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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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nicht ganz glücklich zu nennen ist, als er nur zu excentrischen, wilden Gemüths-
zuständen Veranlassung gibt, so ist ooch in der Ausführung eine wirkliche und
ungewöhnliche Poesie nicht zu verkennen, die selbst den krampfhaften Zuckungen
der Leidenschaft den Schein eines gesetzmäßigen Lebens verleiht. Um die Na¬
turkraft des Zigeunerlebens zu schildern, hat sich die Verfasserin von der Nach¬
ahmung der empirischen Natur ganz entfernt gehalten und dieses höchst bedenk¬
liche Unternehmen ist ihr wirklich bis zu einem gewissen Grade gelungen. --
Auch der zweite Roman streift ans Excentrische. Eine der Hauptpersonen ist
ein indischer Prinz, dessen wilde, leidenschaftliche Natur zu den ungewöhnlich¬
sten Thaten treibt; aber dies Mal ist der Stoff ganz realistisch behandelt, mit
einem großen Geschick die Aufmerksamkeit und Spannung zu erregen und da¬
bei mit einem leidlichen Vorrath von gesundem Menschenverstand. Einige
Male geht der Verfasser mit seinen Schilderungen zu sehr in die Breite und
stört dadurch den natürlichen Fluß der Geschichte. -- Die lustigen Soldaten¬
geschichten von Lever sind allgemein bekannt und beliebt. In dem gegenwär¬
tigen Roman entfernt sich der Verfasser aus dem gewöhnlichen Schauplatz
seiner Schilderungen, aus Irland, und vertieft sich in den bunten Schicksals-
. Wechsel der französischen Revolution, von der Schreckensherrschaft bis zur Ver-
heirathung Napoleons mit der Kaisertochter. Die Erzählung ist eine der
brillantesten des talentvollen Verfassers und wird ein dankbares Publicum
finden. -- Der Roman: "die Lewell-Weiden" ist ganz naturalistischer Art. Es
ist das Aeußere der amerikanischen Zustände geschildert, ohne eine sehr erheb¬
liche humoristische Kraft. -- Die Legenden des Westens sind kleine amerikanische
Originalgeschichten von verschiedener Färbung, aber meistens gut und ansprechend
erzählt. --

Eversburg. Ein Roman von Mathilde Raven. Drei Bände. Hannover,
Rümpler. --''

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Die Verfasserin hat sich schon durch ihre beiden früheren Romane: Eine
Familie aus der ersten Gesellschaft, und: Welt und Wahrheit, einen verdienten
Beifall erworben, wenn sich auch ihre Schilderungen im Ganzen nur auf der
Oberfläche des Lebens bewegen. Das gegenwärtige Werk theilt die Vorzüge
der früheren und hat dabei den Vortheil einer geschickteren Technik. Zu jenen
Vorzügen rechnen wir einmal die solide, gewissenhafte Arbeit, die nichts un-
motivirt läßt und alles streng und gründlich prüft, und die Gesundheit und
Tüchtigkeit des Urtheils. Der letztere Vorzug würde in gesunden Zeiten nicht
viel sagen, in unsrer Zeit aber, wo die Romanschreiber meistens darauf aus¬
gehen, verschrobene Personen auftreten zu lassen, und wo sie selbst zum Theil
das Gefühl für den Unterschied des Anständigen und Unanständigen fast ganz
verloren haben, ist ein solches Verdienst sehr hoch anzuschlagen. Die Ver-


nicht ganz glücklich zu nennen ist, als er nur zu excentrischen, wilden Gemüths-
zuständen Veranlassung gibt, so ist ooch in der Ausführung eine wirkliche und
ungewöhnliche Poesie nicht zu verkennen, die selbst den krampfhaften Zuckungen
der Leidenschaft den Schein eines gesetzmäßigen Lebens verleiht. Um die Na¬
turkraft des Zigeunerlebens zu schildern, hat sich die Verfasserin von der Nach¬
ahmung der empirischen Natur ganz entfernt gehalten und dieses höchst bedenk¬
liche Unternehmen ist ihr wirklich bis zu einem gewissen Grade gelungen. —
Auch der zweite Roman streift ans Excentrische. Eine der Hauptpersonen ist
ein indischer Prinz, dessen wilde, leidenschaftliche Natur zu den ungewöhnlich¬
sten Thaten treibt; aber dies Mal ist der Stoff ganz realistisch behandelt, mit
einem großen Geschick die Aufmerksamkeit und Spannung zu erregen und da¬
bei mit einem leidlichen Vorrath von gesundem Menschenverstand. Einige
Male geht der Verfasser mit seinen Schilderungen zu sehr in die Breite und
stört dadurch den natürlichen Fluß der Geschichte. — Die lustigen Soldaten¬
geschichten von Lever sind allgemein bekannt und beliebt. In dem gegenwär¬
tigen Roman entfernt sich der Verfasser aus dem gewöhnlichen Schauplatz
seiner Schilderungen, aus Irland, und vertieft sich in den bunten Schicksals-
. Wechsel der französischen Revolution, von der Schreckensherrschaft bis zur Ver-
heirathung Napoleons mit der Kaisertochter. Die Erzählung ist eine der
brillantesten des talentvollen Verfassers und wird ein dankbares Publicum
finden. — Der Roman: „die Lewell-Weiden" ist ganz naturalistischer Art. Es
ist das Aeußere der amerikanischen Zustände geschildert, ohne eine sehr erheb¬
liche humoristische Kraft. — Die Legenden des Westens sind kleine amerikanische
Originalgeschichten von verschiedener Färbung, aber meistens gut und ansprechend
erzählt. —

Eversburg. Ein Roman von Mathilde Raven. Drei Bände. Hannover,
Rümpler. —''

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Die Verfasserin hat sich schon durch ihre beiden früheren Romane: Eine
Familie aus der ersten Gesellschaft, und: Welt und Wahrheit, einen verdienten
Beifall erworben, wenn sich auch ihre Schilderungen im Ganzen nur auf der
Oberfläche des Lebens bewegen. Das gegenwärtige Werk theilt die Vorzüge
der früheren und hat dabei den Vortheil einer geschickteren Technik. Zu jenen
Vorzügen rechnen wir einmal die solide, gewissenhafte Arbeit, die nichts un-
motivirt läßt und alles streng und gründlich prüft, und die Gesundheit und
Tüchtigkeit des Urtheils. Der letztere Vorzug würde in gesunden Zeiten nicht
viel sagen, in unsrer Zeit aber, wo die Romanschreiber meistens darauf aus¬
gehen, verschrobene Personen auftreten zu lassen, und wo sie selbst zum Theil
das Gefühl für den Unterschied des Anständigen und Unanständigen fast ganz
verloren haben, ist ein solches Verdienst sehr hoch anzuschlagen. Die Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/232>, abgerufen am 22.05.2024.