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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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jeder Luftzug, als fürchte er sich vor den brennenden Geschossen, den Athem
anhält, sind die Jnseleinwohner lauter Unruhe und Geschäftigkeit, lauter Sorge
und Arbeit, um den vielseitigen Bedürfnissen der Badegäste gerecht zu werden;
und mancher ehrliche Norderneyer, mancher redliche Seewolf wünscht die Fremd¬
linge, die alljährlich zur Mittsommerzeit seine Insel überströmen, mit einem
kräftigen Fluche in das Land, wo der Pfeffer wächst.

Es ist sonderbar; der Norderneyer selbst hat keinen Glauben an die Heil¬
kraft des Seebades, und es fällt ihm nicht ein, der Gesundheit wegen oder
auch nur zur Annehmlichkeit sich in die Flut zu tauchen.

Der Raum zwischen dem Festland" und der Insel heißt das Watt; eine
trübe einförmige Wasserfläche, mäßig bewegt, ohne eigentlichen Wellenschlag.
Zur Zeit der Ebbe kann man zu Wagen Hindurchsahren. Gewöhnlich bringt
indessen ein Schiff die Badegäste herüber. Wenn das Segelboot oder
Dampfschiff sich dem feuchtblitzenden Strande bis auf hundert Schritt ge¬
nähert hat, nimmt ein Leiterwagen die Passagiere auf. Am Landungsplatze
werden die neuen Ankömmlinge von den Badegästen begrüßt und kritistrt;
hinter dem Conversationshause verläßt man wohl durchgeschüttelt die Leiter¬
wagen, um sich eine Wohnung auszusuchen.

Das saubere Jnseldorf, aus der Südwestseite des Eilandes gelegen, zählt
206 Wohnhäuser, alle sehr reinlich von rothen Backsteinen auferbaut, die im
Innern ziemlich gleichartig und sehr einfach eingerichtet sind. Während der
Badezeit ziehen sich die Insulaner in die Küche des Hauses zurück, und ver-
miethen die vorderen Räume an Fremde.

Bekanntlich gilt Lichtenberg als der Erfinder des Gedankens, am deutschen
Nordseestrande eine Badeanstalt zu begründen. Er war es, der im Jahre
1793 zuerst öffentlich anfragte, weshalb Deutschland noch kein Nordseebad be¬
sitze? Dies war gleich nach seiner Rückkehr aus England; der geistreiche
Commentator Hogarths hatte dort wohleingerichtete, vielbesuchte Seebäder
gefunden und er that durch Schrift und Wort das Seinige, in Deutschland
die Begründung ähnlicher Heilanstalten zu veranlassen. Indessen war ein
Jnselbewohner, der Pastor Janus auf der Insel Juist, der nie in England
gewesen und schwerlich jemals davon gehört, daß dort bereits Seebadeanstalten
beständen, schon früher als Lichtenberg für die Begründung eines deutschen
Seebades thätig gewesen. Zehn Jahre vor Lichtenberg hatte dieser Geistliche,
im Jahre -1782, eine Borstellung an die ostfriesische Provinzialregierung gerich¬
tet, worin er seine praktischen Beobachtungen und Erfahrungen niedergelegt hatte
und auf Grund derselben die Einrichtung einer Seebadeanstalt in Vorschlag
brachte. Aber der wohlwollende Prediger hatte seinen Antrag zu gründlich
motivirt. In der Begeisterung sür die Ausführung seines Planes hatte er
alles Mögliche zu Gunsten seines Projects angeführt und unter andern auch


jeder Luftzug, als fürchte er sich vor den brennenden Geschossen, den Athem
anhält, sind die Jnseleinwohner lauter Unruhe und Geschäftigkeit, lauter Sorge
und Arbeit, um den vielseitigen Bedürfnissen der Badegäste gerecht zu werden;
und mancher ehrliche Norderneyer, mancher redliche Seewolf wünscht die Fremd¬
linge, die alljährlich zur Mittsommerzeit seine Insel überströmen, mit einem
kräftigen Fluche in das Land, wo der Pfeffer wächst.

Es ist sonderbar; der Norderneyer selbst hat keinen Glauben an die Heil¬
kraft des Seebades, und es fällt ihm nicht ein, der Gesundheit wegen oder
auch nur zur Annehmlichkeit sich in die Flut zu tauchen.

Der Raum zwischen dem Festland« und der Insel heißt das Watt; eine
trübe einförmige Wasserfläche, mäßig bewegt, ohne eigentlichen Wellenschlag.
Zur Zeit der Ebbe kann man zu Wagen Hindurchsahren. Gewöhnlich bringt
indessen ein Schiff die Badegäste herüber. Wenn das Segelboot oder
Dampfschiff sich dem feuchtblitzenden Strande bis auf hundert Schritt ge¬
nähert hat, nimmt ein Leiterwagen die Passagiere auf. Am Landungsplatze
werden die neuen Ankömmlinge von den Badegästen begrüßt und kritistrt;
hinter dem Conversationshause verläßt man wohl durchgeschüttelt die Leiter¬
wagen, um sich eine Wohnung auszusuchen.

Das saubere Jnseldorf, aus der Südwestseite des Eilandes gelegen, zählt
206 Wohnhäuser, alle sehr reinlich von rothen Backsteinen auferbaut, die im
Innern ziemlich gleichartig und sehr einfach eingerichtet sind. Während der
Badezeit ziehen sich die Insulaner in die Küche des Hauses zurück, und ver-
miethen die vorderen Räume an Fremde.

Bekanntlich gilt Lichtenberg als der Erfinder des Gedankens, am deutschen
Nordseestrande eine Badeanstalt zu begründen. Er war es, der im Jahre
1793 zuerst öffentlich anfragte, weshalb Deutschland noch kein Nordseebad be¬
sitze? Dies war gleich nach seiner Rückkehr aus England; der geistreiche
Commentator Hogarths hatte dort wohleingerichtete, vielbesuchte Seebäder
gefunden und er that durch Schrift und Wort das Seinige, in Deutschland
die Begründung ähnlicher Heilanstalten zu veranlassen. Indessen war ein
Jnselbewohner, der Pastor Janus auf der Insel Juist, der nie in England
gewesen und schwerlich jemals davon gehört, daß dort bereits Seebadeanstalten
beständen, schon früher als Lichtenberg für die Begründung eines deutschen
Seebades thätig gewesen. Zehn Jahre vor Lichtenberg hatte dieser Geistliche,
im Jahre -1782, eine Borstellung an die ostfriesische Provinzialregierung gerich¬
tet, worin er seine praktischen Beobachtungen und Erfahrungen niedergelegt hatte
und auf Grund derselben die Einrichtung einer Seebadeanstalt in Vorschlag
brachte. Aber der wohlwollende Prediger hatte seinen Antrag zu gründlich
motivirt. In der Begeisterung sür die Ausführung seines Planes hatte er
alles Mögliche zu Gunsten seines Projects angeführt und unter andern auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/360>, abgerufen am 15.05.2024.