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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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geberen sagen, was geschehen soll und, was sie thun sollen; aber so ist es
wider die Ehre meines Herrn gehandelt.

Darauf ging ich aus der Stube fort und als ich zur Wache herunter in
den Hof kam, so kam der gothaische Bürger Meißner, ein Zinngießer, welcher
zu eben der Zeit in Wasungen spielen gewesen war, in den Hof eingetreten,
und sagte von freien Stücken zu mir: Daß Gott erbarm, Herr Lieutenant, was
war das für ein Augenblick in Wasungen, mir ist angst und bange geworden
als Unsre Leute aufmarschirten, da ich doch ein gothaischer Bürger bin. Als
unsre Leute zum Unterthore hinausmarschirten, so kam die Landmiliz zum
Oberthore herein'und visitirte alle Häuser, auch hat der Fähndrich Christ schon
einen Mann von Capitän Brandis Compagnie, der auf Schildwache vergessen
worden war und in sein Quartier gehen wollte, um seine Bagage zu holen,
nach'Meiningen führen lassen. Die Miliz ist ganz des Teufels, sie visitirt
alle Häuser und sagt, sie wolle alles nach Meiningen bringen.

Einem jeden Menschen will ich zu überlegen geben, wie mir zu Muthe
wurde. Der Hauptmann Ruprecht und viele Soldaten waren in Wasungen
krank zurückgelassen worden, meine Frau und Kind und mein bischen Lumpen
war auch noch darin, und als ich nun hörte, daß der Musauetier Huthmann
schon nach Meiningen abgeführt worden sei, da wurde es mir vollends schwarz
vor den Augen. --' Ich fragte den Bürger, wo denn unsre Leute wären? Ach,
sagte der, draußen liegen sie alle truppweise unter den Brunnen, und der
Hauptmann Brandis ist fast noch bei Wasungen. Die Stücke liegen alle im
Wege, das unterste Theil zu oben, sie können gar nicht fort, denn sie haben
keine Ketten, womit sie die Stücke anbinden, sondern sie haben Lunten dazu
genommen und die reißen alle Minuten entzwei. Ich bin lange dabei ge¬
blieben, aber die Wasunger feuerten hinter uns her, daß es vom Teufel war,
und weil es auch so stark regnete, wollte ich nur machen, daß ich unter Dach
käme. Unsre Leute liegen so zerstreut ans der Straße umher, daß sie in zwei
Stunden noch nicht alle da sind, und außer dem Capitän Brandis habe ich
auch keinen Offizier gesehen. 'Die Leute fluchen, daß der Himmel herunter
fallen möchte; mir ist angst und bang geworden und ich bin fortgelaufen.

Da stand ich und wußte meines Leibes keinen Rath, und war-auch noch
immer kein Mann vom ganzen Kommando zu hören noch zu sehen, und reg¬
nete ganz erstaunlich. Endlich kam der alte Grenadiercorporal Döhlcr mit
ungefähr zehn Grenadieren mitten durch das Dorf und den tiefsten Koth ge¬
watet; ich erkannte seine Stimme von weitem, seine Leute fluchten ganz er¬
staunlich, und ich rief ihnen zu: Was hilft das Fluchen, es ist doch nun nicht
anders zu machen. El Sapperment, sagte der Corporal, ich habe zwei Cam¬
pagnen mitgemacht, aber solch einen Haushalt habe ich noch nicht erlebt. Ist
das erlaubt, unser Hauptmann liegt noch in Wasungen krank und unser Herr


geberen sagen, was geschehen soll und, was sie thun sollen; aber so ist es
wider die Ehre meines Herrn gehandelt.

Darauf ging ich aus der Stube fort und als ich zur Wache herunter in
den Hof kam, so kam der gothaische Bürger Meißner, ein Zinngießer, welcher
zu eben der Zeit in Wasungen spielen gewesen war, in den Hof eingetreten,
und sagte von freien Stücken zu mir: Daß Gott erbarm, Herr Lieutenant, was
war das für ein Augenblick in Wasungen, mir ist angst und bange geworden
als Unsre Leute aufmarschirten, da ich doch ein gothaischer Bürger bin. Als
unsre Leute zum Unterthore hinausmarschirten, so kam die Landmiliz zum
Oberthore herein'und visitirte alle Häuser, auch hat der Fähndrich Christ schon
einen Mann von Capitän Brandis Compagnie, der auf Schildwache vergessen
worden war und in sein Quartier gehen wollte, um seine Bagage zu holen,
nach'Meiningen führen lassen. Die Miliz ist ganz des Teufels, sie visitirt
alle Häuser und sagt, sie wolle alles nach Meiningen bringen.

Einem jeden Menschen will ich zu überlegen geben, wie mir zu Muthe
wurde. Der Hauptmann Ruprecht und viele Soldaten waren in Wasungen
krank zurückgelassen worden, meine Frau und Kind und mein bischen Lumpen
war auch noch darin, und als ich nun hörte, daß der Musauetier Huthmann
schon nach Meiningen abgeführt worden sei, da wurde es mir vollends schwarz
vor den Augen. —' Ich fragte den Bürger, wo denn unsre Leute wären? Ach,
sagte der, draußen liegen sie alle truppweise unter den Brunnen, und der
Hauptmann Brandis ist fast noch bei Wasungen. Die Stücke liegen alle im
Wege, das unterste Theil zu oben, sie können gar nicht fort, denn sie haben
keine Ketten, womit sie die Stücke anbinden, sondern sie haben Lunten dazu
genommen und die reißen alle Minuten entzwei. Ich bin lange dabei ge¬
blieben, aber die Wasunger feuerten hinter uns her, daß es vom Teufel war,
und weil es auch so stark regnete, wollte ich nur machen, daß ich unter Dach
käme. Unsre Leute liegen so zerstreut ans der Straße umher, daß sie in zwei
Stunden noch nicht alle da sind, und außer dem Capitän Brandis habe ich
auch keinen Offizier gesehen. 'Die Leute fluchen, daß der Himmel herunter
fallen möchte; mir ist angst und bang geworden und ich bin fortgelaufen.

Da stand ich und wußte meines Leibes keinen Rath, und war-auch noch
immer kein Mann vom ganzen Kommando zu hören noch zu sehen, und reg¬
nete ganz erstaunlich. Endlich kam der alte Grenadiercorporal Döhlcr mit
ungefähr zehn Grenadieren mitten durch das Dorf und den tiefsten Koth ge¬
watet; ich erkannte seine Stimme von weitem, seine Leute fluchten ganz er¬
staunlich, und ich rief ihnen zu: Was hilft das Fluchen, es ist doch nun nicht
anders zu machen. El Sapperment, sagte der Corporal, ich habe zwei Cam¬
pagnen mitgemacht, aber solch einen Haushalt habe ich noch nicht erlebt. Ist
das erlaubt, unser Hauptmann liegt noch in Wasungen krank und unser Herr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/32>, abgerufen am 19.05.2024.