Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

als das Ritornell der Vellinischen Arie begann, dachte man vor Trivialität
umkommen zu müssen; allein die vollendete Kunst der Sängerin verstand es,
auch dieser Armseligkeit Leben und Seele zu geben. So mußte auch der Vor¬
trag eines Liedes in diesem Local und in dieser Umgebung wenig angemessen
erscheinen, und noch dazu hat das Lied ("Die Sterne schaun in stiller Nacht")
eine stärkere Dosis Sentimentalität als billig ist; und doch, als es geendigt
war, blieb einem nur übrig mit Zelter auszurufen: "Vivat Genius uno hol
der Teufel die Kritik!" Daß das Entzücken des Publicums in stürmischem
Beifall, Tusch, Blumen und Gedichten sich äußerte, war nur in der Ordnung,
uno ebenso, daß Frau Goldschmidt die Begehrlichkeit der Zuhörer, die sich unter
stets erneuten Bravos versteckte, ignorirte und kein zweites Lied sang. Neben
ihr behauptete auch dies Mal Herr Schneider ehrenvoll seinen Platz; er hatte
sich die Arie aus der Zauberflöte gewählt, die seiner Stimme durchaus
zusagt, und die er in würdiger Weise vortrug: der verdiente Beifall ließ nicht
auf sich warten. Herr Mitterwurzer sang die Arie des Trift an aus
Iessonda, die an ihrem Platz in der Oper von guter Wirkung, aber für
das Concert kaum geeignet ist; auch war der Vortrag nicht schön und nicht fein.

Als Jnstrumentalvirtuosen traten Herr Goldschmidt und Herr Concert-
meister David auf. Daß dieser nach den unaufhörlichen Anstrengungen der
letzten Tage, die kaum auf einem andern mehr gelastet hatten als aus ihm,
noch bereit war ein Solo zu spielen und dies in einer Weise durchführte als
wäre es seine einzige Leistung, verdiente alle Bewunderung. Er hatte das
neue Concert von Rietz gewählt. So waren durch Mendelssohn, Nietz,
Hiller, Schumann die Meister vertreten, welche in Düsseldorf ihren Wir¬
kungskreis gesunden hatten: eine Reihe von Künstlern, auf welche diese Stadt
stolz sein kann. Herr Goldschmidt spielte Beethovens Concert in <^ein-'.
Die Wahl dieser tüchtigen und bedeutenden Musikstücke machte ihrem künst¬
lerischen Sinn Ehre, obwol sie ihnen in diesem langen und überreichen Concert
dem Publicum gegenüber, das für längere Compositionen nicht mehr die rechte
Aufmerksamkeit zu haben schien, keinen leichten Stand machten. Denn beide
Compositionen sind nicht von der Art, daß sie den Beifall Heraussordern, das
Publicum mit Lebhaftigkeit zwingen aus sich herauszugehen, sondern vielmehr
eine gewisse Sammlung und Ruhe voraussetzen, die mit stiller Achtsamkeit dem
Componisten folgt. Der Ruf beider^Herren als ausübender Künstler ist so
Itcher begründet, daß er der erneuten Anerkennung, welche beiden in vollem
Maße zu Theil wurde, nicht bedürfte.

Nicht weniger als drei Ouvertüren brachte dies Concert. Die Oberon-
ouverture von Weber eröffnete dasselbe; sie wurde vortrefflich gespielt und
elektrisirte das Publicum. Man kann an derselben gar manches mit vollem
Recht auszusetzen haben, doch ist ein gewisser Zug darin, der unwiderstehlich


als das Ritornell der Vellinischen Arie begann, dachte man vor Trivialität
umkommen zu müssen; allein die vollendete Kunst der Sängerin verstand es,
auch dieser Armseligkeit Leben und Seele zu geben. So mußte auch der Vor¬
trag eines Liedes in diesem Local und in dieser Umgebung wenig angemessen
erscheinen, und noch dazu hat das Lied („Die Sterne schaun in stiller Nacht")
eine stärkere Dosis Sentimentalität als billig ist; und doch, als es geendigt
war, blieb einem nur übrig mit Zelter auszurufen: „Vivat Genius uno hol
der Teufel die Kritik!" Daß das Entzücken des Publicums in stürmischem
Beifall, Tusch, Blumen und Gedichten sich äußerte, war nur in der Ordnung,
uno ebenso, daß Frau Goldschmidt die Begehrlichkeit der Zuhörer, die sich unter
stets erneuten Bravos versteckte, ignorirte und kein zweites Lied sang. Neben
ihr behauptete auch dies Mal Herr Schneider ehrenvoll seinen Platz; er hatte
sich die Arie aus der Zauberflöte gewählt, die seiner Stimme durchaus
zusagt, und die er in würdiger Weise vortrug: der verdiente Beifall ließ nicht
auf sich warten. Herr Mitterwurzer sang die Arie des Trift an aus
Iessonda, die an ihrem Platz in der Oper von guter Wirkung, aber für
das Concert kaum geeignet ist; auch war der Vortrag nicht schön und nicht fein.

