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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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da. Freilich verflossen Jahre, ehe der unscheinbare Handwerkersohn, mit wenig
mehr als Handwerkerbildung aus einer Landstadt neben seinem gelehrten Vor¬
gänger bemerkt wurde: aber kaum war er als Dichter bemerkt, so begann
nach kurzem ungleichem Kampfe das schnelle Versinken der Gegner. Denn daS
Ursprüngliche und Tiefe hat immer die Macht, hat sie namentlich in solchen
Zeiten, die selbst tief und urgewaltig sind, und fern von allem Hirschleder
und Durchschleichen und'eitler Erbärmlichkeit. Die Zeit und das Land, die
eine. Seeherrschaft erschufen, der Vernunft und reinen Auffassung des Christen¬
thums eine feste insularische Burg errichteten, konnte auch einen Shakespeare
hervorbringen. Es ist eine große, kühne, urgewaltige Zeit, es ist ein keckes,
frisches, in Kraft übersprudelndes Volk, welche die jungfräuliche Königin um¬
ringen, und Shakespeare ist wahrlich nicht das einzige Genie seiner Tage,
wenn wir nicht blos von Dichtern reden. Welche kühne Seefahrer waren
Drake und Raleigh, welche großartige Staatsmänner Walsingham und Bur-
leigh, welch ein Philosoph Bacon! Hatte Jakobs Zeit doch noch genug Ge¬
nialität geerbt, um einen so kleinlich denkenden Monarchen übertragen zu
können! und es waren die Enkel, in denen die Seele der Großväter wieder¬
kehrte, welche die großen Dinge unter Cromwell ausführten. Dennoch
wäre es die Frage gewesen, wie sich MarloweS ' Genius hätte entwickeln
können, da die kurze Zeit seines Wirkens einen so bemerkenswerthen Fortschritt
zeigt, und es war immer für Shakespeare ein glücklicher Zufall, welcher ihm
diesen kühnen Geist schon 1S93, sechs Jahr nach seinem Auftreten, etwa drei
nach dem Shakespeares, aus dem Wege räumte, nachdem Greene, auch ein
talentvoller Dramatiker, schon ein Jahr früher gestorben war.

Von dem, was Marlowe in diesen 6 Jahren seiner Berühmtheit begegnete,
wissen wir nur wenig. Er soll Schauspieler am Vorhangslheater gewesen sein,
und bei einer nicht eben ehrenvollen Veranlassung das Bein gebrochen haben,
wenn einer Ballade zu trauen ist. Er schrieb außer einem zweiten Theile deS
Tamerlan, der den ersten weit überbot, noch i- Stücke, und vielleicht noch ein
fünftes und sechstes im Bunde mit Nass, so wie er eine lyrische Nachbildung
des Musäus und einige andere unvollendet hinterließ. Marlowe lebte ein aus¬
gelassenes Schauspielerleben, Green, Peele und Nass waren seine Genossen.
Freilich brauchen wir den Worten der viel später gedichteten Ballade keinen
Glauben beizumessen; sie lauten, wenn es der Mühe werth ist, den alten Lirum-
larum zu übersetzen:
''.'


'.,,">,-,>>, ..
Manch Stück schrieb er zu andrer Neid
Ruhm hatt' er ohne Maßen.
Bald prunkt' er in 'nem seidnen Kleid,
Bald bettelt' er.in den Straßen.'

Freilich strotzen gleichzeitige Schriftsteller von Anführungen, namentlich seines


da. Freilich verflossen Jahre, ehe der unscheinbare Handwerkersohn, mit wenig
mehr als Handwerkerbildung aus einer Landstadt neben seinem gelehrten Vor¬
gänger bemerkt wurde: aber kaum war er als Dichter bemerkt, so begann
nach kurzem ungleichem Kampfe das schnelle Versinken der Gegner. Denn daS
Ursprüngliche und Tiefe hat immer die Macht, hat sie namentlich in solchen
Zeiten, die selbst tief und urgewaltig sind, und fern von allem Hirschleder
und Durchschleichen und'eitler Erbärmlichkeit. Die Zeit und das Land, die
eine. Seeherrschaft erschufen, der Vernunft und reinen Auffassung des Christen¬
thums eine feste insularische Burg errichteten, konnte auch einen Shakespeare
hervorbringen. Es ist eine große, kühne, urgewaltige Zeit, es ist ein keckes,
frisches, in Kraft übersprudelndes Volk, welche die jungfräuliche Königin um¬
ringen, und Shakespeare ist wahrlich nicht das einzige Genie seiner Tage,
wenn wir nicht blos von Dichtern reden. Welche kühne Seefahrer waren
Drake und Raleigh, welche großartige Staatsmänner Walsingham und Bur-
leigh, welch ein Philosoph Bacon! Hatte Jakobs Zeit doch noch genug Ge¬
nialität geerbt, um einen so kleinlich denkenden Monarchen übertragen zu
können! und es waren die Enkel, in denen die Seele der Großväter wieder¬
kehrte, welche die großen Dinge unter Cromwell ausführten. Dennoch
wäre es die Frage gewesen, wie sich MarloweS ' Genius hätte entwickeln
können, da die kurze Zeit seines Wirkens einen so bemerkenswerthen Fortschritt
zeigt, und es war immer für Shakespeare ein glücklicher Zufall, welcher ihm
diesen kühnen Geist schon 1S93, sechs Jahr nach seinem Auftreten, etwa drei
nach dem Shakespeares, aus dem Wege räumte, nachdem Greene, auch ein
talentvoller Dramatiker, schon ein Jahr früher gestorben war.

