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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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sundheit entwickelt. Ein gesundes kräftiges Landmädchen, die vor ihren Um¬
gebungen den großen Vorzug hat, bestimmt zu wissen, was sie will, die einen
frischen Lebensmuth und einen unternehmenden Geist mit strenger Gewissen¬
haftigkeit verbindet, erfüllt trotz aller Widerwärtigkeiten, in die sie ohne ihr
Verschulden geräth, ihre Pflicht und wird glücklich. Die Ausgabe ist schön,
und der Dichter, in seiner ganzen Wärme von ihr durchdrungen, findet eine
Reihe treffender charakteristischer Züge, um sie zu versinnlichen. Wenn im
Anfang die Handlung etwas träge vorwärts schleicht, so wird man im weitern
Verlauf durch überraschend schöne Scenen entschädigt, unter denen wir na¬
mentlich den ersten Gang Amreis zum Tanz und ihre Brautfahrt hervorheben.
Solche Scenen sind eS, die Auerbach mit Recht die allgemeine Anerkennung
nicht blos des deutschen Publicums verschafft haben. Da wir aber wünschen,
daß er uns noch durch viele ähnliche Geschichten erfreuen und erbauen möge,
müssen wir ebenso scharf aus die Fehler hinweisen, die sich schon in seinen
frühern Schriften finden, die aber dies Mal noch mehr hervortreten, und gegen
die der Dichter sehr ernsthaft ankämpfen muß, wenn sie nicht zur Manier
verknöchern sollen.

Der erste Fehler liegt darin, daß er es liebt, die Größe und Schönheit
einer Seele weniger in Handlungen, als in Reflexionen, in geistreichen Aper¬
cus darzustellen. Es ist damit die Gefahr verbunden, daß er seinen Helden
Reflexionen unterschiebt, die nicht ihnen, sondern dem Dichter angehören, die
mit der Unbefangenheit, welche er an ihnen rühmt., nicht vereinbar sind. Dazu
kommt noch, daß er sich nicht erwehren kann, seinen eignen Schöpfungen
gegenüber die Rolle zu spielen , die er früher in der Figur des KohlebraterS
so köstlich verspottet hat. Er beachtet die geringste ihrer Handlungen mit einer
fast ängstlichen Aufmerksamkeit und knüpft Betrachtungen daran, deren Pathos
in keinem richtigen Verhältniß zu seinem Gegenstand steht. Man höre fol¬
gende Geschichte Seite 27: "Wenn daheim in stillen Winternächten die schwarze
Maraun funkelnde und Schauererregende Zaubergeschichten erzählte, da sagte
Aurel mehrmals tief aufathmend, wenn sie zu Ende waren: O Maraun, ich
muß jetzt Athem schöpfen, ich hab,, so lange ihr gesprochen habt, den Athem
anhalten müssen." Der Dichter kann sich nicht erwehren, dies Ereigniß mit
folgender Bemerkung zu begleiten: "War das nicht ein Zeichen tiefer Hin¬
gebung an alle Vorkommnisse, und doch wieder ein Merkmal freier Beobach¬
tung derselben und besonders des eignen Verhaltens dabei? Das Beste aber
ist, daß auf die Kinder elementarische Kräfte einwirken, die nicht fragen: waS
wird daraus werden?"

O wackerer Wadeleswirth, warum bist du nicht mehr zugegen, um dem
wohlmeinenden Kohlebrater für diese tiefsinnige Idee die angemessene Verbeu¬
gung zu machen! -- Es ist ganz recht, daß der Dichter sich die innere Be-


sundheit entwickelt. Ein gesundes kräftiges Landmädchen, die vor ihren Um¬
gebungen den großen Vorzug hat, bestimmt zu wissen, was sie will, die einen
frischen Lebensmuth und einen unternehmenden Geist mit strenger Gewissen¬
haftigkeit verbindet, erfüllt trotz aller Widerwärtigkeiten, in die sie ohne ihr
Verschulden geräth, ihre Pflicht und wird glücklich. Die Ausgabe ist schön,
und der Dichter, in seiner ganzen Wärme von ihr durchdrungen, findet eine
Reihe treffender charakteristischer Züge, um sie zu versinnlichen. Wenn im
Anfang die Handlung etwas träge vorwärts schleicht, so wird man im weitern
Verlauf durch überraschend schöne Scenen entschädigt, unter denen wir na¬
mentlich den ersten Gang Amreis zum Tanz und ihre Brautfahrt hervorheben.
Solche Scenen sind eS, die Auerbach mit Recht die allgemeine Anerkennung
nicht blos des deutschen Publicums verschafft haben. Da wir aber wünschen,
daß er uns noch durch viele ähnliche Geschichten erfreuen und erbauen möge,
müssen wir ebenso scharf aus die Fehler hinweisen, die sich schon in seinen
frühern Schriften finden, die aber dies Mal noch mehr hervortreten, und gegen
die der Dichter sehr ernsthaft ankämpfen muß, wenn sie nicht zur Manier
verknöchern sollen.

