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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Staatsanleihen zu machen, welche den Grund zu der später so riesenhaft ange¬
wachsenen Staatsschuld legten. Nach dem Beispiele seines Vaterlandes Hol¬
land stellt er als unwandelbares Princip auf, daß der Staat zu allen Zeiten,
mochten seine Verlegenheiten auch noch so groß sein, seinen Verbindlichkeiten
gegen seine Gläubiger auf das strengste nachkommen müßte. Dies war da¬
mals noch ein neuer Grundsatz und in andern Staaten, wie z. B. in Frank¬
reich, hat man noch bis Ende des vergangenen Jahrhunderts die versprochenen
Zinsen willkürlich heruntergesetzt. Dafür hat aber auch England vorzugsweise
vor allen andern Staaten selbst in den Zeiten seiner größten Bedrängnisse stets
Credit gehabt und z'u gleicher Zeit wurde es dadurch ermöglicht, solche Staats¬
papiere zu einem Gegenstand des Handelsgeschäfts zu machen, wodurch es
wieder dem Staat, der sie ausstellte, gegen früher unendlich erleichtert wurde,
in Zeiten der Noth Geld aufzunehmen.

Ehe jedoch dieser Staatspapierhandel entstand, bildeten ganz andre Effecten
den Gegenstand der Börsenspekulation. 1634 waren alle Speculanten von
Amsterdam, von London und Paris in fieberhafter Bewegung. Man speculirte
in Tulpenzwiebeln. "Eine Zeitlang," erzählt Mr. Francis "gewann alle Welt
und niemand verlor, wie dies gewöhnlich ist. Arme Teufel wurden reich.
Groß und Klein handelte mit Tulpenzwiebeln. Die Geschäfte erhielten ihren
Abschluß durch kostbare Vergnügungspartien. Die Notare wurden reich und
der phlegmatische Holländer glaubte eine unversiegbare Quelle des Reichthums
entdeckt zu haben. Personen jeden Standes verwandelten ihre Habe in klingende
Münze. Man verkaufte Haus und Hof zu den schmachvollsten Preisen. Jeder¬
mann war überzeugt, daß die Leidenschaft für Tulpen von ewiger Dauer sein
würde. Auf die Nachricht, daß das Fieber auch andre Länder angesteckt hatte,
überredete man sich, daß die Reichthümer der ganzen Welt an dem Ufer des,
Zuidersees zusammenströmen müßten." ^Während dieses Fiebers bezahlte man
die Tulpenzwiebel mit ein- bis zweitausend Gulden; man gab Pferde, Wagen,
Zwölf Acker Land für eine Zwiebel. Aber plötzlich zog sich das Vertrauen
Von den Zwiebeln zurück; niemand kümmerte sich mehr um sie. Wer schönen
Hausrath, schöne Pferde und Wagen und schöne Landgüter sür nichts bekommen
hatte, behielt sie. Die Zwiebelbesitzer dagegen mochten immer Versammlungen
zusammenberufen und dekretiren, daß die Tulpen noch ganz ihren frühern Werth
besäßen und daß die Zeiten ihres Mißcredits vorübergehen würden. Es half alles
nichts, die Tulpenzwiebel hatte aufgehört die Börse zu regieren. Ihr folgten in
England die Südseeactien, in Frankreich die Mississtppiactien und die Schwinde¬
leien Laws. Das Mississippiunternehmen stand im December in seiner
höchsten Blüte, die Actien hatten mehr als das Zwanzigfache ihres ursprüng¬
lichen Werthes erreicht. Die Straße Quincampoir, wo sich die Speculanten
von Paris versammelten, war vom Sonnenaufgang an von einer geschäftigen


Staatsanleihen zu machen, welche den Grund zu der später so riesenhaft ange¬
wachsenen Staatsschuld legten. Nach dem Beispiele seines Vaterlandes Hol¬
land stellt er als unwandelbares Princip auf, daß der Staat zu allen Zeiten,
mochten seine Verlegenheiten auch noch so groß sein, seinen Verbindlichkeiten
gegen seine Gläubiger auf das strengste nachkommen müßte. Dies war da¬
mals noch ein neuer Grundsatz und in andern Staaten, wie z. B. in Frank¬
reich, hat man noch bis Ende des vergangenen Jahrhunderts die versprochenen
Zinsen willkürlich heruntergesetzt. Dafür hat aber auch England vorzugsweise
vor allen andern Staaten selbst in den Zeiten seiner größten Bedrängnisse stets
Credit gehabt und z'u gleicher Zeit wurde es dadurch ermöglicht, solche Staats¬
papiere zu einem Gegenstand des Handelsgeschäfts zu machen, wodurch es
wieder dem Staat, der sie ausstellte, gegen früher unendlich erleichtert wurde,
in Zeiten der Noth Geld aufzunehmen.