Als Jnstrumentalvirtuosen traten Herr Goldschmidt und Herr Concert-
meister David auf. Daß dieser nach den unaufhörlichen Anstrengungen der
letzten Tage, die kaum auf einem andern mehr gelastet hatten als aus ihm,
noch bereit war ein Solo zu spielen und dies in einer Weise durchführte als
wäre es seine einzige Leistung, verdiente alle Bewunderung. Er hatte das
neue Concert von Rietz gewählt. So waren durch Mendelssohn, Nietz,
Hiller, Schumann die Meister vertreten, welche in Düsseldorf ihren Wir¬
kungskreis gesunden hatten: eine Reihe von Künstlern, auf welche diese Stadt
stolz sein kann. Herr Goldschmidt spielte Beethovens Concert in <^ein-'.
Die Wahl dieser tüchtigen und bedeutenden Musikstücke machte ihrem künst¬
lerischen Sinn Ehre, obwol sie ihnen in diesem langen und überreichen Concert
dem Publicum gegenüber, das für längere Compositionen nicht mehr die rechte
Aufmerksamkeit zu haben schien, keinen leichten Stand machten. Denn beide
Compositionen sind nicht von der Art, daß sie den Beifall Heraussordern, das
Publicum mit Lebhaftigkeit zwingen aus sich herauszugehen, sondern vielmehr
eine gewisse Sammlung und Ruhe voraussetzen, die mit stiller Achtsamkeit dem
Componisten folgt. Der Ruf beider^Herren als ausübender Künstler ist so
Itcher begründet, daß er der erneuten Anerkennung, welche beiden in vollem
Maße zu Theil wurde, nicht bedürfte.

