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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Wie wir schon neulich eine englische Quelle benutzten, um unsern Lesern einen
Begriff von den Kriegsleiden in Rußland zu geben, so soll uns auch heute
wieder ein soeben in London erschienenes Buch: linke-s ok a Mus Vsars Kesi-
äsnLS in Kussig,, from 18ij. w 33, Ködert Ilarrison, den Stoff zu einer
Skizze über die Zustände des russischen Grundbesitzes liefern.

Harrison begleitete eine vornehme russische Familie, die er in Paris ken¬
nen gelernt hatte, nach ihrer Herrschaft, die im Gouvernement Simbirsk am
Ufer der Wolga, auf der merkwürdigen Halbinsel liegt, welche dieser Strom
durch seinen in weiten Bogen gekrümmten Lauf zwischen Stavropol und
Sysran bildet. Die Stelle ist sowol wegen ihrer landschaftlichen Eigenthüm¬
lichkeit, wie durch die sich daran knüpfenden historischen Erinnerungen merk¬
würdig. Das rechte User des Flusses überhöht das linke bedeutend, welches
aus einer einförmigen unbegrenzten Ebene besteht, die sich weit ostwärts
in die Wüste hinein erstreckt, deren Anfang sie bildet. Blickt man nach dieser
Richtung über eine Fläche, deren Grün nur von dem Thau des Himmels er¬
quickt wird, die aber keine Quelle zur Erfrischung des Menschen unter ihrer
Oberfläche birgt, so sucht das Auge vergebens nach einem andern Gegenstand,
als dem Lagerfeuer eines Trupps Kosacken oder Hirten, die Wasser mitneh¬
men oder sich durch die Wassermelone erquicken müssen, welche die gütige Vor¬
sehung in großem Ueberfluß in dieser Region wachsen läßt. Aber auf dem
westlichen Ufer des Stromes überblickt der Wanderer eine ungewöhnlich male¬
rische und fruchtbare Gegend. Wald und Fels, Fluß und Ebene, Getreide¬
land und Wiesen breiten sich überall vor ihm aus, wenn er von der Spitze
eines der zahlreichen Hügel in dieser Gegend um sich schaut. Auf einem der¬
selben steht ein malerisches, von dem gegenwärtigen Besitzer gebautes Thürm-
chen zur Bezeichnung der Stelle, wo die tartarischen Eroberer Rußlands zuerst
das Land, das ihnen wie ein Paradies erschien, erblickten. Hier kam der
Verfasser im Monat Juli an. und blieb bis zum folgenden März und von
diesem mehrmonatlichen Aufenthalt nimmt er Gelegenheit, das Landleben eines
russischen Magnaten unter seinen Leibeignen zu schildern. Boris Petrowitsch,
wie er ihn nennt, besitzt mehre Dörfer und viele tausend Leibeigne und ist
beständig bemüht, die Lage der letztem zu verbessern,, sowie bessere landwirth-
schaftliche Verfahrungsarten und eine cultivirtere Lebensweise einzuführen, wie
denn, auch Tengoborsky daS Gouvernement Simbirsk als eines von denjenigen
hervorhebt, wo sich die großen Grundbesitzer in dieser Hinsicht die meiste Mühe
geben. Die Gemahlin des Magnaten betheiligte sich mit großem Eifer an dem
Werke. Während der Mann Wohnungen von Stein baute und eine Muster¬
wirthschaft mit allem Zubehör einrichtete, begründete sie Schulen für die Kinder
der Leibeignen, wurde selbst die erste Lehrerin.und errichtete eine Normalclasse.
Aber sie fand den hartnäckigsten passiven Widerstand. , Da sich natürlich die


Wie wir schon neulich eine englische Quelle benutzten, um unsern Lesern einen
Begriff von den Kriegsleiden in Rußland zu geben, so soll uns auch heute
wieder ein soeben in London erschienenes Buch: linke-s ok a Mus Vsars Kesi-
äsnLS in Kussig,, from 18ij. w 33, Ködert Ilarrison, den Stoff zu einer
Skizze über die Zustände des russischen Grundbesitzes liefern.

