Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

chem der gelehrte Stoff künstlerisch überwältigt ist. Sie wird es anders lesen,
als der Mann, da sie andere Wünsche und Voraussetzungen mitbringt, aber
sie wird dennoch eine reiche Ausbeute für sich selbst finden. Der Fortschritt
dieser Literatur in unsern Tagen wird auch auf die Frauen eine heilsame Rück¬
wirkung ausüben.

Der bisherige Mangel in dieser Sphäre gab schon häusig Veranlassung,
an eine specielle Lectüre für Frauen zu denken. Die Bedenken eines solchen
Unternehmens sind ganz ähnlich, wie die Bedenken einer specifischen Kinder¬
literatur. Denn in der Regel bildet man sich ein, die Frauen seien unter¬
geordnete Geschöpf".', und um von ihnen verstanden zu werden, müsse man
wenigstens de.n Schein der Ungründlichkeit und Halbbildung annehmen. Einer
wirklich gescheiten Frau konnte daher nichts so zuwider sein, als diese specifi¬
sche Damenlectüre.

Indeß sind diese Uebelstände nicht nothwendig mit der Gattung verknüpft,
und die Idee, den Frauen das Gebiet des allgemeinen Wissens zugänglich zu
machen, ist durchaus berechtigt, ja nothwendig. Man macht es aber dadurch
zugänglich, daß man es in die Form der Anschauung und Vorstellung über¬
setzt, kurz, daß man dasselbe'thut, was jeder echte Geschichtschreiber thun soll.
Um so etwas vollständig durchführen zu können, muß man das Gebiet, das
man darstelle" will, eigentlich ganz beherrschen, denn wahrhaft populär kann
nur die höchste Bildung sein, nnr diejenige, die das Material so unbedingt
beherrscht, um jeden Augenblick das Angemessene bei der Hand zu haben.
Allein es bleibt das ein frommer Wunsch, da die Gelehrten zu so etwas nicht
zu bringen sind, da sie in der That keine Zeit dazu haben.

Eine Frau, auch die am feinsten gebildete, wird jenen Anforderungen
niemals völlig entsprechen können; ihr Unternehmen wird aber dankenswert!)
sein, wenn sie ernst und gewissenhaft zu Werke geht, und das ist bei der
Herausgeberin deS zuerst genannten Werks in hohem Grade zu rühmen. Daß
sie sich über ihre eigne Stellung keine Illusionen macht, zeigt das Motto
aus Tasso:


Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen,
Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen,
Es sei ein Urtheil über einen Mann
Der alten Zeit und seiner Thaten Werth;
Es sei von einer Wissenschaft die Rede, -
Die durch' Erfahrung weiter ausgebreitet,
Dem Menschen nützt, indem sie ihn erhebt;
Wohin sich das Gespräch der Edeln lenkt,
Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen.

Sie hat bei ihrem Unternehmen die verständige Kühnheit gehabt, unmittel¬
bar auf die Quellen zurückzugehen, aber nicht, um darüber geistreich zu räson-


Grenzboten. II. i8so> ">H '

chem der gelehrte Stoff künstlerisch überwältigt ist. Sie wird es anders lesen,
als der Mann, da sie andere Wünsche und Voraussetzungen mitbringt, aber
sie wird dennoch eine reiche Ausbeute für sich selbst finden. Der Fortschritt
dieser Literatur in unsern Tagen wird auch auf die Frauen eine heilsame Rück¬
wirkung ausüben.

Der bisherige Mangel in dieser Sphäre gab schon häusig Veranlassung,
an eine specielle Lectüre für Frauen zu denken. Die Bedenken eines solchen
Unternehmens sind ganz ähnlich, wie die Bedenken einer specifischen Kinder¬
literatur. Denn in der Regel bildet man sich ein, die Frauen seien unter¬
geordnete Geschöpf».', und um von ihnen verstanden zu werden, müsse man
wenigstens de.n Schein der Ungründlichkeit und Halbbildung annehmen. Einer
wirklich gescheiten Frau konnte daher nichts so zuwider sein, als diese specifi¬
sche Damenlectüre.

