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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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aufzuheben, sondern auch die ganze bürgerliche Gesetzgebung seit den Zeiten
des großen Friedrich, also den eigentlichen Inhalt des altpreußischen Lebens,
zu verkümmern. Sie zeigt, daß sie ihre royalistische Gesinnung nur als eine
Fahne aufsteckt, um die unwissende Menge irre zu leiten, daß sie eigentlich
darauf ausgeht, die höchsten Attribute der Krone zu schmälern und sie einseitig
einem Stande zu übertragen. Sie zeigt, daß ihre Gesetzvorschläge in Bezug
auf Finanzen, Justiz, Administration u. s. w., wenn sie wirklich durchgeführt
werden könnten, eine tiefe Kluft zwischen den verschiedenen Classen der Staats¬
bürger und eine allgemeine Unzufriedenheit zur Folge haben würden. Sie
zeigt serner, daß die sogenannte Opposition die wahrhaft konservative Partei
ist, daß sie,' wenn auch unter unerhörten Schwierigkeiten, alles darangesetzt
hat, um die bisherige historische Entwicklung des preußischen Staats aufrecht-
zuhalt.en und zu fördern, daß alle realen Verbesserungen in der Gesetzgebung,
daß alle ernsthafte und gerechte Kritik der Verwaltung lediglich von der linken
Seite ausgeht. Sie stellt das nicht als eine Behauptung auf, welcher die
feindliche Partei mit einer entgegengesetzten Versicherung begegnen könnte, sondern
sie belegt es urkundlich mit Thatsachen und Documenten. An den einzelnen
Gesetzvorschlägen, sie mögen nun durchgegangen sein oder nicht, können die
Wähler abmessen, welcher Seite sie ihr Vertrauen zu schenken haben.

Daß sie die auswärtige Angelegenheit nicht in den Kreis ihrer Betrach¬
tungen zieht, stimmt, wie wir im Frühern auseinandergesetzt haben, ganz mit
unsrer Ueberzeugung überein. Ebenso müssen wir es billigen, daß die con-
fessionelle Frage in den Hintergrund gedrängt ist. ES kann wol eine Zeit
kommen, in welcher wir dem Ultramontanismus ernsthaft werden entgegentreten
müssen; diese Zeit ist aber noch nicht gekommen. Wir beklagen eS im Inter¬
esse der allgemeinen Entwicklung aufs höchste, daß innerhalb der preußischen
Kammern sich eine Fraction gebildet hat, die eine rein confessionelle Färbung
zur Schau trägt, die uns also mit einer Wiederaufnahme der alten religiösen
Leidenschaft bedroht, welche wir seit fast zwei Jahrhunderten überwunden zu
haben glaubten; aber diese Fraction, deren allgemeine Tendenz uns fremd oder
gar feindlich ist, enthält doch in ihrer Zusammensetzung Elemente, die uns ver¬
wandter sind, als alles, was auf der rechten Seite sich vorfindet. Und vor
allen Dingen: die nächsten Interessen jener Fraction, soweit wir sie für die
nächsten Jahre übersehen können, gehen mit den unsrigen noch Hand in
Hand. -- Wenn es daher in den westlichen Provinzen gilt, sich bei der Wahl
entweder für einen Candidaten der katholischen Fraction oder für einen
Candidaten der rechten Seite zu entscheiden, so geben wir dem erster" unsre
Stimme.

Und so können wir zum Schluß denn nur wünschen, daß diese Flugschrift
die gehörige Beachtung finden und allen Wahlberechtigten den schweren Ernst


aufzuheben, sondern auch die ganze bürgerliche Gesetzgebung seit den Zeiten
des großen Friedrich, also den eigentlichen Inhalt des altpreußischen Lebens,
zu verkümmern. Sie zeigt, daß sie ihre royalistische Gesinnung nur als eine
Fahne aufsteckt, um die unwissende Menge irre zu leiten, daß sie eigentlich
darauf ausgeht, die höchsten Attribute der Krone zu schmälern und sie einseitig
einem Stande zu übertragen. Sie zeigt, daß ihre Gesetzvorschläge in Bezug
auf Finanzen, Justiz, Administration u. s. w., wenn sie wirklich durchgeführt
werden könnten, eine tiefe Kluft zwischen den verschiedenen Classen der Staats¬
bürger und eine allgemeine Unzufriedenheit zur Folge haben würden. Sie
zeigt serner, daß die sogenannte Opposition die wahrhaft konservative Partei
ist, daß sie,' wenn auch unter unerhörten Schwierigkeiten, alles darangesetzt
hat, um die bisherige historische Entwicklung des preußischen Staats aufrecht-
zuhalt.en und zu fördern, daß alle realen Verbesserungen in der Gesetzgebung,
daß alle ernsthafte und gerechte Kritik der Verwaltung lediglich von der linken
Seite ausgeht. Sie stellt das nicht als eine Behauptung auf, welcher die
feindliche Partei mit einer entgegengesetzten Versicherung begegnen könnte, sondern
sie belegt es urkundlich mit Thatsachen und Documenten. An den einzelnen
Gesetzvorschlägen, sie mögen nun durchgegangen sein oder nicht, können die
Wähler abmessen, welcher Seite sie ihr Vertrauen zu schenken haben.