Harrison begleitete eine vornehme russische Familie, die er in Paris ken¬
nen gelernt hatte, nach ihrer Herrschaft, die im Gouvernement Simbirsk am
Ufer der Wolga, auf der merkwürdigen Halbinsel liegt, welche dieser Strom
durch seinen in weiten Bogen gekrümmten Lauf zwischen Stavropol und
Sysran bildet. Die Stelle ist sowol wegen ihrer landschaftlichen Eigenthüm¬
lichkeit, wie durch die sich daran knüpfenden historischen Erinnerungen merk¬
würdig. Das rechte User des Flusses überhöht das linke bedeutend, welches
aus einer einförmigen unbegrenzten Ebene besteht, die sich weit ostwärts
in die Wüste hinein erstreckt, deren Anfang sie bildet. Blickt man nach dieser
Richtung über eine Fläche, deren Grün nur von dem Thau des Himmels er¬
quickt wird, die aber keine Quelle zur Erfrischung des Menschen unter ihrer
Oberfläche birgt, so sucht das Auge vergebens nach einem andern Gegenstand,
als dem Lagerfeuer eines Trupps Kosacken oder Hirten, die Wasser mitneh¬
men oder sich durch die Wassermelone erquicken müssen, welche die gütige Vor¬
sehung in großem Ueberfluß in dieser Region wachsen läßt. Aber auf dem
westlichen Ufer des Stromes überblickt der Wanderer eine ungewöhnlich male¬
rische und fruchtbare Gegend. Wald und Fels, Fluß und Ebene, Getreide¬
land und Wiesen breiten sich überall vor ihm aus, wenn er von der Spitze
eines der zahlreichen Hügel in dieser Gegend um sich schaut. Auf einem der¬
selben steht ein malerisches, von dem gegenwärtigen Besitzer gebautes Thürm-
chen zur Bezeichnung der Stelle, wo die tartarischen Eroberer Rußlands zuerst
das Land, das ihnen wie ein Paradies erschien, erblickten. Hier kam der
Verfasser im Monat Juli an. und blieb bis zum folgenden März und von
diesem mehrmonatlichen Aufenthalt nimmt er Gelegenheit, das Landleben eines
russischen Magnaten unter seinen Leibeignen zu schildern. Boris Petrowitsch,
wie er ihn nennt, besitzt mehre Dörfer und viele tausend Leibeigne und ist
beständig bemüht, die Lage der letztem zu verbessern,, sowie bessere landwirth-
schaftliche Verfahrungsarten und eine cultivirtere Lebensweise einzuführen, wie
denn, auch Tengoborsky daS Gouvernement Simbirsk als eines von denjenigen
hervorhebt, wo sich die großen Grundbesitzer in dieser Hinsicht die meiste Mühe
geben. Die Gemahlin des Magnaten betheiligte sich mit großem Eifer an dem
Werke. Während der Mann Wohnungen von Stein baute und eine Muster¬
wirthschaft mit allem Zubehör einrichtete, begründete sie Schulen für die Kinder
der Leibeignen, wurde selbst die erste Lehrerin.und errichtete eine Normalclasse.
Aber sie fand den hartnäckigsten passiven Widerstand. , Da sich natürlich die


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[0470] Wie wir schon neulich eine englische Quelle benutzten, um unsern Lesern einen Begriff von den Kriegsleiden in Rußland zu geben, so soll uns auch heute wieder ein soeben in London erschienenes Buch: linke-s ok a Mus Vsars Kesi- äsnLS in Kussig,, from 18ij. w 33, Ködert Ilarrison, den Stoff zu einer Skizze über die Zustände des russischen Grundbesitzes liefern. Harrison begleitete eine vornehme russische Familie, die er in Paris ken¬ nen gelernt hatte, nach ihrer Herrschaft, die im Gouvernement Simbirsk am Ufer der Wolga, auf der merkwürdigen Halbinsel liegt, welche dieser Strom durch seinen in weiten Bogen gekrümmten Lauf zwischen Stavropol und Sysran bildet. Die Stelle ist sowol wegen ihrer landschaftlichen Eigenthüm¬ lichkeit, wie durch die sich daran knüpfenden historischen Erinnerungen merk¬ würdig. Das rechte User des Flusses überhöht das linke bedeutend, welches aus einer einförmigen unbegrenzten Ebene besteht, die sich weit ostwärts in die Wüste hinein erstreckt, deren Anfang sie bildet. Blickt man nach dieser Richtung über eine Fläche, deren Grün nur von dem Thau des Himmels er¬ quickt wird, die aber keine Quelle zur Erfrischung des Menschen unter ihrer Oberfläche birgt, so sucht das Auge vergebens nach einem andern Gegenstand, als dem Lagerfeuer eines Trupps Kosacken oder Hirten, die Wasser mitneh¬ men oder sich durch die Wassermelone erquicken müssen, welche die gütige Vor¬ sehung in großem Ueberfluß in dieser Region wachsen läßt. Aber auf dem westlichen Ufer des Stromes überblickt der Wanderer eine ungewöhnlich male¬ rische und fruchtbare Gegend. Wald und Fels, Fluß und Ebene, Getreide¬ land und Wiesen breiten sich überall vor ihm aus, wenn er von der Spitze eines der zahlreichen Hügel in dieser Gegend um sich schaut. Auf einem der¬ selben steht ein malerisches, von dem gegenwärtigen Besitzer gebautes Thürm- chen zur Bezeichnung der Stelle, wo die tartarischen Eroberer Rußlands zuerst das Land, das ihnen wie ein Paradies erschien, erblickten. Hier kam der Verfasser im Monat Juli an. und blieb bis zum folgenden März und von diesem mehrmonatlichen Aufenthalt nimmt er Gelegenheit, das Landleben eines russischen Magnaten unter seinen Leibeignen zu schildern. Boris Petrowitsch, wie er ihn nennt, besitzt mehre Dörfer und viele tausend Leibeigne und ist beständig bemüht, die Lage der letztem zu verbessern,, sowie bessere landwirth- schaftliche Verfahrungsarten und eine cultivirtere Lebensweise einzuführen, wie denn, auch Tengoborsky daS Gouvernement Simbirsk als eines von denjenigen hervorhebt, wo sich die großen Grundbesitzer in dieser Hinsicht die meiste Mühe geben. Die Gemahlin des Magnaten betheiligte sich mit großem Eifer an dem Werke. Während der Mann Wohnungen von Stein baute und eine Muster¬ wirthschaft mit allem Zubehör einrichtete, begründete sie Schulen für die Kinder der Leibeignen, wurde selbst die erste Lehrerin.und errichtete eine Normalclasse. Aber sie fand den hartnäckigsten passiven Widerstand. , Da sich natürlich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/470>, abgerufen am 15.05.2024.