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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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auch eine Verbesserung der staatsrechtlichen Verhältnisse des deutschen Bundes
standen in Aussicht.

Dies waren unsre Hoffnungen; denn was in aller Welt ging uns der
Sultan an? was konnte uns daran liegen, ob die Griechen oder die Türken
die Oberhand behielten, ob der Schlüssel des heiligen Grabes der abendländi¬
schen oder morgenländischen Kirche anheimfiel, ob die Walachei sich der russi¬
schen Knute oder dem türkischen Säbel fügen oder ob sie sich untereinander
aufreiben dürften. Das alles konnte uns völlig gleichgiltig sein und wenn
nicht durch die Eroberung Konstantinopels die russische Macht verdoppelt und
infolge dessen die Gefahr, die uns von dorther drohte, ebenfalls verdoppelt würde,
so hätten wir auch gegen die Eroberung Konstantinopels durch die Russen nichts
einzuwenden gehabt. Als ein abendländischer Gesandter dem türkischen Mini¬
ster eine weitläufige Auseinandersetzung der europäischen Conflicte gab, ant¬
wortete dieser sehr phlegmatisch: Es ist meinem Herrn vollkommen gleichgiltig,
ob das Schwein den Hund oder der Hund das Schwein beißt. Wenn wir
nicht gebildete Europäer wären, würden wir eine ähnliche Bemerkung machen:
ob Pope oder Mufti, es liegt nicht viel daran.

Der Tod des Kaisers Nikolaus hat dem Kampf eine andre Wendung ge¬
geben , wenn auch die Umwandlung sich erst im Laus eines Jahres entwickeln
konnte. Gewiß war der klügste Entschluß des russischen Staats, um jeden
Preis Frieden zu schließen und noch dazu scheint der Preis nicht sehr hoch
gewesen zu sein, denn Rußland mochte zugestehen, was man verlangte, so
lange seine reale Macht nicht geschwächt war, konnte es seine Pläne immer von
neuem wieder aufnehmen^ in der festen Ueberzeugung, daß eine Combination wie
die gegenwärtige nicht so leicht wieder zü Stande zu bringen sei. -- Aber
Kaiser Nikolaus hätte diesen Frieden dennoch nicht geschlossen. Er hätte kein
Manifest an sein Volk erlassen, worin er erklärte, sein Zweck sei erreicht, die
Christen im Orient seien befreit und um dieses Zwecks willen habe er sich zu
einer Regulirung der Grenzen in Bessarabien und zu einer Ausgleichung der
Kriegsrüstungen am schwarzen Meer gern bereit erklärt.

Der Gewinn des Krieges bleibt immer bedeutend genug. Rußlands Macht
'se zwar nicht durch die Friedensbedingungen, aber durch den Krieg sehr be¬
deutend angegriffen. Das stolze Selbstvertrauen seines Volks ist gebrochen,
dum wenn man ihm auch erklärt, daß alle Zwecke des Krieges erreicht seien,
^ ist noch nicht gebildet genug, um diese Erklärung zu verstehen und in ihrem
vollen Umfange zu würdigen. Nußland mag noch so eifrig daran gehen,
Eisenbahnen zu bauen, damit in einem künftigen Krieg seine Truppen nicht
"Uf langen, zwecklosen Märschen umkommen, es bedarf einer geraumen Zeit,
^es zu erholen und für die nächsten Jahre haben wir von dieser Seite Nuhe.

Viel wichtiger ist die veränderte Stellung Rußlands zu den deutschen


Grenzboten. II. -18os. , 1^

auch eine Verbesserung der staatsrechtlichen Verhältnisse des deutschen Bundes
standen in Aussicht.

Dies waren unsre Hoffnungen; denn was in aller Welt ging uns der
Sultan an? was konnte uns daran liegen, ob die Griechen oder die Türken
die Oberhand behielten, ob der Schlüssel des heiligen Grabes der abendländi¬
schen oder morgenländischen Kirche anheimfiel, ob die Walachei sich der russi¬
schen Knute oder dem türkischen Säbel fügen oder ob sie sich untereinander
aufreiben dürften. Das alles konnte uns völlig gleichgiltig sein und wenn
nicht durch die Eroberung Konstantinopels die russische Macht verdoppelt und
infolge dessen die Gefahr, die uns von dorther drohte, ebenfalls verdoppelt würde,
so hätten wir auch gegen die Eroberung Konstantinopels durch die Russen nichts
einzuwenden gehabt. Als ein abendländischer Gesandter dem türkischen Mini¬
ster eine weitläufige Auseinandersetzung der europäischen Conflicte gab, ant¬
wortete dieser sehr phlegmatisch: Es ist meinem Herrn vollkommen gleichgiltig,
ob das Schwein den Hund oder der Hund das Schwein beißt. Wenn wir
nicht gebildete Europäer wären, würden wir eine ähnliche Bemerkung machen:
ob Pope oder Mufti, es liegt nicht viel daran.