Indeß sind diese Uebelstände nicht nothwendig mit der Gattung verknüpft,
und die Idee, den Frauen das Gebiet des allgemeinen Wissens zugänglich zu
machen, ist durchaus berechtigt, ja nothwendig. Man macht es aber dadurch
zugänglich, daß man es in die Form der Anschauung und Vorstellung über¬
setzt, kurz, daß man dasselbe'thut, was jeder echte Geschichtschreiber thun soll.
Um so etwas vollständig durchführen zu können, muß man das Gebiet, das
man darstelle» will, eigentlich ganz beherrschen, denn wahrhaft populär kann
nur die höchste Bildung sein, nnr diejenige, die das Material so unbedingt
beherrscht, um jeden Augenblick das Angemessene bei der Hand zu haben.
Allein es bleibt das ein frommer Wunsch, da die Gelehrten zu so etwas nicht
zu bringen sind, da sie in der That keine Zeit dazu haben.

Eine Frau, auch die am feinsten gebildete, wird jenen Anforderungen
niemals völlig entsprechen können; ihr Unternehmen wird aber dankenswert!)
sein, wenn sie ernst und gewissenhaft zu Werke geht, und das ist bei der
Herausgeberin deS zuerst genannten Werks in hohem Grade zu rühmen. Daß
sie sich über ihre eigne Stellung keine Illusionen macht, zeigt das Motto
aus Tasso:


Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen,
Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen,
Es sei ein Urtheil über einen Mann
Der alten Zeit und seiner Thaten Werth;
Es sei von einer Wissenschaft die Rede, -
Die durch' Erfahrung weiter ausgebreitet,
Dem Menschen nützt, indem sie ihn erhebt;
Wohin sich das Gespräch der Edeln lenkt,
Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen.

Sie hat bei ihrem Unternehmen die verständige Kühnheit gehabt, unmittel¬
bar auf die Quellen zurückzugehen, aber nicht, um darüber geistreich zu räson-


