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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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Horden von Zigeunern. Diese waren 'schon seit dem elften Jahrhundert, als
Kesselflicker und Diebe einzeln durchs Land gestreift, jetzt kreuzen sie in großen
Banden die Straße der Fahrenden. Solche nun, entlassene Söldner, Landsknechte,
Räuber, heimathloses Gesindel aller Art, findet sich zu ihnen in Waldherbergen
und auf der Heerstraße. So sehr sich aber ihre Zahl vermehrt, der alte Zusam¬
menhang ihrer Genossenschaft scheint eben deswegen lockerer zu werden. Und waS
wichtiger ist, die Härte des Gesetzes gegen sie wird geringer. Denn das ganze
deutsche Leben aller Classen ist frivoler, kecker, rücksichtsloser geworden. Große
Genußsucht und auffallende Freude an burlesken Scherz, an Saitenspiel und
Tanz, Gesang und mimischen Darstellungen wird in den reichgewordenen
Städten allgemein, und ebenso wird das Gesetz und seine Handhabung etwas
menschlicher, die Kirche gleichgiltiger.

So glückt es vielen vom fahrenden Geschlecht ihren Frieden mit der
bürgerlichen Gesellschaft zu machen. Sie werden Hausnarren an Fürstenhöfen,
Pritschmeister in den Städten, Gesellen der Stadlpfeifer, Spielleute der Lands¬
knechtbanden; die fahrenden Frauen gehen in die Frauenhäuser an der Stadt¬
mauer und verfallen so der wohlwollenden Aufsicht einer städtischen Polizei.
Endlich kommt die Reformation und fegt mit ihrem scharfen Besen viel von
dieser Spreu des Mittelalters weg. Im sechzehnten Jahrhundert haben die
fahrenden Leute als besondere Classe von Rechtlosen aufgehört. Aber die
Geschäfte der Gaukler, Lustigmacher, Charlatane und Komödianten haben
allerdings nicht aufgehört. Die alten Industriezweige erhalten sich in etwas
veränderter Form, schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert umgewandelt durch
den mächtigen Einfluß, welchen wieder Italien auf die deutsche Bildung ausübt.
Wieder, wie im Anfänge des Mittelalters zieht ein Strom italienischer Abenteurer
in die deutschen Länder. Die Kameele aus Pisa, venetianische Wundermittel,
die Lappenjacke, Larve und die Filzmütze, der italienischen Narren werden
über die Alpen als neues Narrenwerk zu unserem alten Vorrath gefügt und die
Wunderdoctoren, Schatzgräber, Goldmacher, Geisterbanner, pilgern aus dem
Mutterlande unserer Cultur als ein neues Geschlecht von Fahrenden bis tief in
das 18. Jahrhundert durch die deutschen Kreise.

Von dem Treiben solcher fahrenden Leute im sechzehnten Jahrhundert hat
der Italiener Garzoni in seinem Buch: "?iii/?,g, universal"", einer Beschreibung
aller Künste und Handwerke seiner Zeit (Venedig -16-10.6.), ein ergötzliches Bild
gegeben. Sein Werk, im Jahr -I6i1 von Matthäus Merian, unter dem Titel
"Allgemeiner Schauplatz aller Künste, Professionen und Handwerken" ins
Deutsche übertragen, ist zwar nicht selten, aber wenig bekannt. Da die Schil¬
derung des Jtalieners in der Hauptsache auch die Verhältnisse des westlichen
Deutschlands porträtirt, so sei in dem Folgenden nach Merians deutscher Bear-


Horden von Zigeunern. Diese waren 'schon seit dem elften Jahrhundert, als
Kesselflicker und Diebe einzeln durchs Land gestreift, jetzt kreuzen sie in großen
Banden die Straße der Fahrenden. Solche nun, entlassene Söldner, Landsknechte,
Räuber, heimathloses Gesindel aller Art, findet sich zu ihnen in Waldherbergen
und auf der Heerstraße. So sehr sich aber ihre Zahl vermehrt, der alte Zusam¬
menhang ihrer Genossenschaft scheint eben deswegen lockerer zu werden. Und waS
wichtiger ist, die Härte des Gesetzes gegen sie wird geringer. Denn das ganze
deutsche Leben aller Classen ist frivoler, kecker, rücksichtsloser geworden. Große
Genußsucht und auffallende Freude an burlesken Scherz, an Saitenspiel und
Tanz, Gesang und mimischen Darstellungen wird in den reichgewordenen
Städten allgemein, und ebenso wird das Gesetz und seine Handhabung etwas
menschlicher, die Kirche gleichgiltiger.