Daß sie die auswärtige Angelegenheit nicht in den Kreis ihrer Betrach¬
tungen zieht, stimmt, wie wir im Frühern auseinandergesetzt haben, ganz mit
unsrer Ueberzeugung überein. Ebenso müssen wir es billigen, daß die con-
fessionelle Frage in den Hintergrund gedrängt ist. ES kann wol eine Zeit
kommen, in welcher wir dem Ultramontanismus ernsthaft werden entgegentreten
müssen; diese Zeit ist aber noch nicht gekommen. Wir beklagen eS im Inter¬
esse der allgemeinen Entwicklung aufs höchste, daß innerhalb der preußischen
Kammern sich eine Fraction gebildet hat, die eine rein confessionelle Färbung
zur Schau trägt, die uns also mit einer Wiederaufnahme der alten religiösen
Leidenschaft bedroht, welche wir seit fast zwei Jahrhunderten überwunden zu
haben glaubten; aber diese Fraction, deren allgemeine Tendenz uns fremd oder
gar feindlich ist, enthält doch in ihrer Zusammensetzung Elemente, die uns ver¬
wandter sind, als alles, was auf der rechten Seite sich vorfindet. Und vor
allen Dingen: die nächsten Interessen jener Fraction, soweit wir sie für die
nächsten Jahre übersehen können, gehen mit den unsrigen noch Hand in
Hand. — Wenn es daher in den westlichen Provinzen gilt, sich bei der Wahl
entweder für einen Candidaten der katholischen Fraction oder für einen
Candidaten der rechten Seite zu entscheiden, so geben wir dem erster» unsre
Stimme.

Und so können wir zum Schluß denn nur wünschen, daß diese Flugschrift
die gehörige Beachtung finden und allen Wahlberechtigten den schweren Ernst


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[0498] aufzuheben, sondern auch die ganze bürgerliche Gesetzgebung seit den Zeiten des großen Friedrich, also den eigentlichen Inhalt des altpreußischen Lebens, zu verkümmern. Sie zeigt, daß sie ihre royalistische Gesinnung nur als eine Fahne aufsteckt, um die unwissende Menge irre zu leiten, daß sie eigentlich darauf ausgeht, die höchsten Attribute der Krone zu schmälern und sie einseitig einem Stande zu übertragen. Sie zeigt, daß ihre Gesetzvorschläge in Bezug auf Finanzen, Justiz, Administration u. s. w., wenn sie wirklich durchgeführt werden könnten, eine tiefe Kluft zwischen den verschiedenen Classen der Staats¬ bürger und eine allgemeine Unzufriedenheit zur Folge haben würden. Sie zeigt serner, daß die sogenannte Opposition die wahrhaft konservative Partei ist, daß sie,' wenn auch unter unerhörten Schwierigkeiten, alles darangesetzt hat, um die bisherige historische Entwicklung des preußischen Staats aufrecht- zuhalt.en und zu fördern, daß alle realen Verbesserungen in der Gesetzgebung, daß alle ernsthafte und gerechte Kritik der Verwaltung lediglich von der linken Seite ausgeht. Sie stellt das nicht als eine Behauptung auf, welcher die feindliche Partei mit einer entgegengesetzten Versicherung begegnen könnte, sondern sie belegt es urkundlich mit Thatsachen und Documenten. An den einzelnen Gesetzvorschlägen, sie mögen nun durchgegangen sein oder nicht, können die Wähler abmessen, welcher Seite sie ihr Vertrauen zu schenken haben. Daß sie die auswärtige Angelegenheit nicht in den Kreis ihrer Betrach¬ tungen zieht, stimmt, wie wir im Frühern auseinandergesetzt haben, ganz mit unsrer Ueberzeugung überein. Ebenso müssen wir es billigen, daß die con- fessionelle Frage in den Hintergrund gedrängt ist. ES kann wol eine Zeit kommen, in welcher wir dem Ultramontanismus ernsthaft werden entgegentreten müssen; diese Zeit ist aber noch nicht gekommen. Wir beklagen eS im Inter¬ esse der allgemeinen Entwicklung aufs höchste, daß innerhalb der preußischen Kammern sich eine Fraction gebildet hat, die eine rein confessionelle Färbung zur Schau trägt, die uns also mit einer Wiederaufnahme der alten religiösen Leidenschaft bedroht, welche wir seit fast zwei Jahrhunderten überwunden zu haben glaubten; aber diese Fraction, deren allgemeine Tendenz uns fremd oder gar feindlich ist, enthält doch in ihrer Zusammensetzung Elemente, die uns ver¬ wandter sind, als alles, was auf der rechten Seite sich vorfindet. Und vor allen Dingen: die nächsten Interessen jener Fraction, soweit wir sie für die nächsten Jahre übersehen können, gehen mit den unsrigen noch Hand in Hand. — Wenn es daher in den westlichen Provinzen gilt, sich bei der Wahl entweder für einen Candidaten der katholischen Fraction oder für einen Candidaten der rechten Seite zu entscheiden, so geben wir dem erster» unsre Stimme. Und so können wir zum Schluß denn nur wünschen, daß diese Flugschrift die gehörige Beachtung finden und allen Wahlberechtigten den schweren Ernst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/498>, abgerufen am 15.05.2024.