Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Abrede stellen, daß diese Operationslinie viele Vortheile bietet, indeß zweifle ich
ernstlich an ihrer Benutzbarkeit. Seichtes Wasser, außerdem russische Strandbatterien
und Versenkungen werden muthmaßlich unübersteigliche Hindernisse in den Weg
legen.

Einen zweiten seewärtigen Weg nach dem nämlichen Object bietet der Golf
von Pcrekop, eine weite Einbucht des Euxin, dar. Indeß weiß man, daß die
Tiefe dieser Bai dermaßen gering ist, daß man mit dem seichtesten Nachen in der
Nähe des Ufers nicht mehr fortzukommen vermag.

Mitten inne zwischen beiden auf Perekop führenden Seestraßen liegt die
Halbinsel Krim selbst und zwar ihre von Steppen erfüllte Nordhälfte. Durch
diese öden Flächen führen etwa sechs Wege hindurch, von denen der zwischen
Eupatoria und dem Isthmus allein in Betracht kommt. Es kann wol nicht die
Rede davon sein, auf diesem Pfade das Gros der Armee nach Perekop zu schaffen,
wenn man sich gleichzeitig nicht eines der beiden andern (maritimen) Wege behufs
der Verpflegung versichert hat, denn jeder sieht ein, wie ein Heer, welches von
Eupatoria durch die Steppen aus Perekop marschirte, seinen Train den Russen
rückwärts zur Beute lassen müßte und es ist klar, daß diesem Uebelstande durch
etwaige etapenweise Befestigungen nicht abgeholfen werden kann.

Schließlich wiederhole ich, wie alle diese Erwägungen auf einen Angriffsplan
hinweisen, welcher Eupatoria zum Ausgangspunkt und die russische Armee zum näch¬
sten und hauptsächlichsten Object nimmt. Es ist dies eine Aufgabe sür den dem-
ncichstigen Nachfolger des Generals Pelisster.

Wie Sie Sich vielleicht erinnern werden, habe ich von jeher die
Ansicht festgehalten, daß in jedwedem Kriege zwischen der Pforte und Rußland
der astatische Schauplatz lediglich als ein secundäres Kriegstheater, dagegen die
Donau und Balkangegend, mit einem Worte Bulgarien und Rumelien als der
Entscheidungsraum angesehen werden muß. Mit dem Rückgang der russischen Heere
aus den unteren Donauländern, verlor mithin ihr Kampf gegen die Pforte den
Charakter jener ernsten Entschiedenheit, der mit jedem Vorgehen aus der Haupt¬
operationslinie verbunden ist, denn was in Asien auch eintreten mochte, focht das
Dasein des türkischen Reiches nicht an, weil letztlich ein Vorgehen von dieser Fronte
her auf das Centrum des Reiches, am Bosporus, nicht denkbar ist.

In dieser Ueberzeugung habe ich die Nachricht von dem Vormarsch der Russen
aus Kars, und die spätere, von der eröffneten Belagerung hingenommen, was in¬
deß nicht soviel sagen soll, daß diese Operationen unwichtig und der gespanntesten
Aufmerksamkeit der Allianzmächte nicht werth seien. Vor allem scheint mir Eng¬
land diejenige, deren Interessen durch die russische Offensive am meisten angetastet
werden, im Grnnde genommen mehr wie die der Pforte selbst, denn für letztere
handelt es sich bei dem etwaigen Verlust von Kars nur um die Einbuße eines un¬
schwer zu verschmerzenden Ejalets, beim weiteren Vorrücken des Feindes um den
eines zweiten und dritten; dagegen wird England durch die Vorrückung der russi¬
schen Grenze in dieser Richtung ganz entschieden der in Zukunft wichtigste
Weg nach Innerasien streitig gemacht und eine der vielleicht schon nach einem


Abrede stellen, daß diese Operationslinie viele Vortheile bietet, indeß zweifle ich
ernstlich an ihrer Benutzbarkeit. Seichtes Wasser, außerdem russische Strandbatterien
und Versenkungen werden muthmaßlich unübersteigliche Hindernisse in den Weg
legen.