Grenzboten. II. i8so> «>H '
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102048"/>
          <p xml:id="ID_1438" prev="#ID_1437"> chem der gelehrte Stoff künstlerisch überwältigt ist. Sie wird es anders lesen,<lb/>
als der Mann, da sie andere Wünsche und Voraussetzungen mitbringt, aber<lb/>
sie wird dennoch eine reiche Ausbeute für sich selbst finden. Der Fortschritt<lb/>
dieser Literatur in unsern Tagen wird auch auf die Frauen eine heilsame Rück¬<lb/>
wirkung ausüben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1439"> Der bisherige Mangel in dieser Sphäre gab schon häusig Veranlassung,<lb/>
an eine specielle Lectüre für Frauen zu denken. Die Bedenken eines solchen<lb/>
Unternehmens sind ganz ähnlich, wie die Bedenken einer specifischen Kinder¬<lb/>
literatur. Denn in der Regel bildet man sich ein, die Frauen seien unter¬<lb/>
geordnete Geschöpf».', und um von ihnen verstanden zu werden, müsse man<lb/>
wenigstens de.n Schein der Ungründlichkeit und Halbbildung annehmen. Einer<lb/>
wirklich gescheiten Frau konnte daher nichts so zuwider sein, als diese specifi¬<lb/>
sche Damenlectüre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1440"> Indeß sind diese Uebelstände nicht nothwendig mit der Gattung verknüpft,<lb/>
und die Idee, den Frauen das Gebiet des allgemeinen Wissens zugänglich zu<lb/>
machen, ist durchaus berechtigt, ja nothwendig. Man macht es aber dadurch<lb/>
zugänglich, daß man es in die Form der Anschauung und Vorstellung über¬<lb/>
setzt, kurz, daß man dasselbe'thut, was jeder echte Geschichtschreiber thun soll.<lb/>
Um so etwas vollständig durchführen zu können, muß man das Gebiet, das<lb/>
man darstelle» will, eigentlich ganz beherrschen, denn wahrhaft populär kann<lb/>
nur die höchste Bildung sein, nnr diejenige, die das Material so unbedingt<lb/>
beherrscht, um jeden Augenblick das Angemessene bei der Hand zu haben.<lb/>
Allein es bleibt das ein frommer Wunsch, da die Gelehrten zu so etwas nicht<lb/>
zu bringen sind, da sie in der That keine Zeit dazu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1441"> Eine Frau, auch die am feinsten gebildete, wird jenen Anforderungen<lb/>
niemals völlig entsprechen können; ihr Unternehmen wird aber dankenswert!)<lb/>
sein, wenn sie ernst und gewissenhaft zu Werke geht, und das ist bei der<lb/>
Herausgeberin deS zuerst genannten Werks in hohem Grade zu rühmen. Daß<lb/>
sie sich über ihre eigne Stellung keine Illusionen macht, zeigt das Motto<lb/>
aus Tasso:</p><lb/>
          <quote> Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen,<lb/>
Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen,<lb/>
Es sei ein Urtheil über einen Mann<lb/>
Der alten Zeit und seiner Thaten Werth;<lb/>
Es sei von einer Wissenschaft die Rede, -<lb/>
Die durch' Erfahrung weiter ausgebreitet,<lb/>
Dem Menschen nützt, indem sie ihn erhebt;<lb/>
Wohin sich das Gespräch der Edeln lenkt,<lb/>
Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1442" next="#ID_1443"> Sie hat bei ihrem Unternehmen die verständige Kühnheit gehabt, unmittel¬<lb/>
bar auf die Quellen zurückzugehen, aber nicht, um darüber geistreich zu räson-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. i8so&gt; «&gt;H '</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] chem der gelehrte Stoff künstlerisch überwältigt ist. Sie wird es anders lesen, als der Mann, da sie andere Wünsche und Voraussetzungen mitbringt, aber sie wird dennoch eine reiche Ausbeute für sich selbst finden. Der Fortschritt dieser Literatur in unsern Tagen wird auch auf die Frauen eine heilsame Rück¬ wirkung ausüben. Der bisherige Mangel in dieser Sphäre gab schon häusig Veranlassung, an eine specielle Lectüre für Frauen zu denken. Die Bedenken eines solchen Unternehmens sind ganz ähnlich, wie die Bedenken einer specifischen Kinder¬ literatur. Denn in der Regel bildet man sich ein, die Frauen seien unter¬ geordnete Geschöpf».', und um von ihnen verstanden zu werden, müsse man wenigstens de.n Schein der Ungründlichkeit und Halbbildung annehmen. Einer wirklich gescheiten Frau konnte daher nichts so zuwider sein, als diese specifi¬ sche Damenlectüre. Indeß sind diese Uebelstände nicht nothwendig mit der Gattung verknüpft, und die Idee, den Frauen das Gebiet des allgemeinen Wissens zugänglich zu machen, ist durchaus berechtigt, ja nothwendig. Man macht es aber dadurch zugänglich, daß man es in die Form der Anschauung und Vorstellung über¬ setzt, kurz, daß man dasselbe'thut, was jeder echte Geschichtschreiber thun soll. Um so etwas vollständig durchführen zu können, muß man das Gebiet, das man darstelle» will, eigentlich ganz beherrschen, denn wahrhaft populär kann nur die höchste Bildung sein, nnr diejenige, die das Material so unbedingt beherrscht, um jeden Augenblick das Angemessene bei der Hand zu haben. Allein es bleibt das ein frommer Wunsch, da die Gelehrten zu so etwas nicht zu bringen sind, da sie in der That keine Zeit dazu haben. Eine Frau, auch die am feinsten gebildete, wird jenen Anforderungen niemals völlig entsprechen können; ihr Unternehmen wird aber dankenswert!) sein, wenn sie ernst und gewissenhaft zu Werke geht, und das ist bei der Herausgeberin deS zuerst genannten Werks in hohem Grade zu rühmen. Daß sie sich über ihre eigne Stellung keine Illusionen macht, zeigt das Motto aus Tasso: Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen, Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen, Es sei ein Urtheil über einen Mann Der alten Zeit und seiner Thaten Werth; Es sei von einer Wissenschaft die Rede, - Die durch' Erfahrung weiter ausgebreitet, Dem Menschen nützt, indem sie ihn erhebt; Wohin sich das Gespräch der Edeln lenkt, Ich folge gern, denn mir wird leicht zu folgen. Sie hat bei ihrem Unternehmen die verständige Kühnheit gehabt, unmittel¬ bar auf die Quellen zurückzugehen, aber nicht, um darüber geistreich zu räson- Grenzboten. II. i8so> «>H '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/521>, abgerufen am 16.06.2024.