Der Tod des Kaisers Nikolaus hat dem Kampf eine andre Wendung ge¬
geben , wenn auch die Umwandlung sich erst im Laus eines Jahres entwickeln
konnte. Gewiß war der klügste Entschluß des russischen Staats, um jeden
Preis Frieden zu schließen und noch dazu scheint der Preis nicht sehr hoch
gewesen zu sein, denn Rußland mochte zugestehen, was man verlangte, so
lange seine reale Macht nicht geschwächt war, konnte es seine Pläne immer von
neuem wieder aufnehmen^ in der festen Ueberzeugung, daß eine Combination wie
die gegenwärtige nicht so leicht wieder zü Stande zu bringen sei. — Aber
Kaiser Nikolaus hätte diesen Frieden dennoch nicht geschlossen. Er hätte kein
Manifest an sein Volk erlassen, worin er erklärte, sein Zweck sei erreicht, die
Christen im Orient seien befreit und um dieses Zwecks willen habe er sich zu
einer Regulirung der Grenzen in Bessarabien und zu einer Ausgleichung der
Kriegsrüstungen am schwarzen Meer gern bereit erklärt.

Der Gewinn des Krieges bleibt immer bedeutend genug. Rußlands Macht
'se zwar nicht durch die Friedensbedingungen, aber durch den Krieg sehr be¬
deutend angegriffen. Das stolze Selbstvertrauen seines Volks ist gebrochen,
dum wenn man ihm auch erklärt, daß alle Zwecke des Krieges erreicht seien,
^ ist noch nicht gebildet genug, um diese Erklärung zu verstehen und in ihrem
vollen Umfange zu würdigen. Nußland mag noch so eifrig daran gehen,
Eisenbahnen zu bauen, damit in einem künftigen Krieg seine Truppen nicht
"Uf langen, zwecklosen Märschen umkommen, es bedarf einer geraumen Zeit,
^es zu erholen und für die nächsten Jahre haben wir von dieser Seite Nuhe.

Viel wichtiger ist die veränderte Stellung Rußlands zu den deutschen


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[0153] auch eine Verbesserung der staatsrechtlichen Verhältnisse des deutschen Bundes standen in Aussicht. Dies waren unsre Hoffnungen; denn was in aller Welt ging uns der Sultan an? was konnte uns daran liegen, ob die Griechen oder die Türken die Oberhand behielten, ob der Schlüssel des heiligen Grabes der abendländi¬ schen oder morgenländischen Kirche anheimfiel, ob die Walachei sich der russi¬ schen Knute oder dem türkischen Säbel fügen oder ob sie sich untereinander aufreiben dürften. Das alles konnte uns völlig gleichgiltig sein und wenn nicht durch die Eroberung Konstantinopels die russische Macht verdoppelt und infolge dessen die Gefahr, die uns von dorther drohte, ebenfalls verdoppelt würde, so hätten wir auch gegen die Eroberung Konstantinopels durch die Russen nichts einzuwenden gehabt. Als ein abendländischer Gesandter dem türkischen Mini¬ ster eine weitläufige Auseinandersetzung der europäischen Conflicte gab, ant¬ wortete dieser sehr phlegmatisch: Es ist meinem Herrn vollkommen gleichgiltig, ob das Schwein den Hund oder der Hund das Schwein beißt. Wenn wir nicht gebildete Europäer wären, würden wir eine ähnliche Bemerkung machen: ob Pope oder Mufti, es liegt nicht viel daran. Der Tod des Kaisers Nikolaus hat dem Kampf eine andre Wendung ge¬ geben , wenn auch die Umwandlung sich erst im Laus eines Jahres entwickeln konnte. Gewiß war der klügste Entschluß des russischen Staats, um jeden Preis Frieden zu schließen und noch dazu scheint der Preis nicht sehr hoch gewesen zu sein, denn Rußland mochte zugestehen, was man verlangte, so lange seine reale Macht nicht geschwächt war, konnte es seine Pläne immer von neuem wieder aufnehmen^ in der festen Ueberzeugung, daß eine Combination wie die gegenwärtige nicht so leicht wieder zü Stande zu bringen sei. — Aber Kaiser Nikolaus hätte diesen Frieden dennoch nicht geschlossen. Er hätte kein Manifest an sein Volk erlassen, worin er erklärte, sein Zweck sei erreicht, die Christen im Orient seien befreit und um dieses Zwecks willen habe er sich zu einer Regulirung der Grenzen in Bessarabien und zu einer Ausgleichung der Kriegsrüstungen am schwarzen Meer gern bereit erklärt. Der Gewinn des Krieges bleibt immer bedeutend genug. Rußlands Macht 'se zwar nicht durch die Friedensbedingungen, aber durch den Krieg sehr be¬ deutend angegriffen. Das stolze Selbstvertrauen seines Volks ist gebrochen, dum wenn man ihm auch erklärt, daß alle Zwecke des Krieges erreicht seien, ^ ist noch nicht gebildet genug, um diese Erklärung zu verstehen und in ihrem vollen Umfange zu würdigen. Nußland mag noch so eifrig daran gehen, Eisenbahnen zu bauen, damit in einem künftigen Krieg seine Truppen nicht "Uf langen, zwecklosen Märschen umkommen, es bedarf einer geraumen Zeit, ^es zu erholen und für die nächsten Jahre haben wir von dieser Seite Nuhe. Viel wichtiger ist die veränderte Stellung Rußlands zu den deutschen Grenzboten. II. -18os. , 1^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/153>, abgerufen am 22.05.2024.