Einen zweiten seewärtigen Weg nach dem nämlichen Object bietet der Golf
von Pcrekop, eine weite Einbucht des Euxin, dar. Indeß weiß man, daß die
Tiefe dieser Bai dermaßen gering ist, daß man mit dem seichtesten Nachen in der
Nähe des Ufers nicht mehr fortzukommen vermag.

Mitten inne zwischen beiden auf Perekop führenden Seestraßen liegt die
Halbinsel Krim selbst und zwar ihre von Steppen erfüllte Nordhälfte. Durch
diese öden Flächen führen etwa sechs Wege hindurch, von denen der zwischen
Eupatoria und dem Isthmus allein in Betracht kommt. Es kann wol nicht die
Rede davon sein, auf diesem Pfade das Gros der Armee nach Perekop zu schaffen,
wenn man sich gleichzeitig nicht eines der beiden andern (maritimen) Wege behufs
der Verpflegung versichert hat, denn jeder sieht ein, wie ein Heer, welches von
Eupatoria durch die Steppen aus Perekop marschirte, seinen Train den Russen
rückwärts zur Beute lassen müßte und es ist klar, daß diesem Uebelstande durch
etwaige etapenweise Befestigungen nicht abgeholfen werden kann.

Schließlich wiederhole ich, wie alle diese Erwägungen auf einen Angriffsplan
hinweisen, welcher Eupatoria zum Ausgangspunkt und die russische Armee zum näch¬
sten und hauptsächlichsten Object nimmt. Es ist dies eine Aufgabe sür den dem-
ncichstigen Nachfolger des Generals Pelisster.

Wie Sie Sich vielleicht erinnern werden, habe ich von jeher die
Ansicht festgehalten, daß in jedwedem Kriege zwischen der Pforte und Rußland
der astatische Schauplatz lediglich als ein secundäres Kriegstheater, dagegen die
Donau und Balkangegend, mit einem Worte Bulgarien und Rumelien als der
Entscheidungsraum angesehen werden muß. Mit dem Rückgang der russischen Heere
aus den unteren Donauländern, verlor mithin ihr Kampf gegen die Pforte den
Charakter jener ernsten Entschiedenheit, der mit jedem Vorgehen aus der Haupt¬
operationslinie verbunden ist, denn was in Asien auch eintreten mochte, focht das
Dasein des türkischen Reiches nicht an, weil letztlich ein Vorgehen von dieser Fronte
her auf das Centrum des Reiches, am Bosporus, nicht denkbar ist.

