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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Position, sei es innerhalb der Peripherie des Vertheidigungskreises, oder näher
an dessenCentrum heran, zu bemächtigen, durch deren Wegnahme die Defensive
gelähmt und genöthigt wird, nicht allein, wie dies in der Feldschlacht nach der
erlittenen Niederlage geschieht, das Feld zu räumen, sondern ihre Kräfte und
Hilfsmittel dem Angreifer auszuliefern. Es ist diese letztliche Gefangengebung
eine Consequenz der vorausgegangenen Einschließung, und wenn moderne
Festungen, welche im weiten Umfange von detaschirten Forts umzogen sind,
sich gegen jene dadurch gesichert finden, so werden sie dem förmlichen Angriff
gegenüber aus dem für sie bestehenden günstigen Verhältniß selbst im un¬
glücklichsten Fall, dem des Durchbruchs ihrer Enceinte, mindestens den Vor¬
theil ziehen können, daß ihre Besatzung nicht kriegsgefangen zu werden braucht,
sondern, als eine nicht eingeschlossene, Auswege zum schließlichen Abzug sich
offen erhält.

Als solche entscheidende Position, durch deren Besitznahme der Fall des Platzes
unfehlbar herbeigeführt wurde, galt noch in den großen napoleonischen Kriegen
jedweder Theil der Hauptenceinte der Festung, bei kleineren Plätzen ein ein¬
faches Logement*) hinter der Bresche, sofern nur die Möglichkeit vorlag, von
hier aus die übrigen Fronten in den Rücken zu nehmen. Die Belagerungs-
operativnen, welche mit der Bastrung vor der Festung begannen, schlössen da¬
her gemeiniglich mit der Herstellung der ersten Bresche im Hauptwall. Moder¬
nen Plätzen gegenüber ist die Sachlage insofern eine andere, als' hier gemeinig¬
lich eine innere Vertheidigung, mindestens eine Abschnittsdefensive, vorbereitet
ist; außerdem aber die neueren Festungen auch bei Herstellung ihrer Haupt¬
enceinte dem Princip der Theilselbstständigkeit Rechnung getragen zu haben
Pflegen, dergestalt, daß mit dem Durchbruch durch eine Fronte eben nur diese
allein geschlagen ist, alle anderen aber, weil im Rücken defensibel, zu weiterem
Widerstande befähigt sind. Der Angriff mußte jedem modernen Platze gegen¬
über am letztlichen Erfolge verzweifeln, wenn eben diese Theilselbstständigkeit
einen so energischen Widerstand nach geschehenem Durchbruch einer Fronte er¬
möglichte, als vorher. Erfahrungen sind darüber bis jetzt noch nicht gemacht
worden, aber die meisten Verhältnisse, von denen wir wissen, daß sie dabei in
Frage kommen werden, sprechen gegen solche Möglichkeit.

Es ist der Unterschied zwischen dem förmlichen Angriff und dem gewalt¬
samen oder dem Sturm, daß letzterer ohne weitere Vorbereitungen seine
Massen auf die einzunehmende Position hin dirigirt Und den Wall durch Lei¬
tern ersteigen läßt, ersterer dagegen vor allem das feindliche Geschützfeuer
durch Vernichtung der feindlichen Artillerie und durch Zerstörung ihrer Scharten
Zum Schweigen zu bringen bemüht und gleichzeitig bestrebt ist, gedeckte An-



*) Logement d. h. Verdauung, Abschnitt.

Position, sei es innerhalb der Peripherie des Vertheidigungskreises, oder näher
an dessenCentrum heran, zu bemächtigen, durch deren Wegnahme die Defensive
gelähmt und genöthigt wird, nicht allein, wie dies in der Feldschlacht nach der
erlittenen Niederlage geschieht, das Feld zu räumen, sondern ihre Kräfte und
Hilfsmittel dem Angreifer auszuliefern. Es ist diese letztliche Gefangengebung
eine Consequenz der vorausgegangenen Einschließung, und wenn moderne
Festungen, welche im weiten Umfange von detaschirten Forts umzogen sind,
sich gegen jene dadurch gesichert finden, so werden sie dem förmlichen Angriff
gegenüber aus dem für sie bestehenden günstigen Verhältniß selbst im un¬
glücklichsten Fall, dem des Durchbruchs ihrer Enceinte, mindestens den Vor¬
theil ziehen können, daß ihre Besatzung nicht kriegsgefangen zu werden braucht,
sondern, als eine nicht eingeschlossene, Auswege zum schließlichen Abzug sich
offen erhält.

