Königsstein, Gibraltar beeinträchtigen
diese Behauptung nicht, zumal auch gegen sie el" formeller Angriff, freilich in sehr modißcir-
t°r Weise nicht undenkbar ist. ^l""
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Platz durch Einschließung und der, ihn durch den gewaltsamen Angriff in Be¬
sitz zu nehmen. Dieser Stellung entsprechend ist sie diejenige Verfahrungsart,
welche in der Regel einen mittelgroßen Zeitaufwand erfordert und die Ein¬
nahme mit mittelgroßen Verlusten erkauft. Geringer wie beim gewaltsamen
Angriff sind die letztern, weil die Annäherung an die Festung bei der förm¬
lichen Belagerung gedeckt d. h. unter Schutzmaßregeln gegen das directe feind¬
liche Feuer geschieht und größer wie bei der Einschließung ist der Verlust, weil
diese außerhalb Schußweite vor sich gehen kann und an und für sich die Noth¬
wendigkeit eines Kampfes nicht erheischt. Die Arbeiten, durchweiche der Vor¬
gang gegen den Platz gedeckt wird, nehmen aber Zeit hinweg; außerdem ver¬
mögen sie nur nacheinander ausgeführt zu werden und hierauf beruhtes, wenn
eine förmliche Belagerung Wochen, ja Monate hindurch dauert, während der
gewaltsame Angriff in wenigen Stunden zum Ziele gelangt. Kürzer als die
bloße Einschließung ist ihre Dauer dann, wenn sie mit dieser Hand in Hand
geht. In Sebastopol haben wir ein Beispiel vor uns, welches darlegt, daß
eine in förmlicher Weise angegriffene Festung länger zu widerstehen vermag,
als sie der bloßen Einschließung gegenüber ohne Angriff es vermögen würde;
denn es ist klar, daß, wenn dieser Platz seit September vorigen Jahres her¬
metisch nach außen hin abgeschlossen worden wäre, die Garnison ihre Eristenz-
und ihre Vertheidigungsmittel (Pulver, nicht Eisenmunition und Geschütz)
schon längst verbraucht haben würde. Die förmliche Belagerung ist darum die
am häufigsten zur Anwendung gebrachte Form des Festungskrieges, weil sie
gegen jeden Platz anwendbar ist.*) Wie untrennbar die ältere Kriegführung
sie mit der Einschließung, für verbunden erachtete, mag der Umstand belegen,
daß vor den Kriegen, welche infolge der'großen französischen Staatsumwälzung
entstanden, der Gebrauch allgemein war und bis ins Alterthum der Römer
und Griechen zurückverfolgt werden kann, Festungen, die man förmlich be¬
lagern wollte, zuvor durch eine ringförmige Verschanzungsliuie zu umfassen,
um ihnen jede Verbindung mit außen zu verbieten. Wenn man einen Entsatz
zu fürchten hatte, fügte man dem nach innen gewendeten Ring einen concentrisch
nach außen gekehrten bei. Man nannte diese Retranchements, welche zumeist
von enormer Ausdehnung waren, Contra- und Circumvattatiouslinien und sie
genügten in der Regel, wiewol nicht immer, die Belagerung gegen Zufällig¬
keiten und unvorhergesehene störende Zwischenfälle zu sichern. Die Anordnung
der Linien insbesondere wurde durch Terrainverhältnisse bedingt. Ihrer An¬
wendung widerstrebt in gewissem Sinne unsre heutige Taktik, wie auch der
Umstand, daß ihre Ausführung selbst zur Einschließung nur mittelgroßer



Die wenigen existirenden AuSnahinsMc, Königsstein, Gibraltar beeinträchtigen
diese Behauptung nicht, zumal auch gegen sie el» formeller Angriff, freilich in sehr modißcir-
t°r Weise nicht undenkbar ist. ^l""
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[0227] Platz durch Einschließung und der, ihn durch den gewaltsamen Angriff in Be¬ sitz zu nehmen. Dieser Stellung entsprechend ist sie diejenige Verfahrungsart, welche in der Regel einen mittelgroßen Zeitaufwand erfordert und die Ein¬ nahme mit mittelgroßen Verlusten erkauft. Geringer wie beim gewaltsamen Angriff sind die letztern, weil die Annäherung an die Festung bei der förm¬ lichen Belagerung gedeckt d. h. unter Schutzmaßregeln gegen das directe feind¬ liche Feuer geschieht und größer wie bei der Einschließung ist der Verlust, weil diese außerhalb Schußweite vor sich gehen kann und an und für sich die Noth¬ wendigkeit eines Kampfes nicht erheischt. Die Arbeiten, durchweiche der Vor¬ gang gegen den Platz gedeckt wird, nehmen aber Zeit hinweg; außerdem ver¬ mögen sie nur nacheinander ausgeführt zu werden und hierauf beruhtes, wenn eine förmliche Belagerung Wochen, ja Monate hindurch dauert, während der gewaltsame Angriff in wenigen Stunden zum Ziele gelangt. Kürzer als die bloße Einschließung ist ihre Dauer dann, wenn sie mit dieser Hand in Hand geht. In Sebastopol haben wir ein Beispiel vor uns, welches darlegt, daß eine in förmlicher Weise angegriffene Festung länger zu widerstehen vermag, als sie der bloßen Einschließung gegenüber ohne Angriff es vermögen würde; denn es ist klar, daß, wenn dieser Platz seit September vorigen Jahres her¬ metisch nach außen hin abgeschlossen worden wäre, die Garnison ihre Eristenz- und ihre Vertheidigungsmittel (Pulver, nicht Eisenmunition und Geschütz) schon längst verbraucht haben würde. Die förmliche Belagerung ist darum die am häufigsten zur Anwendung gebrachte Form des Festungskrieges, weil sie gegen jeden Platz anwendbar ist.*) Wie untrennbar die ältere Kriegführung sie mit der Einschließung, für verbunden erachtete, mag der Umstand belegen, daß vor den Kriegen, welche infolge der'großen französischen Staatsumwälzung entstanden, der Gebrauch allgemein war und bis ins Alterthum der Römer und Griechen zurückverfolgt werden kann, Festungen, die man förmlich be¬ lagern wollte, zuvor durch eine ringförmige Verschanzungsliuie zu umfassen, um ihnen jede Verbindung mit außen zu verbieten. Wenn man einen Entsatz zu fürchten hatte, fügte man dem nach innen gewendeten Ring einen concentrisch nach außen gekehrten bei. Man nannte diese Retranchements, welche zumeist von enormer Ausdehnung waren, Contra- und Circumvattatiouslinien und sie genügten in der Regel, wiewol nicht immer, die Belagerung gegen Zufällig¬ keiten und unvorhergesehene störende Zwischenfälle zu sichern. Die Anordnung der Linien insbesondere wurde durch Terrainverhältnisse bedingt. Ihrer An¬ wendung widerstrebt in gewissem Sinne unsre heutige Taktik, wie auch der Umstand, daß ihre Ausführung selbst zur Einschließung nur mittelgroßer Die wenigen existirenden AuSnahinsMc, Königsstein, Gibraltar beeinträchtigen diese Behauptung nicht, zumal auch gegen sie el» formeller Angriff, freilich in sehr modißcir- t°r Weise nicht undenkbar ist. ^l"" 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/227>, abgerufen am 16.05.2024.