So glückt es vielen vom fahrenden Geschlecht ihren Frieden mit der
bürgerlichen Gesellschaft zu machen. Sie werden Hausnarren an Fürstenhöfen,
Pritschmeister in den Städten, Gesellen der Stadlpfeifer, Spielleute der Lands¬
knechtbanden; die fahrenden Frauen gehen in die Frauenhäuser an der Stadt¬
mauer und verfallen so der wohlwollenden Aufsicht einer städtischen Polizei.
Endlich kommt die Reformation und fegt mit ihrem scharfen Besen viel von
dieser Spreu des Mittelalters weg. Im sechzehnten Jahrhundert haben die
fahrenden Leute als besondere Classe von Rechtlosen aufgehört. Aber die
Geschäfte der Gaukler, Lustigmacher, Charlatane und Komödianten haben
allerdings nicht aufgehört. Die alten Industriezweige erhalten sich in etwas
veränderter Form, schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert umgewandelt durch
den mächtigen Einfluß, welchen wieder Italien auf die deutsche Bildung ausübt.
Wieder, wie im Anfänge des Mittelalters zieht ein Strom italienischer Abenteurer
in die deutschen Länder. Die Kameele aus Pisa, venetianische Wundermittel,
die Lappenjacke, Larve und die Filzmütze, der italienischen Narren werden
über die Alpen als neues Narrenwerk zu unserem alten Vorrath gefügt und die
Wunderdoctoren, Schatzgräber, Goldmacher, Geisterbanner, pilgern aus dem
Mutterlande unserer Cultur als ein neues Geschlecht von Fahrenden bis tief in
das 18. Jahrhundert durch die deutschen Kreise.

Von dem Treiben solcher fahrenden Leute im sechzehnten Jahrhundert hat
der Italiener Garzoni in seinem Buch: „?iii/?,g, universal«", einer Beschreibung
aller Künste und Handwerke seiner Zeit (Venedig -16-10.6.), ein ergötzliches Bild
gegeben. Sein Werk, im Jahr -I6i1 von Matthäus Merian, unter dem Titel
„Allgemeiner Schauplatz aller Künste, Professionen und Handwerken" ins
Deutsche übertragen, ist zwar nicht selten, aber wenig bekannt. Da die Schil¬
derung des Jtalieners in der Hauptsache auch die Verhältnisse des westlichen
Deutschlands porträtirt, so sei in dem Folgenden nach Merians deutscher Bear-


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[0520] Horden von Zigeunern. Diese waren 'schon seit dem elften Jahrhundert, als Kesselflicker und Diebe einzeln durchs Land gestreift, jetzt kreuzen sie in großen Banden die Straße der Fahrenden. Solche nun, entlassene Söldner, Landsknechte, Räuber, heimathloses Gesindel aller Art, findet sich zu ihnen in Waldherbergen und auf der Heerstraße. So sehr sich aber ihre Zahl vermehrt, der alte Zusam¬ menhang ihrer Genossenschaft scheint eben deswegen lockerer zu werden. Und waS wichtiger ist, die Härte des Gesetzes gegen sie wird geringer. Denn das ganze deutsche Leben aller Classen ist frivoler, kecker, rücksichtsloser geworden. Große Genußsucht und auffallende Freude an burlesken Scherz, an Saitenspiel und Tanz, Gesang und mimischen Darstellungen wird in den reichgewordenen Städten allgemein, und ebenso wird das Gesetz und seine Handhabung etwas menschlicher, die Kirche gleichgiltiger. So glückt es vielen vom fahrenden Geschlecht ihren Frieden mit der bürgerlichen Gesellschaft zu machen. Sie werden Hausnarren an Fürstenhöfen, Pritschmeister in den Städten, Gesellen der Stadlpfeifer, Spielleute der Lands¬ knechtbanden; die fahrenden Frauen gehen in die Frauenhäuser an der Stadt¬ mauer und verfallen so der wohlwollenden Aufsicht einer städtischen Polizei. Endlich kommt die Reformation und fegt mit ihrem scharfen Besen viel von dieser Spreu des Mittelalters weg. Im sechzehnten Jahrhundert haben die fahrenden Leute als besondere Classe von Rechtlosen aufgehört. Aber die Geschäfte der Gaukler, Lustigmacher, Charlatane und Komödianten haben allerdings nicht aufgehört. Die alten Industriezweige erhalten sich in etwas veränderter Form, schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert umgewandelt durch den mächtigen Einfluß, welchen wieder Italien auf die deutsche Bildung ausübt. Wieder, wie im Anfänge des Mittelalters zieht ein Strom italienischer Abenteurer in die deutschen Länder. Die Kameele aus Pisa, venetianische Wundermittel, die Lappenjacke, Larve und die Filzmütze, der italienischen Narren werden über die Alpen als neues Narrenwerk zu unserem alten Vorrath gefügt und die Wunderdoctoren, Schatzgräber, Goldmacher, Geisterbanner, pilgern aus dem Mutterlande unserer Cultur als ein neues Geschlecht von Fahrenden bis tief in das 18. Jahrhundert durch die deutschen Kreise. Von dem Treiben solcher fahrenden Leute im sechzehnten Jahrhundert hat der Italiener Garzoni in seinem Buch: „?iii/?,g, universal«", einer Beschreibung aller Künste und Handwerke seiner Zeit (Venedig -16-10.6.), ein ergötzliches Bild gegeben. Sein Werk, im Jahr -I6i1 von Matthäus Merian, unter dem Titel „Allgemeiner Schauplatz aller Künste, Professionen und Handwerken" ins Deutsche übertragen, ist zwar nicht selten, aber wenig bekannt. Da die Schil¬ derung des Jtalieners in der Hauptsache auch die Verhältnisse des westlichen Deutschlands porträtirt, so sei in dem Folgenden nach Merians deutscher Bear-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/520>, abgerufen am 09.05.2024.