Als solche entscheidende Position, durch deren Besitznahme der Fall des Platzes
unfehlbar herbeigeführt wurde, galt noch in den großen napoleonischen Kriegen
jedweder Theil der Hauptenceinte der Festung, bei kleineren Plätzen ein ein¬
faches Logement*) hinter der Bresche, sofern nur die Möglichkeit vorlag, von
hier aus die übrigen Fronten in den Rücken zu nehmen. Die Belagerungs-
operativnen, welche mit der Bastrung vor der Festung begannen, schlössen da¬
her gemeiniglich mit der Herstellung der ersten Bresche im Hauptwall. Moder¬
nen Plätzen gegenüber ist die Sachlage insofern eine andere, als' hier gemeinig¬
lich eine innere Vertheidigung, mindestens eine Abschnittsdefensive, vorbereitet
ist; außerdem aber die neueren Festungen auch bei Herstellung ihrer Haupt¬
enceinte dem Princip der Theilselbstständigkeit Rechnung getragen zu haben
Pflegen, dergestalt, daß mit dem Durchbruch durch eine Fronte eben nur diese
allein geschlagen ist, alle anderen aber, weil im Rücken defensibel, zu weiterem
Widerstande befähigt sind. Der Angriff mußte jedem modernen Platze gegen¬
über am letztlichen Erfolge verzweifeln, wenn eben diese Theilselbstständigkeit
einen so energischen Widerstand nach geschehenem Durchbruch einer Fronte er¬
möglichte, als vorher. Erfahrungen sind darüber bis jetzt noch nicht gemacht
worden, aber die meisten Verhältnisse, von denen wir wissen, daß sie dabei in
Frage kommen werden, sprechen gegen solche Möglichkeit.

Es ist der Unterschied zwischen dem förmlichen Angriff und dem gewalt¬
samen oder dem Sturm, daß letzterer ohne weitere Vorbereitungen seine
Massen auf die einzunehmende Position hin dirigirt Und den Wall durch Lei¬
tern ersteigen läßt, ersterer dagegen vor allem das feindliche Geschützfeuer
durch Vernichtung der feindlichen Artillerie und durch Zerstörung ihrer Scharten
Zum Schweigen zu bringen bemüht und gleichzeitig bestrebt ist, gedeckte An-



*) Logement d. h. Verdauung, Abschnitt.
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[0303] Position, sei es innerhalb der Peripherie des Vertheidigungskreises, oder näher an dessenCentrum heran, zu bemächtigen, durch deren Wegnahme die Defensive gelähmt und genöthigt wird, nicht allein, wie dies in der Feldschlacht nach der erlittenen Niederlage geschieht, das Feld zu räumen, sondern ihre Kräfte und Hilfsmittel dem Angreifer auszuliefern. Es ist diese letztliche Gefangengebung eine Consequenz der vorausgegangenen Einschließung, und wenn moderne Festungen, welche im weiten Umfange von detaschirten Forts umzogen sind, sich gegen jene dadurch gesichert finden, so werden sie dem förmlichen Angriff gegenüber aus dem für sie bestehenden günstigen Verhältniß selbst im un¬ glücklichsten Fall, dem des Durchbruchs ihrer Enceinte, mindestens den Vor¬ theil ziehen können, daß ihre Besatzung nicht kriegsgefangen zu werden braucht, sondern, als eine nicht eingeschlossene, Auswege zum schließlichen Abzug sich offen erhält. Als solche entscheidende Position, durch deren Besitznahme der Fall des Platzes unfehlbar herbeigeführt wurde, galt noch in den großen napoleonischen Kriegen jedweder Theil der Hauptenceinte der Festung, bei kleineren Plätzen ein ein¬ faches Logement*) hinter der Bresche, sofern nur die Möglichkeit vorlag, von hier aus die übrigen Fronten in den Rücken zu nehmen. Die Belagerungs- operativnen, welche mit der Bastrung vor der Festung begannen, schlössen da¬ her gemeiniglich mit der Herstellung der ersten Bresche im Hauptwall. Moder¬ nen Plätzen gegenüber ist die Sachlage insofern eine andere, als' hier gemeinig¬ lich eine innere Vertheidigung, mindestens eine Abschnittsdefensive, vorbereitet ist; außerdem aber die neueren Festungen auch bei Herstellung ihrer Haupt¬ enceinte dem Princip der Theilselbstständigkeit Rechnung getragen zu haben Pflegen, dergestalt, daß mit dem Durchbruch durch eine Fronte eben nur diese allein geschlagen ist, alle anderen aber, weil im Rücken defensibel, zu weiterem Widerstande befähigt sind. Der Angriff mußte jedem modernen Platze gegen¬ über am letztlichen Erfolge verzweifeln, wenn eben diese Theilselbstständigkeit einen so energischen Widerstand nach geschehenem Durchbruch einer Fronte er¬ möglichte, als vorher. Erfahrungen sind darüber bis jetzt noch nicht gemacht worden, aber die meisten Verhältnisse, von denen wir wissen, daß sie dabei in Frage kommen werden, sprechen gegen solche Möglichkeit. Es ist der Unterschied zwischen dem förmlichen Angriff und dem gewalt¬ samen oder dem Sturm, daß letzterer ohne weitere Vorbereitungen seine Massen auf die einzunehmende Position hin dirigirt Und den Wall durch Lei¬ tern ersteigen läßt, ersterer dagegen vor allem das feindliche Geschützfeuer durch Vernichtung der feindlichen Artillerie und durch Zerstörung ihrer Scharten Zum Schweigen zu bringen bemüht und gleichzeitig bestrebt ist, gedeckte An- *) Logement d. h. Verdauung, Abschnitt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/303>, abgerufen am 15.05.2024.