Von dem, was Marlowe in diesen 6 Jahren seiner Berühmtheit begegnete,
wissen wir nur wenig. Er soll Schauspieler am Vorhangslheater gewesen sein,
und bei einer nicht eben ehrenvollen Veranlassung das Bein gebrochen haben,
wenn einer Ballade zu trauen ist. Er schrieb außer einem zweiten Theile deS
Tamerlan, der den ersten weit überbot, noch i- Stücke, und vielleicht noch ein
fünftes und sechstes im Bunde mit Nass, so wie er eine lyrische Nachbildung
des Musäus und einige andere unvollendet hinterließ. Marlowe lebte ein aus¬
gelassenes Schauspielerleben, Green, Peele und Nass waren seine Genossen.
Freilich brauchen wir den Worten der viel später gedichteten Ballade keinen
Glauben beizumessen; sie lauten, wenn es der Mühe werth ist, den alten Lirum-
larum zu übersetzen:
''.'


'.,,»>,-,>>, ..
Manch Stück schrieb er zu andrer Neid
Ruhm hatt' er ohne Maßen.
Bald prunkt' er in 'nem seidnen Kleid,
Bald bettelt' er.in den Straßen.'

Freilich strotzen gleichzeitige Schriftsteller von Anführungen, namentlich seines


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[0078] da. Freilich verflossen Jahre, ehe der unscheinbare Handwerkersohn, mit wenig mehr als Handwerkerbildung aus einer Landstadt neben seinem gelehrten Vor¬ gänger bemerkt wurde: aber kaum war er als Dichter bemerkt, so begann nach kurzem ungleichem Kampfe das schnelle Versinken der Gegner. Denn daS Ursprüngliche und Tiefe hat immer die Macht, hat sie namentlich in solchen Zeiten, die selbst tief und urgewaltig sind, und fern von allem Hirschleder und Durchschleichen und'eitler Erbärmlichkeit. Die Zeit und das Land, die eine. Seeherrschaft erschufen, der Vernunft und reinen Auffassung des Christen¬ thums eine feste insularische Burg errichteten, konnte auch einen Shakespeare hervorbringen. Es ist eine große, kühne, urgewaltige Zeit, es ist ein keckes, frisches, in Kraft übersprudelndes Volk, welche die jungfräuliche Königin um¬ ringen, und Shakespeare ist wahrlich nicht das einzige Genie seiner Tage, wenn wir nicht blos von Dichtern reden. Welche kühne Seefahrer waren Drake und Raleigh, welche großartige Staatsmänner Walsingham und Bur- leigh, welch ein Philosoph Bacon! Hatte Jakobs Zeit doch noch genug Ge¬ nialität geerbt, um einen so kleinlich denkenden Monarchen übertragen zu können! und es waren die Enkel, in denen die Seele der Großväter wieder¬ kehrte, welche die großen Dinge unter Cromwell ausführten. Dennoch wäre es die Frage gewesen, wie sich MarloweS ' Genius hätte entwickeln können, da die kurze Zeit seines Wirkens einen so bemerkenswerthen Fortschritt zeigt, und es war immer für Shakespeare ein glücklicher Zufall, welcher ihm diesen kühnen Geist schon 1S93, sechs Jahr nach seinem Auftreten, etwa drei nach dem Shakespeares, aus dem Wege räumte, nachdem Greene, auch ein talentvoller Dramatiker, schon ein Jahr früher gestorben war. Von dem, was Marlowe in diesen 6 Jahren seiner Berühmtheit begegnete, wissen wir nur wenig. Er soll Schauspieler am Vorhangslheater gewesen sein, und bei einer nicht eben ehrenvollen Veranlassung das Bein gebrochen haben, wenn einer Ballade zu trauen ist. Er schrieb außer einem zweiten Theile deS Tamerlan, der den ersten weit überbot, noch i- Stücke, und vielleicht noch ein fünftes und sechstes im Bunde mit Nass, so wie er eine lyrische Nachbildung des Musäus und einige andere unvollendet hinterließ. Marlowe lebte ein aus¬ gelassenes Schauspielerleben, Green, Peele und Nass waren seine Genossen. Freilich brauchen wir den Worten der viel später gedichteten Ballade keinen Glauben beizumessen; sie lauten, wenn es der Mühe werth ist, den alten Lirum- larum zu übersetzen: ''.' '.,,»>,-,>>, .. Manch Stück schrieb er zu andrer Neid Ruhm hatt' er ohne Maßen. Bald prunkt' er in 'nem seidnen Kleid, Bald bettelt' er.in den Straßen.' Freilich strotzen gleichzeitige Schriftsteller von Anführungen, namentlich seines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/78>, abgerufen am 21.05.2024.