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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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ist gradezu ein komischer Spaß; -- sondern die Tradition übte einigen Ein¬
fluß. Vielleicht erklärt sich daraus auch die auffallende Erscheinung, daß die
beschreibende Musik immer den Worten vorangeht, da doch die Wirkung besser
erreicht würde, wenn man vorher erführe, was die Musik bedeuten solle. Denn
in der Oper geht im begleitenden Recitativ die Musik dem Wort, weil sie die
Stimmung ausdrückt, dem dasselbe entspringt, als Vorbereitung --
Wem nun diese Art zu scherzen mit der Würde des Oratoriums und des
Gegenstandes nicht wohl vereinbar scheint, dem kann man vielleicht zu be¬
denken geben, daß diese Art des Oratoriums keine Kirchenmusik ist noch sein
will, vielleicht darf man anch fragen, ob denn das Bauermädchen aus der
Dorfgeschichte, das auf die Frage des Pfarrers, wie man Gott dienen solle,
herzhaft antwortete: Lustig! so unbedingt Unrecht habe. Haydn wenigstens
wäre das ans der Seele gesprochen gewesen.

Es war interessant mit den so oft vornehm belächelten Tonmalereien
Haydns die neuerer Componisten zu vergleichen. Mendelssohns Ouver¬
türe Meeresstille und glückliche Fahrt ist ganz darauf gebauet. Die
sinnlichen Eindrücke, welche das so verschiedenartig modificirte Rauschen von
Wind und Wellen, das rührige Treiben auf dem Schiff auf ein musikalisches
Ohr machen, haben auf die Conception dieses Musikstücks mindestens ebenso
großen Einfluß gehabt als das Goethesche Gedicht, daS ja dieselben Erschei¬
nungen poetisch aufgefaßt wiedergibt. Auch hier haben sie nur den Impuls
zu den Motiven hergegeben, welche den Gesetzen der Kunst gemäß zu einem
Ganzen verarbeitet sind, welches der Ausdruck eines innerlich Erlebten, einer
echten Stimmung ist. Die in der Natur gegebenen Elemente sind auf eine
geistreiche Weise benutzt, und ebensowol der sinnliche Eindruck treffend wieder¬
gegeben alö die Stimmung ihren einsprechenden Ausdruck darin findet. Bei¬
des ist auf die schönste Weise z. B. in der StelK erreicht, wo durch das leise
Geplätscher der Wellen, die das ruhig hingleitende Schiff umspielen, eine
sehnsüchtige Melodie hindurchdringt: wer je auf der See gewesen ist, muß die
tief poetische Wahrheit im Ausdruck empfinden. Dagegen fällt der Schluß
mit den Kanonenschüssen der Pauken und der Trompetenfanfare aus der idealen
Haltung in die materiellste Wirklichkeit, und auf einen Scherz ist man durch
nichts vorbereitet. Auch Schumanns Paradies und Perl ist reich an an¬
ziehenden Tonmalereien; daß sie, während die in der Schöpfung aus der Natur¬
geschichte entnommen sind, mehr der Geographie angehören, ändert sowenig
etwas am Wesen derselben, als daß sie mehr phantastisch sind, wie das die
Natur des Stoffes bedingt. Denn die Geister des Nils hat freilich niemand
gehört, sowenig als das Läuten der Glöckchen an Allahs Thron und doch
ist in ihrer Darstellung eine so vollständige Tonmalerei, wie wenn in der
Schlacht das Schwirren der Pfeile ausgedrückt ist, und selbst der drückende


ist gradezu ein komischer Spaß; — sondern die Tradition übte einigen Ein¬
fluß. Vielleicht erklärt sich daraus auch die auffallende Erscheinung, daß die
beschreibende Musik immer den Worten vorangeht, da doch die Wirkung besser
erreicht würde, wenn man vorher erführe, was die Musik bedeuten solle. Denn
in der Oper geht im begleitenden Recitativ die Musik dem Wort, weil sie die
Stimmung ausdrückt, dem dasselbe entspringt, als Vorbereitung —
Wem nun diese Art zu scherzen mit der Würde des Oratoriums und des
Gegenstandes nicht wohl vereinbar scheint, dem kann man vielleicht zu be¬
denken geben, daß diese Art des Oratoriums keine Kirchenmusik ist noch sein
will, vielleicht darf man anch fragen, ob denn das Bauermädchen aus der
Dorfgeschichte, das auf die Frage des Pfarrers, wie man Gott dienen solle,
herzhaft antwortete: Lustig! so unbedingt Unrecht habe. Haydn wenigstens
wäre das ans der Seele gesprochen gewesen.

Es war interessant mit den so oft vornehm belächelten Tonmalereien
Haydns die neuerer Componisten zu vergleichen. Mendelssohns Ouver¬
türe Meeresstille und glückliche Fahrt ist ganz darauf gebauet. Die
sinnlichen Eindrücke, welche das so verschiedenartig modificirte Rauschen von
Wind und Wellen, das rührige Treiben auf dem Schiff auf ein musikalisches
Ohr machen, haben auf die Conception dieses Musikstücks mindestens ebenso
großen Einfluß gehabt als das Goethesche Gedicht, daS ja dieselben Erschei¬
nungen poetisch aufgefaßt wiedergibt. Auch hier haben sie nur den Impuls
zu den Motiven hergegeben, welche den Gesetzen der Kunst gemäß zu einem
Ganzen verarbeitet sind, welches der Ausdruck eines innerlich Erlebten, einer
echten Stimmung ist. Die in der Natur gegebenen Elemente sind auf eine
geistreiche Weise benutzt, und ebensowol der sinnliche Eindruck treffend wieder¬
gegeben alö die Stimmung ihren einsprechenden Ausdruck darin findet. Bei¬
des ist auf die schönste Weise z. B. in der StelK erreicht, wo durch das leise
Geplätscher der Wellen, die das ruhig hingleitende Schiff umspielen, eine
sehnsüchtige Melodie hindurchdringt: wer je auf der See gewesen ist, muß die
tief poetische Wahrheit im Ausdruck empfinden. Dagegen fällt der Schluß
mit den Kanonenschüssen der Pauken und der Trompetenfanfare aus der idealen
Haltung in die materiellste Wirklichkeit, und auf einen Scherz ist man durch
nichts vorbereitet. Auch Schumanns Paradies und Perl ist reich an an¬
ziehenden Tonmalereien; daß sie, während die in der Schöpfung aus der Natur¬
geschichte entnommen sind, mehr der Geographie angehören, ändert sowenig
etwas am Wesen derselben, als daß sie mehr phantastisch sind, wie das die
Natur des Stoffes bedingt. Denn die Geister des Nils hat freilich niemand
gehört, sowenig als das Läuten der Glöckchen an Allahs Thron und doch
ist in ihrer Darstellung eine so vollständige Tonmalerei, wie wenn in der
Schlacht das Schwirren der Pfeile ausgedrückt ist, und selbst der drückende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/24>, abgerufen am 16.05.2024.