In dieser Ueberzeugung habe ich die Nachricht von dem Vormarsch der Russen
aus Kars, und die spätere, von der eröffneten Belagerung hingenommen, was in¬
deß nicht soviel sagen soll, daß diese Operationen unwichtig und der gespanntesten
Aufmerksamkeit der Allianzmächte nicht werth seien. Vor allem scheint mir Eng¬
land diejenige, deren Interessen durch die russische Offensive am meisten angetastet
werden, im Grnnde genommen mehr wie die der Pforte selbst, denn für letztere
handelt es sich bei dem etwaigen Verlust von Kars nur um die Einbuße eines un¬
schwer zu verschmerzenden Ejalets, beim weiteren Vorrücken des Feindes um den
eines zweiten und dritten; dagegen wird England durch die Vorrückung der russi¬
schen Grenze in dieser Richtung ganz entschieden der in Zukunft wichtigste
Weg nach Innerasien streitig gemacht und eine der vielleicht schon nach einem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100207"/>
            <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837"> Abrede stellen, daß diese Operationslinie viele Vortheile bietet, indeß zweifle ich<lb/>
ernstlich an ihrer Benutzbarkeit. Seichtes Wasser, außerdem russische Strandbatterien<lb/>
und Versenkungen werden muthmaßlich unübersteigliche Hindernisse in den Weg<lb/>
legen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_839"> Einen zweiten seewärtigen Weg nach dem nämlichen Object bietet der Golf<lb/>
von Pcrekop, eine weite Einbucht des Euxin, dar. Indeß weiß man, daß die<lb/>
Tiefe dieser Bai dermaßen gering ist, daß man mit dem seichtesten Nachen in der<lb/>
Nähe des Ufers nicht mehr fortzukommen vermag.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_840"> Mitten inne zwischen beiden auf Perekop führenden Seestraßen liegt die<lb/>
Halbinsel Krim selbst und zwar ihre von Steppen erfüllte Nordhälfte. Durch<lb/>
diese öden Flächen führen etwa sechs Wege hindurch, von denen der zwischen<lb/>
Eupatoria und dem Isthmus allein in Betracht kommt. Es kann wol nicht die<lb/>
Rede davon sein, auf diesem Pfade das Gros der Armee nach Perekop zu schaffen,<lb/>
wenn man sich gleichzeitig nicht eines der beiden andern (maritimen) Wege behufs<lb/>
der Verpflegung versichert hat, denn jeder sieht ein, wie ein Heer, welches von<lb/>
Eupatoria durch die Steppen aus Perekop marschirte, seinen Train den Russen<lb/>
rückwärts zur Beute lassen müßte und es ist klar, daß diesem Uebelstande durch<lb/>
etwaige etapenweise Befestigungen nicht abgeholfen werden kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_841"> Schließlich wiederhole ich, wie alle diese Erwägungen auf einen Angriffsplan<lb/>
hinweisen, welcher Eupatoria zum Ausgangspunkt und die russische Armee zum näch¬<lb/>
sten und hauptsächlichsten Object nimmt. Es ist dies eine Aufgabe sür den dem-<lb/>
ncichstigen Nachfolger des Generals Pelisster.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_842"> Wie Sie Sich vielleicht erinnern werden, habe ich von jeher die<lb/>
Ansicht festgehalten, daß in jedwedem Kriege zwischen der Pforte und Rußland<lb/>
der astatische Schauplatz lediglich als ein secundäres Kriegstheater, dagegen die<lb/>
Donau und Balkangegend, mit einem Worte Bulgarien und Rumelien als der<lb/>
Entscheidungsraum angesehen werden muß. Mit dem Rückgang der russischen Heere<lb/>
aus den unteren Donauländern, verlor mithin ihr Kampf gegen die Pforte den<lb/>
Charakter jener ernsten Entschiedenheit, der mit jedem Vorgehen aus der Haupt¬<lb/>
operationslinie verbunden ist, denn was in Asien auch eintreten mochte, focht das<lb/>
Dasein des türkischen Reiches nicht an, weil letztlich ein Vorgehen von dieser Fronte<lb/>
her auf das Centrum des Reiches, am Bosporus, nicht denkbar ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_843" next="#ID_844"> In dieser Ueberzeugung habe ich die Nachricht von dem Vormarsch der Russen<lb/>
aus Kars, und die spätere, von der eröffneten Belagerung hingenommen, was in¬<lb/>
deß nicht soviel sagen soll, daß diese Operationen unwichtig und der gespanntesten<lb/>
