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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band.

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wegung geschenkt, die wenigstens ebenso bedeutend und in ihren Resultaten
viel erfreulicher war: der Wiedergeburt der wissenschaftlichen Literatur, na¬
mentlich der Geschichtschreibung. Sie beginnt in der Mitte der zwanziger
Jahre und stockt plötzlich nach der Julirevolution, freilich nur aus ganz äu¬
ßern Gründen, denn die Gelehrten, die theils durch ihre Vorlesungen an der
Universität, theils durch ihre Schriften die öffentliche Bildung vertraten und
förderten: Guizot,Willemain, Cousin, Thiers,' Nvmusat u. s. w., wurden
plötzlich in den Staatsdienst gezogen und es entstand eine Lücke in der Literatur,
zu deren Ausfüllung sich neue Kräfte erst allmälig wieder ansammeln mußten.
Mit diesen Männern in' Bezug auf die politische Ueberzeugung wie auf das
künstlerische und wissenschaftliche Streben in innigster Uebereinstimmung blieb
der Geschichtschreiber, dessen Analyse uns heute beschäftigt, im Privatleben;
aber auch er wurde im Lauf seiner ruhmvollen Arbeiten durch den traurigen
Zustand seiner Gesundheit unterbrochen, und nur seiner hohen geistigen Kraft
gelang es, allmälig über diese Hindernisse Herr zu werben.

Augustin Thierry wurde 1793 in Blois geboren. Wie ihm zuerst
durch Chateaubriands Les Martyrs sein wissenschaftlicher Beruf aufging, hat
er uns selber in der Vorrede zu den Geschichten der Merovinger erzählt.

"Ich hatte in unserm Schulbuch gelesen: ""Die Franken oder Franzosen,
in deren Gewalt schon Tournai und die Ufer der Scheide waren, hatten sich
bis zu der Somme ausgebreitet. Chlodwig, Sohn König Childerichs, bestieg
den Thron im Jahr 481 und befestigte durch seine Siege die Grundlage der
französischen Monarchie."" Meine ganze Wissenschaft des Mittelalters bestand
in diesen Sätzen und einigen andern von derselben Tragweite, welche ich aus¬
wendig gelernt hatte. Franzosen, Thron, Monarchie, das war mir Anfang
und Ende unserer Nationalgeschichte. Nichts hatte mir eine Vorstellung von
jenen entsetzlichen Franken Chateaubriands gegeben, geschmückt mit der Hülle
der Bären, der Meerkälber, der Auerochsen und der Eber, von diesem Lager,
verschanzt hinter ledernen Schiffen und mächtigen Stiergespanncn, von diesem
in einem Dreieck aufgestellten Heere, in dem nichts zu unterscheiden war, als
ein Lanzcnwald, Thierfelle und nackte Leiber. Wie sich nun allmälig dieser
so dramatische Gegensatz des wilden Kriegers und des civilisirten Soldaten
entwickelte, wurde ich mehr und mehr hingerissen. Das Kriegslied der Franken
gab mir einen elektrischen Schlag. Ich sprang von meinem Sitz auf, und
von einem Ende des Saals zum andern schreitend, wiederholte ich mit lauter
Stimme, indem ich meine Tritte aus dem steinernen Boden klingen ließ:

Pharamund, Pharamund, wir kämpften mit dem Schwert.

Wir schleuderten die zweischneidige Streitart, Schweiß , troff von der
Stirne der Krieger und rieselte ihre Arme entlang. Die Adler und die Raub¬
vögel mit gelben Füßen stießen ein Freudengeschrei aus, der Rabe schwamm


wegung geschenkt, die wenigstens ebenso bedeutend und in ihren Resultaten
viel erfreulicher war: der Wiedergeburt der wissenschaftlichen Literatur, na¬
mentlich der Geschichtschreibung. Sie beginnt in der Mitte der zwanziger
Jahre und stockt plötzlich nach der Julirevolution, freilich nur aus ganz äu¬
ßern Gründen, denn die Gelehrten, die theils durch ihre Vorlesungen an der
Universität, theils durch ihre Schriften die öffentliche Bildung vertraten und
förderten: Guizot,Willemain, Cousin, Thiers,' Nvmusat u. s. w., wurden
plötzlich in den Staatsdienst gezogen und es entstand eine Lücke in der Literatur,
zu deren Ausfüllung sich neue Kräfte erst allmälig wieder ansammeln mußten.
Mit diesen Männern in' Bezug auf die politische Ueberzeugung wie auf das
künstlerische und wissenschaftliche Streben in innigster Uebereinstimmung blieb
der Geschichtschreiber, dessen Analyse uns heute beschäftigt, im Privatleben;
aber auch er wurde im Lauf seiner ruhmvollen Arbeiten durch den traurigen
Zustand seiner Gesundheit unterbrochen, und nur seiner hohen geistigen Kraft
gelang es, allmälig über diese Hindernisse Herr zu werben.

Augustin Thierry wurde 1793 in Blois geboren. Wie ihm zuerst
durch Chateaubriands Les Martyrs sein wissenschaftlicher Beruf aufging, hat
er uns selber in der Vorrede zu den Geschichten der Merovinger erzählt.

„Ich hatte in unserm Schulbuch gelesen: „„Die Franken oder Franzosen,
in deren Gewalt schon Tournai und die Ufer der Scheide waren, hatten sich
bis zu der Somme ausgebreitet. Chlodwig, Sohn König Childerichs, bestieg
den Thron im Jahr 481 und befestigte durch seine Siege die Grundlage der
französischen Monarchie."" Meine ganze Wissenschaft des Mittelalters bestand
in diesen Sätzen und einigen andern von derselben Tragweite, welche ich aus¬
wendig gelernt hatte. Franzosen, Thron, Monarchie, das war mir Anfang
und Ende unserer Nationalgeschichte. Nichts hatte mir eine Vorstellung von
jenen entsetzlichen Franken Chateaubriands gegeben, geschmückt mit der Hülle
der Bären, der Meerkälber, der Auerochsen und der Eber, von diesem Lager,
verschanzt hinter ledernen Schiffen und mächtigen Stiergespanncn, von diesem
in einem Dreieck aufgestellten Heere, in dem nichts zu unterscheiden war, als
ein Lanzcnwald, Thierfelle und nackte Leiber. Wie sich nun allmälig dieser
so dramatische Gegensatz des wilden Kriegers und des civilisirten Soldaten
entwickelte, wurde ich mehr und mehr hingerissen. Das Kriegslied der Franken
gab mir einen elektrischen Schlag. Ich sprang von meinem Sitz auf, und
von einem Ende des Saals zum andern schreitend, wiederholte ich mit lauter
Stimme, indem ich meine Tritte aus dem steinernen Boden klingen ließ:

Pharamund, Pharamund, wir kämpften mit dem Schwert.

Wir schleuderten die zweischneidige Streitart, Schweiß , troff von der
Stirne der Krieger und rieselte ihre Arme entlang. Die Adler und die Raub¬
vögel mit gelben Füßen stießen ein Freudengeschrei aus, der Rabe schwamm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103132/90>, abgerufen am 09.05.2024.