Nicht weniger als drei Ouvertüren brachte dies Concert. Die Oberon-
ouverture von Weber eröffnete dasselbe; sie wurde vortrefflich gespielt und
elektrisirte das Publicum. Man kann an derselben gar manches mit vollem
Recht auszusetzen haben, doch ist ein gewisser Zug darin, der unwiderstehlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99951"/>
          <p xml:id="ID_56" prev="#ID_55"> als das Ritornell der Vellinischen Arie begann, dachte man vor Trivialität<lb/>
umkommen zu müssen; allein die vollendete Kunst der Sängerin verstand es,<lb/>
auch dieser Armseligkeit Leben und Seele zu geben. So mußte auch der Vor¬<lb/>
trag eines Liedes in diesem Local und in dieser Umgebung wenig angemessen<lb/>
erscheinen, und noch dazu hat das Lied (&#x201E;Die Sterne schaun in stiller Nacht")<lb/>
eine stärkere Dosis Sentimentalität als billig ist; und doch, als es geendigt<lb/>
war, blieb einem nur übrig mit Zelter auszurufen: &#x201E;Vivat Genius uno hol<lb/>
der Teufel die Kritik!" Daß das Entzücken des Publicums in stürmischem<lb/>
Beifall, Tusch, Blumen und Gedichten sich äußerte, war nur in der Ordnung,<lb/>
uno ebenso, daß Frau Goldschmidt die Begehrlichkeit der Zuhörer, die sich unter<lb/>
stets erneuten Bravos versteckte, ignorirte und kein zweites Lied sang. Neben<lb/>
ihr behauptete auch dies Mal Herr Schneider ehrenvoll seinen Platz; er hatte<lb/>
sich die Arie aus der Zauberflöte gewählt, die seiner Stimme durchaus<lb/>
zusagt, und die er in würdiger Weise vortrug: der verdiente Beifall ließ nicht<lb/>
auf sich warten. Herr Mitterwurzer sang die Arie des Trift an aus<lb/>
Iessonda, die an ihrem Platz in der Oper von guter Wirkung, aber für<lb/>
das Concert kaum geeignet ist; auch war der Vortrag nicht schön und nicht fein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_57"> Als Jnstrumentalvirtuosen traten Herr Goldschmidt und Herr Concert-<lb/>
meister David auf. Daß dieser nach den unaufhörlichen Anstrengungen der<lb/>
letzten Tage, die kaum auf einem andern mehr gelastet hatten als aus ihm,<lb/>
noch bereit war ein Solo zu spielen und dies in einer Weise durchführte als<lb/>
wäre es seine einzige Leistung, verdiente alle Bewunderung. Er hatte das<lb/>
neue Concert von Rietz gewählt. So waren durch Mendelssohn, Nietz,<lb/>
Hiller, Schumann die Meister vertreten, welche in Düsseldorf ihren Wir¬<lb/>
kungskreis gesunden hatten: eine Reihe von Künstlern, auf welche diese Stadt<lb/>
stolz sein kann. Herr Goldschmidt spielte Beethovens Concert in &lt;^ein-'.<lb/>
Die Wahl dieser tüchtigen und bedeutenden Musikstücke machte ihrem künst¬<lb/>
lerischen Sinn Ehre, obwol sie ihnen in diesem langen und überreichen Concert<lb/>
dem Publicum gegenüber, das für längere Compositionen nicht mehr die rechte<lb/>
Aufmerksamkeit zu haben schien, keinen leichten Stand machten. Denn beide<lb/>
Compositionen sind nicht von der Art, daß sie den Beifall Heraussordern, das<lb/>
Publicum mit Lebhaftigkeit zwingen aus sich herauszugehen, sondern vielmehr<lb/>
eine gewisse Sammlung und Ruhe voraussetzen, die mit stiller Achtsamkeit dem<lb/>
Componisten folgt. Der Ruf beider^Herren als ausübender Künstler ist so<lb/>
Itcher begründet, daß er der erneuten Anerkennung, welche beiden in vollem<lb/>
Maße zu Theil wurde, nicht bedürfte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_58" next="#ID_59"> Nicht weniger als drei Ouvertüren brachte dies Concert. Die Oberon-<lb/>
ouverture von Weber eröffnete dasselbe; sie wurde vortrefflich gespielt und<lb/>
elektrisirte das Publicum. Man kann an derselben gar manches mit vollem<lb/>
Recht auszusetzen haben, doch ist ein gewisser Zug darin, der unwiderstehlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] als das Ritornell der Vellinischen Arie begann, dachte man vor Trivialität umkommen zu müssen; allein die vollendete Kunst der Sängerin verstand es, auch dieser Armseligkeit Leben und Seele zu geben. So mußte auch der Vor¬ trag eines Liedes in diesem Local und in dieser Umgebung wenig angemessen erscheinen, und noch dazu hat das Lied („Die Sterne schaun in stiller Nacht") eine stärkere Dosis Sentimentalität als billig ist; und doch, als es geendigt war, blieb einem nur übrig mit Zelter auszurufen: „Vivat Genius uno hol der Teufel die Kritik!" Daß das Entzücken des Publicums in stürmischem Beifall, Tusch, Blumen und Gedichten sich äußerte, war nur in der Ordnung, uno ebenso, daß Frau Goldschmidt die Begehrlichkeit der Zuhörer, die sich unter stets erneuten Bravos versteckte, ignorirte und kein zweites Lied sang. Neben ihr behauptete auch dies Mal Herr Schneider ehrenvoll seinen Platz; er hatte sich die Arie aus der Zauberflöte gewählt, die seiner Stimme durchaus zusagt, und die er in würdiger Weise vortrug: der verdiente Beifall ließ nicht auf sich warten. Herr Mitterwurzer sang die Arie des Trift an aus Iessonda, die an ihrem Platz in der Oper von guter Wirkung, aber für das Concert kaum geeignet ist; auch war der Vortrag nicht schön und nicht fein. Als Jnstrumentalvirtuosen traten Herr Goldschmidt und Herr Concert- meister David auf. Daß dieser nach den unaufhörlichen Anstrengungen der letzten Tage, die kaum auf einem andern mehr gelastet hatten als aus ihm, noch bereit war ein Solo zu spielen und dies in einer Weise durchführte als wäre es seine einzige Leistung, verdiente alle Bewunderung. Er hatte das neue Concert von Rietz gewählt. So waren durch Mendelssohn, Nietz, Hiller, Schumann die Meister vertreten, welche in Düsseldorf ihren Wir¬ kungskreis gesunden hatten: eine Reihe von Künstlern, auf welche diese Stadt stolz sein kann. Herr Goldschmidt spielte Beethovens Concert in <^ein-'. Die Wahl dieser tüchtigen und bedeutenden Musikstücke machte ihrem künst¬ lerischen Sinn Ehre, obwol sie ihnen in diesem langen und überreichen Concert dem Publicum gegenüber, das für längere Compositionen nicht mehr die rechte Aufmerksamkeit zu haben schien, keinen leichten Stand machten. Denn beide Compositionen sind nicht von der Art, daß sie den Beifall Heraussordern, das Publicum mit Lebhaftigkeit zwingen aus sich herauszugehen, sondern vielmehr eine gewisse Sammlung und Ruhe voraussetzen, die mit stiller Achtsamkeit dem Componisten folgt. Der Ruf beider^Herren als ausübender Künstler ist so Itcher begründet, daß er der erneuten Anerkennung, welche beiden in vollem Maße zu Theil wurde, nicht bedürfte. Nicht weniger als drei Ouvertüren brachte dies Concert. Die Oberon- ouverture von Weber eröffnete dasselbe; sie wurde vortrefflich gespielt und elektrisirte das Publicum. Man kann an derselben gar manches mit vollem Recht auszusetzen haben, doch ist ein gewisser Zug darin, der unwiderstehlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/31>, abgerufen am 22.05.2024.