Aufmerksamkeit der Allianzmächte nicht werth seien. Vor allem scheint mir Eng¬<lb/>
land diejenige, deren Interessen durch die russische Offensive am meisten angetastet<lb/>
werden, im Grnnde genommen mehr wie die der Pforte selbst, denn für letztere<lb/>
handelt es sich bei dem etwaigen Verlust von Kars nur um die Einbuße eines un¬<lb/>
schwer zu verschmerzenden Ejalets, beim weiteren Vorrücken des Feindes um den<lb/>
eines zweiten und dritten; dagegen wird England durch die Vorrückung der russi¬<lb/>
schen Grenze in dieser Richtung ganz entschieden der in Zukunft wichtigste<lb/>
Weg nach Innerasien streitig gemacht und eine der vielleicht schon nach einem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Abrede stellen, daß diese Operationslinie viele Vortheile bietet, indeß zweifle ich ernstlich an ihrer Benutzbarkeit. Seichtes Wasser, außerdem russische Strandbatterien und Versenkungen werden muthmaßlich unübersteigliche Hindernisse in den Weg legen. Einen zweiten seewärtigen Weg nach dem nämlichen Object bietet der Golf von Pcrekop, eine weite Einbucht des Euxin, dar. Indeß weiß man, daß die Tiefe dieser Bai dermaßen gering ist, daß man mit dem seichtesten Nachen in der Nähe des Ufers nicht mehr fortzukommen vermag. Mitten inne zwischen beiden auf Perekop führenden Seestraßen liegt die Halbinsel Krim selbst und zwar ihre von Steppen erfüllte Nordhälfte. Durch diese öden Flächen führen etwa sechs Wege hindurch, von denen der zwischen Eupatoria und dem Isthmus allein in Betracht kommt. Es kann wol nicht die Rede davon sein, auf diesem Pfade das Gros der Armee nach Perekop zu schaffen, wenn man sich gleichzeitig nicht eines der beiden andern (maritimen) Wege behufs der Verpflegung versichert hat, denn jeder sieht ein, wie ein Heer, welches von Eupatoria durch die Steppen aus Perekop marschirte, seinen Train den Russen rückwärts zur Beute lassen müßte und es ist klar, daß diesem Uebelstande durch etwaige etapenweise Befestigungen nicht abgeholfen werden kann. Schließlich wiederhole ich, wie alle diese Erwägungen auf einen Angriffsplan hinweisen, welcher Eupatoria zum Ausgangspunkt und die russische Armee zum näch¬ sten und hauptsächlichsten Object nimmt. Es ist dies eine Aufgabe sür den dem- ncichstigen Nachfolger des Generals Pelisster. Wie Sie Sich vielleicht erinnern werden, habe ich von jeher die Ansicht festgehalten, daß in jedwedem Kriege zwischen der Pforte und Rußland der astatische Schauplatz lediglich als ein secundäres Kriegstheater, dagegen die Donau und Balkangegend, mit einem Worte Bulgarien und Rumelien als der Entscheidungsraum angesehen werden muß. Mit dem Rückgang der russischen Heere aus den unteren Donauländern, verlor mithin ihr Kampf gegen die Pforte den Charakter jener ernsten Entschiedenheit, der mit jedem Vorgehen aus der Haupt¬ operationslinie verbunden ist, denn was in Asien auch eintreten mochte, focht das Dasein des türkischen Reiches nicht an, weil letztlich ein Vorgehen von dieser Fronte her auf das Centrum des Reiches, am Bosporus, nicht denkbar ist. In dieser Ueberzeugung habe ich die Nachricht von dem Vormarsch der Russen aus Kars, und die spätere, von der eröffneten Belagerung hingenommen, was in¬ deß nicht soviel sagen soll, daß diese Operationen unwichtig und der gespanntesten Aufmerksamkeit der Allianzmächte nicht werth seien. Vor allem scheint mir Eng¬ land diejenige, deren Interessen durch die russische Offensive am meisten angetastet werden, im Grnnde genommen mehr wie die der Pforte selbst, denn für letztere handelt es sich bei dem etwaigen Verlust von Kars nur um die Einbuße eines un¬ schwer zu verschmerzenden Ejalets, beim weiteren Vorrücken des Feindes um den eines zweiten und dritten; dagegen wird England durch die Vorrückung der russi¬ schen Grenze in dieser Richtung ganz entschieden der in Zukunft wichtigste Weg nach Innerasien streitig gemacht und eine der vielleicht schon nach einem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/287>, abgerufen am 17.06.2024.