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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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lichen Wohlstand, die Einwirkung einer Maßregel auf das Ganze des Staats
und die auf die Börsen, den Zustand der Staatsfinanzen und den des Capital¬
markts, den allgemeinen Handelsgang und das Treiben der Börsenwelt. Man
wird vor allen Dingen aus die Besonderheiten des Börsenverkehrs eingehen
müssen, auf die Triebfedern, die es in Bewegung setzen, auf das Spiel der
Kräfte, die sich dabei betheiligen, um zu begreifen, daß die "Börse", dieser
ganze Verkehr mit Werth- und Creditpapieren, ein Ding ist, das zu ratio¬
nellen Folgerungen überhaupt keinen Anlaß gibt, vielleicht gar ein Unglück
für die Regierungen und Völker, das sie nur ertragen, weil sie es einmal ge¬
wohnt sind, dessen Beseitigung aber, oder mindestens Zurückführung aus ein rich¬
tiges Maß, künftigen bessern Zeiten vorbehalten bleiben muß.

Der Handel mit Staatspapieren steht im engsten Zusammen¬
hange mit derjenig e n Finanzwirthschaft, welche, statt die Bedürfnisse aus
den vorhandenen Mitteln zu bestreiten oder sie denselben anzupassen, im Schul-
denmachen ein viel bequemeres Mittel findet die Geldvorräthe zu vergrößern,
damit aber auch den Umfang der öffentlichen Bedürfnisse sehr zu erweitern.
Schuldenmachen und Verschwendung gehen bekanntlich fast stets Hand in Hand.
In früheren Zeiten, noch im vorigen Jahrhundert, hatten die Staaten in der
damals noch üblichen Methode Schulden zu contrahiren mindestens einen
Damm gegen Uebertreibungen. Sie mußten eine Art von Pfand geben d. h.
die Einkünfte eines bestimmten Zweigs der öffentlichen Finanzen, also z. B.
gewisse Zölle, dem Gläubiger bis zur Abtragung der Schuld anweisen. In
den napoleonischen Kriegen entwickelte sich zuerst in England das jetzige System,
nach welchem der gesammte Staatscredit dem öffentlichen Gläubiger zum
Rückhalt dient, zur vollen Blüte, und erhielt eine noch weitere Entwicklung,
als nach wiederhergestelltem Frieden die meisten der europäischen Staaten, vor
allem Frankreich, das die große KriegScontribution zu tragen hatte, starker
Geldmittel bedurften, um nach der vorangegangenen Erschöpfung vorwärtskom¬
men zu können, ohne die Volkskraft unmittelbar in Anspruch zu nehmen. In
dieser Zeit legte die europäische Finanzmacht der Rothschild den Grundstein
zu ihren vielen Millionen. Später war es besonders Oestreich, dessen zerrüt¬
tete Finanzen wiederholte Anleihen nöthig machten, aus denen das rothschildsche
Haus reichen Gewinn zog. Man würde sich sehr irren, wenn man meinte,
daß das Risiko solcher Geschäfte seitens der Darleiher in einigermaßen
richtigem Verhältnisse zu den Vortheilen steht, welche stej daraus zu ziehen
wissen; vielmehr wird auch von ihnen vorzugsweise der Credit und die Ge-
schäftskenntniß in Anspruch genommen, während daS Geld selbst meist aus
andern Taschen fließt. Wir müssen die hier obwaltenden Proceduren in
etwas nähern Augenschein nehmen, weil auf ihnen das ganze Wesen des
Börsenhandels beruht.


lichen Wohlstand, die Einwirkung einer Maßregel auf das Ganze des Staats
und die auf die Börsen, den Zustand der Staatsfinanzen und den des Capital¬
markts, den allgemeinen Handelsgang und das Treiben der Börsenwelt. Man
wird vor allen Dingen aus die Besonderheiten des Börsenverkehrs eingehen
müssen, auf die Triebfedern, die es in Bewegung setzen, auf das Spiel der
Kräfte, die sich dabei betheiligen, um zu begreifen, daß die „Börse", dieser
ganze Verkehr mit Werth- und Creditpapieren, ein Ding ist, das zu ratio¬
nellen Folgerungen überhaupt keinen Anlaß gibt, vielleicht gar ein Unglück
für die Regierungen und Völker, das sie nur ertragen, weil sie es einmal ge¬
wohnt sind, dessen Beseitigung aber, oder mindestens Zurückführung aus ein rich¬
tiges Maß, künftigen bessern Zeiten vorbehalten bleiben muß.

Der Handel mit Staatspapieren steht im engsten Zusammen¬
hange mit derjenig e n Finanzwirthschaft, welche, statt die Bedürfnisse aus
den vorhandenen Mitteln zu bestreiten oder sie denselben anzupassen, im Schul-
denmachen ein viel bequemeres Mittel findet die Geldvorräthe zu vergrößern,
damit aber auch den Umfang der öffentlichen Bedürfnisse sehr zu erweitern.
Schuldenmachen und Verschwendung gehen bekanntlich fast stets Hand in Hand.
In früheren Zeiten, noch im vorigen Jahrhundert, hatten die Staaten in der
damals noch üblichen Methode Schulden zu contrahiren mindestens einen
Damm gegen Uebertreibungen. Sie mußten eine Art von Pfand geben d. h.
die Einkünfte eines bestimmten Zweigs der öffentlichen Finanzen, also z. B.
gewisse Zölle, dem Gläubiger bis zur Abtragung der Schuld anweisen. In
den napoleonischen Kriegen entwickelte sich zuerst in England das jetzige System,
nach welchem der gesammte Staatscredit dem öffentlichen Gläubiger zum
Rückhalt dient, zur vollen Blüte, und erhielt eine noch weitere Entwicklung,
als nach wiederhergestelltem Frieden die meisten der europäischen Staaten, vor
allem Frankreich, das die große KriegScontribution zu tragen hatte, starker
Geldmittel bedurften, um nach der vorangegangenen Erschöpfung vorwärtskom¬
men zu können, ohne die Volkskraft unmittelbar in Anspruch zu nehmen. In
dieser Zeit legte die europäische Finanzmacht der Rothschild den Grundstein
zu ihren vielen Millionen. Später war es besonders Oestreich, dessen zerrüt¬
tete Finanzen wiederholte Anleihen nöthig machten, aus denen das rothschildsche
Haus reichen Gewinn zog. Man würde sich sehr irren, wenn man meinte,
daß das Risiko solcher Geschäfte seitens der Darleiher in einigermaßen
richtigem Verhältnisse zu den Vortheilen steht, welche stej daraus zu ziehen
wissen; vielmehr wird auch von ihnen vorzugsweise der Credit und die Ge-
schäftskenntniß in Anspruch genommen, während daS Geld selbst meist aus
andern Taschen fließt. Wir müssen die hier obwaltenden Proceduren in
etwas nähern Augenschein nehmen, weil auf ihnen das ganze Wesen des
Börsenhandels beruht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/90>, abgerufen am 24.05.2024.