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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Formen der Gesellschaft verlangt. Wenn Offiziere sich untereinander duelliren,
oder Studenten u. f. w., so läßt man es hingehen, indem man es mehr als
ein Turnier junger Leute betrachtet, welches nur durch einen Zufall unglück¬
liche Folgen nach sich zieht. Anders, wenn das Duell zwischen Männern aus
reiferem Alter, zwischen verschiedenen Ständen statifindet. Das Militär hat
nach der neuen Gesetzgebung in Bezug 'auf das Duell ein anderes-Gesetz, als
der Bürgerstand.. Wenn nun durch das Vorurtheil des Standes der letztere
gezwungen wird, sich dem Gesetz des erstern zu fügen, so empfindet man daS
als eine Unbilligkeit, und man hat Recht daran. Daß sich dies Gefühl grade
bei der vorliegenden Gegenwart laut macht, da doch vor noch nicht ganz einem
Jahr ein viel schlimmerer Fall stattfand, wenn er auch nicht ganz so unglück¬
liche Folgen hatte, das ist mehr ein Zufall und daraus zu erklären, daß erst
in der gegenwärtigen Kammerperiode die Partei der sogenannten "kleinen
Herren" das Verlangen nach einer partiellen Souverainetät offen aus¬
gesprochen hat.

Aus diese^ Weise glauben wir die Richtung der öffentlichen Meinung er¬
läutert und ihr einen correctern Ausdruck gegeben zu haben. Es handelt sich
nicht um eine Apologie der Polizeigewalt gegen die individuelle Freiheit, son¬
dern um eine Apologie der bürgerlichen Formen im Staat und in der Gesell¬
schaft gegen die adeligen Formen. In diesem Sinne treten wir ihr bei und
sprechen zum Schluß den bescheidenen Wunsch aus, daß diejenigen Mitglieder
der Rechten, welche immer das Christenthum im Munde führen, sich doch an
die Stellung erinnern mögen, welche die christliche Kirche im Lauf der ganzen
Geschichte gegen das Duell, gegen die Privatfehde, gegen die Selbstgerechtig¬
keit überhaupt eingenommen hat. Die christliche Kirche ist ihrem innern Wesen
nach der ständischen Gliederung, die auf der Idee der Selbstgerechtigkeit beruht,
entgegengesetzt, und darum werden wir es mit der Zeit erleben, daß auch noch
in die christlich-germanische Partei eine Spaltung eintritt, daß die Kirche sich
gegen die ständische Gliederung ebenso erheben wird, wie der Feudalstaat gegen
den Absolutismus.

Einen Punkt haben wir bei dieser ganzen Auseinandersetzung nicht in
Betracht gezogen: den auffallenden Zusammenhang des vorliegenden Ereignisses
mit andern gleichzeitigen oder kurz vorhergehenden. Es ist mißlich, auf so et¬
was einzugehen, es ist mißlich, Warnungen und Prophezeihungen ins Unbe¬
stimmte hin auszusprechen. Nur eins möchten wir wünschen. Es ist im Pu-
blicum neuerdings in der Beurtheilung politischer Angelegenheiten ein gewisser
Leichtsinn verbreitet, man liebt den Humor anzuwenden, weil man an Pathos
vor acht Jahren zu viel ausgegeben hat. Möchten doch die ernsten Ereignisse
uns alle davon überzeugen, daß man mit ernsten Dingen nicht spielen darf!
Wenn der Kladderadatsch seinem Witz für den Moment Schweigen gebietet, so


Formen der Gesellschaft verlangt. Wenn Offiziere sich untereinander duelliren,
oder Studenten u. f. w., so läßt man es hingehen, indem man es mehr als
ein Turnier junger Leute betrachtet, welches nur durch einen Zufall unglück¬
liche Folgen nach sich zieht. Anders, wenn das Duell zwischen Männern aus
reiferem Alter, zwischen verschiedenen Ständen statifindet. Das Militär hat
nach der neuen Gesetzgebung in Bezug 'auf das Duell ein anderes-Gesetz, als
der Bürgerstand.. Wenn nun durch das Vorurtheil des Standes der letztere
gezwungen wird, sich dem Gesetz des erstern zu fügen, so empfindet man daS
als eine Unbilligkeit, und man hat Recht daran. Daß sich dies Gefühl grade
bei der vorliegenden Gegenwart laut macht, da doch vor noch nicht ganz einem
Jahr ein viel schlimmerer Fall stattfand, wenn er auch nicht ganz so unglück¬
liche Folgen hatte, das ist mehr ein Zufall und daraus zu erklären, daß erst
in der gegenwärtigen Kammerperiode die Partei der sogenannten „kleinen
Herren" das Verlangen nach einer partiellen Souverainetät offen aus¬
gesprochen hat.

Aus diese^ Weise glauben wir die Richtung der öffentlichen Meinung er¬
läutert und ihr einen correctern Ausdruck gegeben zu haben. Es handelt sich
nicht um eine Apologie der Polizeigewalt gegen die individuelle Freiheit, son¬
dern um eine Apologie der bürgerlichen Formen im Staat und in der Gesell¬
schaft gegen die adeligen Formen. In diesem Sinne treten wir ihr bei und
sprechen zum Schluß den bescheidenen Wunsch aus, daß diejenigen Mitglieder
der Rechten, welche immer das Christenthum im Munde führen, sich doch an
die Stellung erinnern mögen, welche die christliche Kirche im Lauf der ganzen
Geschichte gegen das Duell, gegen die Privatfehde, gegen die Selbstgerechtig¬
keit überhaupt eingenommen hat. Die christliche Kirche ist ihrem innern Wesen
nach der ständischen Gliederung, die auf der Idee der Selbstgerechtigkeit beruht,
entgegengesetzt, und darum werden wir es mit der Zeit erleben, daß auch noch
in die christlich-germanische Partei eine Spaltung eintritt, daß die Kirche sich
gegen die ständische Gliederung ebenso erheben wird, wie der Feudalstaat gegen
den Absolutismus.

Einen Punkt haben wir bei dieser ganzen Auseinandersetzung nicht in
Betracht gezogen: den auffallenden Zusammenhang des vorliegenden Ereignisses
mit andern gleichzeitigen oder kurz vorhergehenden. Es ist mißlich, auf so et¬
was einzugehen, es ist mißlich, Warnungen und Prophezeihungen ins Unbe¬
stimmte hin auszusprechen. Nur eins möchten wir wünschen. Es ist im Pu-
blicum neuerdings in der Beurtheilung politischer Angelegenheiten ein gewisser
Leichtsinn verbreitet, man liebt den Humor anzuwenden, weil man an Pathos
vor acht Jahren zu viel ausgegeben hat. Möchten doch die ernsten Ereignisse
uns alle davon überzeugen, daß man mit ernsten Dingen nicht spielen darf!
Wenn der Kladderadatsch seinem Witz für den Moment Schweigen gebietet, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/522>, abgerufen am 19.05.2024.