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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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empfänglicherer Boden. Man liest dort überhaupt mehr und stellt schon fast
an jede größere Zeitung die Anforderung, daß sie in täglichen Leitartikeln ihre
Anschauungen über die wichtigern Tagesfragen präcisirt. Die publicistischen
Wochenblätter, welche nicht Neuigkeitsblätter sein können und diesen Charakter
bei der weitern Ausbildung der modernen Verkehrsmittel natürlich immer mehr
eingebüßt haben, haben daher hier meistens schon von vornherein ein geneig-
neteres Publicum. Vorwiegend gehörte dieses früher den gebildeteren Schichten
an oder einer ausgeprägteren Partei. Seit mehren Jahren, und ganz nament¬
lich seit dem Wiedererwachen jener unseligen Preßzustä'nde, welche die Tages¬
zeitungen zur Zahmheit, d. h. zu einem bloßen Andenken/ geheimnißvollen
Winken unb unklaren Redensarten über die Thatsachen genöthigt haben , ist
jetzt das Bedürfniß nach solchen Organen immer allgemeiner geworden, welche
nach Ablauf kurzer Zeitfristen die Tageözustände in allgemeinere Bilder zu¬
sammenfassen und ausbeuten. Es ist dieses Bedürfniß die ganz natürliche
Reaction gegen jene Maßregelungen, wodurch die Tagesblätter zu lügenhaften
Formen und dazu gezwungen sind, ihre Spalten publicistischen Dilettanten
wieder zu öffnen -- nachdem diese in den wenigen Jahren freierer Bewegung
fast gänzlich aus der Tagespreise verschwunden waren. Diesem Bedürfniß
suchen nun auf politischen, wie außerpvlitischen Gebiete, nach dem Vorbilde
Englands, vorzugsweise - die sogenannten Sonntagsblätter zu entsprechen.
Unter verschiedenen Titeln und auf den verschiedensten Gebieten des öffent¬
lichen Lebens hat sich ihre Zahl in den letzten Jahren bedeutend vermehrt,
wozu als äußeres Förderungsmittel wol auch der Umstand trat, daß die meisten
eigentlichen Zeitungen keine Sonntagsnummern ausgeben. In den katholischen
und überhaupt streng kirchlichen Gegenden hatten aber schon längere Zeit
religiös-politische Blätter die zcitungöfreien Sonntage für sich in Anspruch ge¬
nommen. Es darf nun als eine unsers Erachtens günstige Signatur der Zeit
betrachtet werden, daß grade von den excentrischen unter ihnen und grade in
Baiern mehre zu erscheinen aufhörten. Besonders gilt dies von mehren ultra-
Nlvntanen Organen Frankens, gegen welche allerdings auch administrative
Mittel in Anwendung gebracht wurden, denen sie aber, wie in näher stehenden
Kreisen sattsam bekannt, keineswegs gewichen wären, wenn sie in sich eine
selbstständige Eristenzkraft gehabt hätten. Ohne daß diese administrativen
Maßregeln etwa deshalb, weil sie sich gegen ultramontane Blätter wendeten,
eine bessere Rechtfertigung als in andern Fällen hatten, schienen sie doch bei¬
nahe willkommen, um mit großem Geschrei über ihre ungesetzmäßigen Eingriffe
einen Vorwand zum Aufhören der fraglichen Blätter abzugeben. Die Partei
verhüllte damit daS indirecte Eingeständniß von ihrem Mangel an Absatz.
Daß dieser aber vorhanden ist, bezeugte dagegen auch die gleichzeitige Thatsache,
daß der früher so einflußreiche "Katholische Hausfreund" (Regensburg), vom


empfänglicherer Boden. Man liest dort überhaupt mehr und stellt schon fast
an jede größere Zeitung die Anforderung, daß sie in täglichen Leitartikeln ihre
Anschauungen über die wichtigern Tagesfragen präcisirt. Die publicistischen
Wochenblätter, welche nicht Neuigkeitsblätter sein können und diesen Charakter
bei der weitern Ausbildung der modernen Verkehrsmittel natürlich immer mehr
eingebüßt haben, haben daher hier meistens schon von vornherein ein geneig-
neteres Publicum. Vorwiegend gehörte dieses früher den gebildeteren Schichten
an oder einer ausgeprägteren Partei. Seit mehren Jahren, und ganz nament¬
lich seit dem Wiedererwachen jener unseligen Preßzustä'nde, welche die Tages¬
zeitungen zur Zahmheit, d. h. zu einem bloßen Andenken/ geheimnißvollen
Winken unb unklaren Redensarten über die Thatsachen genöthigt haben , ist
jetzt das Bedürfniß nach solchen Organen immer allgemeiner geworden, welche
nach Ablauf kurzer Zeitfristen die Tageözustände in allgemeinere Bilder zu¬
sammenfassen und ausbeuten. Es ist dieses Bedürfniß die ganz natürliche
Reaction gegen jene Maßregelungen, wodurch die Tagesblätter zu lügenhaften
Formen und dazu gezwungen sind, ihre Spalten publicistischen Dilettanten
wieder zu öffnen — nachdem diese in den wenigen Jahren freierer Bewegung
fast gänzlich aus der Tagespreise verschwunden waren. Diesem Bedürfniß
suchen nun auf politischen, wie außerpvlitischen Gebiete, nach dem Vorbilde
Englands, vorzugsweise - die sogenannten Sonntagsblätter zu entsprechen.