Ehe jedoch dieser Staatspapierhandel entstand, bildeten ganz andre Effecten
den Gegenstand der Börsenspekulation. 1634 waren alle Speculanten von
Amsterdam, von London und Paris in fieberhafter Bewegung. Man speculirte
in Tulpenzwiebeln. „Eine Zeitlang," erzählt Mr. Francis „gewann alle Welt
und niemand verlor, wie dies gewöhnlich ist. Arme Teufel wurden reich.
Groß und Klein handelte mit Tulpenzwiebeln. Die Geschäfte erhielten ihren
Abschluß durch kostbare Vergnügungspartien. Die Notare wurden reich und
der phlegmatische Holländer glaubte eine unversiegbare Quelle des Reichthums
entdeckt zu haben. Personen jeden Standes verwandelten ihre Habe in klingende
Münze. Man verkaufte Haus und Hof zu den schmachvollsten Preisen. Jeder¬
mann war überzeugt, daß die Leidenschaft für Tulpen von ewiger Dauer sein
würde. Auf die Nachricht, daß das Fieber auch andre Länder angesteckt hatte,
überredete man sich, daß die Reichthümer der ganzen Welt an dem Ufer des,
Zuidersees zusammenströmen müßten." ^Während dieses Fiebers bezahlte man
die Tulpenzwiebel mit ein- bis zweitausend Gulden; man gab Pferde, Wagen,
Zwölf Acker Land für eine Zwiebel. Aber plötzlich zog sich das Vertrauen
Von den Zwiebeln zurück; niemand kümmerte sich mehr um sie. Wer schönen
Hausrath, schöne Pferde und Wagen und schöne Landgüter sür nichts bekommen
hatte, behielt sie. Die Zwiebelbesitzer dagegen mochten immer Versammlungen
zusammenberufen und dekretiren, daß die Tulpen noch ganz ihren frühern Werth
besäßen und daß die Zeiten ihres Mißcredits vorübergehen würden. Es half alles
nichts, die Tulpenzwiebel hatte aufgehört die Börse zu regieren. Ihr folgten in
England die Südseeactien, in Frankreich die Mississtppiactien und die Schwinde¬
leien Laws. Das Mississippiunternehmen stand im December in seiner
höchsten Blüte, die Actien hatten mehr als das Zwanzigfache ihres ursprüng¬
lichen Werthes erreicht. Die Straße Quincampoir, wo sich die Speculanten
von Paris versammelten, war vom Sonnenaufgang an von einer geschäftigen


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[0263] Staatsanleihen zu machen, welche den Grund zu der später so riesenhaft ange¬ wachsenen Staatsschuld legten. Nach dem Beispiele seines Vaterlandes Hol¬ land stellt er als unwandelbares Princip auf, daß der Staat zu allen Zeiten, mochten seine Verlegenheiten auch noch so groß sein, seinen Verbindlichkeiten gegen seine Gläubiger auf das strengste nachkommen müßte. Dies war da¬ mals noch ein neuer Grundsatz und in andern Staaten, wie z. B. in Frank¬ reich, hat man noch bis Ende des vergangenen Jahrhunderts die versprochenen Zinsen willkürlich heruntergesetzt. Dafür hat aber auch England vorzugsweise vor allen andern Staaten selbst in den Zeiten seiner größten Bedrängnisse stets Credit gehabt und z'u gleicher Zeit wurde es dadurch ermöglicht, solche Staats¬ papiere zu einem Gegenstand des Handelsgeschäfts zu machen, wodurch es wieder dem Staat, der sie ausstellte, gegen früher unendlich erleichtert wurde, in Zeiten der Noth Geld aufzunehmen. Ehe jedoch dieser Staatspapierhandel entstand, bildeten ganz andre Effecten den Gegenstand der Börsenspekulation. 1634 waren alle Speculanten von Amsterdam, von London und Paris in fieberhafter Bewegung. Man speculirte in Tulpenzwiebeln. „Eine Zeitlang," erzählt Mr. Francis „gewann alle Welt und niemand verlor, wie dies gewöhnlich ist. Arme Teufel wurden reich. Groß und Klein handelte mit Tulpenzwiebeln. Die Geschäfte erhielten ihren Abschluß durch kostbare Vergnügungspartien. Die Notare wurden reich und der phlegmatische Holländer glaubte eine unversiegbare Quelle des Reichthums entdeckt zu haben. Personen jeden Standes verwandelten ihre Habe in klingende Münze. Man verkaufte Haus und Hof zu den schmachvollsten Preisen. Jeder¬ mann war überzeugt, daß die Leidenschaft für Tulpen von ewiger Dauer sein würde. Auf die Nachricht, daß das Fieber auch andre Länder angesteckt hatte, überredete man sich, daß die Reichthümer der ganzen Welt an dem Ufer des, Zuidersees zusammenströmen müßten." ^Während dieses Fiebers bezahlte man die Tulpenzwiebel mit ein- bis zweitausend Gulden; man gab Pferde, Wagen, Zwölf Acker Land für eine Zwiebel. Aber plötzlich zog sich das Vertrauen Von den Zwiebeln zurück; niemand kümmerte sich mehr um sie. Wer schönen Hausrath, schöne Pferde und Wagen und schöne Landgüter sür nichts bekommen hatte, behielt sie. Die Zwiebelbesitzer dagegen mochten immer Versammlungen zusammenberufen und dekretiren, daß die Tulpen noch ganz ihren frühern Werth besäßen und daß die Zeiten ihres Mißcredits vorübergehen würden. Es half alles nichts, die Tulpenzwiebel hatte aufgehört die Börse zu regieren. Ihr folgten in England die Südseeactien, in Frankreich die Mississtppiactien und die Schwinde¬ leien Laws. Das Mississippiunternehmen stand im December in seiner höchsten Blüte, die Actien hatten mehr als das Zwanzigfache ihres ursprüng¬ lichen Werthes erreicht. Die Straße Quincampoir, wo sich die Speculanten von Paris versammelten, war vom Sonnenaufgang an von einer geschäftigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/263>, abgerufen am 22.05.2024.