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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Brief des Prinzen an den Herzog von Nemours nach der Revue retröspective
mit, der kurz vor der Februarrevolution geschrieben war und sich in der That
mit großer Freiheit und einem tiefen Blicke in die Verhältnisse über die da¬
malige Lage aussprach. Das Bild des orleanistischen Prinzen gibt Anlaß zu
sehr freigebigen Lobsprüchen auch für die andern Mitglieder der Familie.

Graf Morny ist ein vorzüglicher Salonmensch, das Muster eines Edel¬
mannes, ein großer Patriot, ein geistvoller Schriftsteller, ein tapferer Offizier,
ein bedeutender Nationalökonom und ein großer Staatsmann. Da wir uns
aber von den gekrönten Häuptern ein wenig entfernen, athmet der Verfasser
etwas freier und nimmt einen leisen Anlauf zum Versuche eines Tadels, der
aber auch in ein Lob gehüllt ist. Graf Morny habe ganz recht gethan, seine
Interessen an industriellen Unternehmungen zu liquidiren, denn ein Mann
wie Morny gehöre ganz dem Staate an. Der Herr Vicomte hat zwar keine
aristokratischen Vorurtheile. "Der Herr Graf Morny," sagt er, "ein eleganter
Edelmann, ein glänzender Offizier, Deputirter, ja sogar ehemaliger Minister,
hat sich bei ernsten Geschäften betheiligt. Er hat seinen Namen damit ver¬
knüpft; ganz gut, aber er würde, in solchen Banden verbleibend, sich verringert
fühlen, und nun er sich davon losgesagt, wird er viel an Wichtigkeit und sitt¬
licher Autorität gewinnen. Regieren heißt sich aufopfern! Das ist eine Wahr¬
heit aller Zeiten und aller Regimes, die wir in den schönen Worten des Car-
dinals Richelieu zu Ludwig XIII. wiederfinden: ""die erste Bedingung für
jeden, der Theil an der Staatsregierung hat, ist sich ganz dem Publicum
hinzugeben und gar nicht an sich selbst zu denken.""

Herr Thiers wird noch immer sehr lobend uno glimpflich behandelt, seine
Vorzüge mit großem Nachdruck hervorgehoben, aber das Bild ist, wenn auch
in den einzelnen Zügen, so doch als Ganzes viel weniger geschmeichelt. Herr
Laguerronniöre adoptirte das Wort Lamartines, der von sich sagte, er sei ein
Liberaler und kein Revolutionär, während Thiers ein Revolutionär und kein
Liberaler sei.

General Cavaignac wird ungefähr so geschildert, wie von andern Schrift¬
stellern vor Laguerronniöre auch; aber der Tadel wird mit Blumen geschmückt
und im Ganzen bleibt Cavaignac ein großer Charakter und ein großer Held,
obgleich ihm Herr Laguerronniöre der Wahrheit gemäß alle Initiative abspricht
und jenen Schwung, ohne den kein bedeutender Staatsmann möglich ist. Ich
habe mich gefragt, was denn eigentlich General Cavaignac in dieser Galerie
des Herrn Vicomte zu suchen habe. Ich erinnerte mich dabei an einen andern
unparteiischen Mann. Es ist bekannt vom Fürsten Windischgrätz, daß er nach
der Besiegung der Revolution in Wien, um ein Erempel zu statuiren, aus jeder
Kategorie von Revolutionärs einen hinrichten ließ, und als er keinen andern
Juden unter der Hand hatte, den armen unschädlichen Jelineck zur Kugel aus-


Brief des Prinzen an den Herzog von Nemours nach der Revue retröspective
mit, der kurz vor der Februarrevolution geschrieben war und sich in der That
mit großer Freiheit und einem tiefen Blicke in die Verhältnisse über die da¬
malige Lage aussprach. Das Bild des orleanistischen Prinzen gibt Anlaß zu
sehr freigebigen Lobsprüchen auch für die andern Mitglieder der Familie.

Graf Morny ist ein vorzüglicher Salonmensch, das Muster eines Edel¬
mannes, ein großer Patriot, ein geistvoller Schriftsteller, ein tapferer Offizier,
ein bedeutender Nationalökonom und ein großer Staatsmann. Da wir uns
aber von den gekrönten Häuptern ein wenig entfernen, athmet der Verfasser
etwas freier und nimmt einen leisen Anlauf zum Versuche eines Tadels, der
aber auch in ein Lob gehüllt ist. Graf Morny habe ganz recht gethan, seine
Interessen an industriellen Unternehmungen zu liquidiren, denn ein Mann
wie Morny gehöre ganz dem Staate an. Der Herr Vicomte hat zwar keine
aristokratischen Vorurtheile. „Der Herr Graf Morny," sagt er, „ein eleganter
Edelmann, ein glänzender Offizier, Deputirter, ja sogar ehemaliger Minister,
hat sich bei ernsten Geschäften betheiligt. Er hat seinen Namen damit ver¬
knüpft; ganz gut, aber er würde, in solchen Banden verbleibend, sich verringert
fühlen, und nun er sich davon losgesagt, wird er viel an Wichtigkeit und sitt¬
licher Autorität gewinnen. Regieren heißt sich aufopfern! Das ist eine Wahr¬
heit aller Zeiten und aller Regimes, die wir in den schönen Worten des Car-
dinals Richelieu zu Ludwig XIII. wiederfinden: „„die erste Bedingung für
jeden, der Theil an der Staatsregierung hat, ist sich ganz dem Publicum
hinzugeben und gar nicht an sich selbst zu denken.""

Herr Thiers wird noch immer sehr lobend uno glimpflich behandelt, seine
Vorzüge mit großem Nachdruck hervorgehoben, aber das Bild ist, wenn auch
in den einzelnen Zügen, so doch als Ganzes viel weniger geschmeichelt. Herr
Laguerronniöre adoptirte das Wort Lamartines, der von sich sagte, er sei ein
Liberaler und kein Revolutionär, während Thiers ein Revolutionär und kein
Liberaler sei.

General Cavaignac wird ungefähr so geschildert, wie von andern Schrift¬
stellern vor Laguerronniöre auch; aber der Tadel wird mit Blumen geschmückt
und im Ganzen bleibt Cavaignac ein großer Charakter und ein großer Held,
obgleich ihm Herr Laguerronniöre der Wahrheit gemäß alle Initiative abspricht
und jenen Schwung, ohne den kein bedeutender Staatsmann möglich ist. Ich
habe mich gefragt, was denn eigentlich General Cavaignac in dieser Galerie
des Herrn Vicomte zu suchen habe. Ich erinnerte mich dabei an einen andern
unparteiischen Mann. Es ist bekannt vom Fürsten Windischgrätz, daß er nach
der Besiegung der Revolution in Wien, um ein Erempel zu statuiren, aus jeder
Kategorie von Revolutionärs einen hinrichten ließ, und als er keinen andern
Juden unter der Hand hatte, den armen unschädlichen Jelineck zur Kugel aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/469>, abgerufen am 09.05.2024.