Unter verschiedenen Titeln und auf den verschiedensten Gebieten des öffent¬
lichen Lebens hat sich ihre Zahl in den letzten Jahren bedeutend vermehrt,
wozu als äußeres Förderungsmittel wol auch der Umstand trat, daß die meisten
eigentlichen Zeitungen keine Sonntagsnummern ausgeben. In den katholischen
und überhaupt streng kirchlichen Gegenden hatten aber schon längere Zeit
religiös-politische Blätter die zcitungöfreien Sonntage für sich in Anspruch ge¬
nommen. Es darf nun als eine unsers Erachtens günstige Signatur der Zeit
betrachtet werden, daß grade von den excentrischen unter ihnen und grade in
Baiern mehre zu erscheinen aufhörten. Besonders gilt dies von mehren ultra-
Nlvntanen Organen Frankens, gegen welche allerdings auch administrative
Mittel in Anwendung gebracht wurden, denen sie aber, wie in näher stehenden
Kreisen sattsam bekannt, keineswegs gewichen wären, wenn sie in sich eine
selbstständige Eristenzkraft gehabt hätten. Ohne daß diese administrativen
Maßregeln etwa deshalb, weil sie sich gegen ultramontane Blätter wendeten,
eine bessere Rechtfertigung als in andern Fällen hatten, schienen sie doch bei¬
nahe willkommen, um mit großem Geschrei über ihre ungesetzmäßigen Eingriffe
einen Vorwand zum Aufhören der fraglichen Blätter abzugeben. Die Partei
verhüllte damit daS indirecte Eingeständniß von ihrem Mangel an Absatz.
Daß dieser aber vorhanden ist, bezeugte dagegen auch die gleichzeitige Thatsache,
daß der früher so einflußreiche „Katholische Hausfreund" (Regensburg), vom


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[0319] empfänglicherer Boden. Man liest dort überhaupt mehr und stellt schon fast an jede größere Zeitung die Anforderung, daß sie in täglichen Leitartikeln ihre Anschauungen über die wichtigern Tagesfragen präcisirt. Die publicistischen Wochenblätter, welche nicht Neuigkeitsblätter sein können und diesen Charakter bei der weitern Ausbildung der modernen Verkehrsmittel natürlich immer mehr eingebüßt haben, haben daher hier meistens schon von vornherein ein geneig- neteres Publicum. Vorwiegend gehörte dieses früher den gebildeteren Schichten an oder einer ausgeprägteren Partei. Seit mehren Jahren, und ganz nament¬ lich seit dem Wiedererwachen jener unseligen Preßzustä'nde, welche die Tages¬ zeitungen zur Zahmheit, d. h. zu einem bloßen Andenken/ geheimnißvollen Winken unb unklaren Redensarten über die Thatsachen genöthigt haben , ist jetzt das Bedürfniß nach solchen Organen immer allgemeiner geworden, welche nach Ablauf kurzer Zeitfristen die Tageözustände in allgemeinere Bilder zu¬ sammenfassen und ausbeuten. Es ist dieses Bedürfniß die ganz natürliche Reaction gegen jene Maßregelungen, wodurch die Tagesblätter zu lügenhaften Formen und dazu gezwungen sind, ihre Spalten publicistischen Dilettanten wieder zu öffnen — nachdem diese in den wenigen Jahren freierer Bewegung fast gänzlich aus der Tagespreise verschwunden waren. Diesem Bedürfniß suchen nun auf politischen, wie außerpvlitischen Gebiete, nach dem Vorbilde Englands, vorzugsweise - die sogenannten Sonntagsblätter zu entsprechen. Unter verschiedenen Titeln und auf den verschiedensten Gebieten des öffent¬ lichen Lebens hat sich ihre Zahl in den letzten Jahren bedeutend vermehrt, wozu als äußeres Förderungsmittel wol auch der Umstand trat, daß die meisten eigentlichen Zeitungen keine Sonntagsnummern ausgeben. In den katholischen und überhaupt streng kirchlichen Gegenden hatten aber schon längere Zeit religiös-politische Blätter die zcitungöfreien Sonntage für sich in Anspruch ge¬ nommen. Es darf nun als eine unsers Erachtens günstige Signatur der Zeit betrachtet werden, daß grade von den excentrischen unter ihnen und grade in Baiern mehre zu erscheinen aufhörten. Besonders gilt dies von mehren ultra- Nlvntanen Organen Frankens, gegen welche allerdings auch administrative Mittel in Anwendung gebracht wurden, denen sie aber, wie in näher stehenden Kreisen sattsam bekannt, keineswegs gewichen wären, wenn sie in sich eine selbstständige Eristenzkraft gehabt hätten. Ohne daß diese administrativen Maßregeln etwa deshalb, weil sie sich gegen ultramontane Blätter wendeten, eine bessere Rechtfertigung als in andern Fällen hatten, schienen sie doch bei¬ nahe willkommen, um mit großem Geschrei über ihre ungesetzmäßigen Eingriffe einen Vorwand zum Aufhören der fraglichen Blätter abzugeben. Die Partei verhüllte damit daS indirecte Eingeständniß von ihrem Mangel an Absatz. Daß dieser aber vorhanden ist, bezeugte dagegen auch die gleichzeitige Thatsache, daß der früher so einflußreiche „Katholische Hausfreund" (Regensburg), vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/319>, abgerufen am 15.06.2024.