Der erste Fehler liegt darin, daß er es liebt, die Größe und Schönheit
einer Seele weniger in Handlungen, als in Reflexionen, in geistreichen Aper¬
cus darzustellen. Es ist damit die Gefahr verbunden, daß er seinen Helden
Reflexionen unterschiebt, die nicht ihnen, sondern dem Dichter angehören, die
mit der Unbefangenheit, welche er an ihnen rühmt., nicht vereinbar sind. Dazu
kommt noch, daß er sich nicht erwehren kann, seinen eignen Schöpfungen
gegenüber die Rolle zu spielen , die er früher in der Figur des KohlebraterS
so köstlich verspottet hat. Er beachtet die geringste ihrer Handlungen mit einer
fast ängstlichen Aufmerksamkeit und knüpft Betrachtungen daran, deren Pathos
in keinem richtigen Verhältniß zu seinem Gegenstand steht. Man höre fol¬
gende Geschichte Seite 27: „Wenn daheim in stillen Winternächten die schwarze
Maraun funkelnde und Schauererregende Zaubergeschichten erzählte, da sagte
Aurel mehrmals tief aufathmend, wenn sie zu Ende waren: O Maraun, ich
muß jetzt Athem schöpfen, ich hab,, so lange ihr gesprochen habt, den Athem
anhalten müssen." Der Dichter kann sich nicht erwehren, dies Ereigniß mit
folgender Bemerkung zu begleiten: „War das nicht ein Zeichen tiefer Hin¬
gebung an alle Vorkommnisse, und doch wieder ein Merkmal freier Beobach¬
tung derselben und besonders des eignen Verhaltens dabei? Das Beste aber
ist, daß auf die Kinder elementarische Kräfte einwirken, die nicht fragen: waS
wird daraus werden?"

O wackerer Wadeleswirth, warum bist du nicht mehr zugegen, um dem
wohlmeinenden Kohlebrater für diese tiefsinnige Idee die angemessene Verbeu¬
gung zu machen! — Es ist ganz recht, daß der Dichter sich die innere Be-


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[0136] sundheit entwickelt. Ein gesundes kräftiges Landmädchen, die vor ihren Um¬ gebungen den großen Vorzug hat, bestimmt zu wissen, was sie will, die einen frischen Lebensmuth und einen unternehmenden Geist mit strenger Gewissen¬ haftigkeit verbindet, erfüllt trotz aller Widerwärtigkeiten, in die sie ohne ihr Verschulden geräth, ihre Pflicht und wird glücklich. Die Ausgabe ist schön, und der Dichter, in seiner ganzen Wärme von ihr durchdrungen, findet eine Reihe treffender charakteristischer Züge, um sie zu versinnlichen. Wenn im Anfang die Handlung etwas träge vorwärts schleicht, so wird man im weitern Verlauf durch überraschend schöne Scenen entschädigt, unter denen wir na¬ mentlich den ersten Gang Amreis zum Tanz und ihre Brautfahrt hervorheben. Solche Scenen sind eS, die Auerbach mit Recht die allgemeine Anerkennung nicht blos des deutschen Publicums verschafft haben. Da wir aber wünschen, daß er uns noch durch viele ähnliche Geschichten erfreuen und erbauen möge, müssen wir ebenso scharf aus die Fehler hinweisen, die sich schon in seinen frühern Schriften finden, die aber dies Mal noch mehr hervortreten, und gegen die der Dichter sehr ernsthaft ankämpfen muß, wenn sie nicht zur Manier verknöchern sollen. Der erste Fehler liegt darin, daß er es liebt, die Größe und Schönheit einer Seele weniger in Handlungen, als in Reflexionen, in geistreichen Aper¬ cus darzustellen. Es ist damit die Gefahr verbunden, daß er seinen Helden Reflexionen unterschiebt, die nicht ihnen, sondern dem Dichter angehören, die mit der Unbefangenheit, welche er an ihnen rühmt., nicht vereinbar sind. Dazu kommt noch, daß er sich nicht erwehren kann, seinen eignen Schöpfungen gegenüber die Rolle zu spielen , die er früher in der Figur des KohlebraterS so köstlich verspottet hat. Er beachtet die geringste ihrer Handlungen mit einer fast ängstlichen Aufmerksamkeit und knüpft Betrachtungen daran, deren Pathos in keinem richtigen Verhältniß zu seinem Gegenstand steht. Man höre fol¬ gende Geschichte Seite 27: „Wenn daheim in stillen Winternächten die schwarze Maraun funkelnde und Schauererregende Zaubergeschichten erzählte, da sagte Aurel mehrmals tief aufathmend, wenn sie zu Ende waren: O Maraun, ich muß jetzt Athem schöpfen, ich hab,, so lange ihr gesprochen habt, den Athem anhalten müssen." Der Dichter kann sich nicht erwehren, dies Ereigniß mit folgender Bemerkung zu begleiten: „War das nicht ein Zeichen tiefer Hin¬ gebung an alle Vorkommnisse, und doch wieder ein Merkmal freier Beobach¬ tung derselben und besonders des eignen Verhaltens dabei? Das Beste aber ist, daß auf die Kinder elementarische Kräfte einwirken, die nicht fragen: waS wird daraus werden?" O wackerer Wadeleswirth, warum bist du nicht mehr zugegen, um dem wohlmeinenden Kohlebrater für diese tiefsinnige Idee die angemessene Verbeu¬ gung zu machen! — Es ist ganz recht, daß der Dichter sich die innere Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/136>, abgerufen am 09.05.2024.