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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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stand, wieder an die vorige Stelle. Aus der späteren römischen Zeit berichtet
der ältere Plinius (Naturgesch. VII. 19.), daß ein gewisser Salvino 200 Pfd.
Gewicht an jeder Hand und jedem Fuß und t00 Pfd. auf den Schultern eine
Stiege hinauf gegangen sei. Plinius selbst sah den erwähnten Athanatuö
in einem bleiernen Brustharnische, welcher S00 Pfd. wog und mit ebenso
schweren Hochschuhen über die Bühne schreiten. Der Niese Linus trug auf
jedem Arme 7-8 Knaben und der satirische Martial (V. 12.) benutzte dies,
um einen Dandy seiner Zeit damit zu vergleichen, der an einem einzigen
Finger mehr als zehn Mädchen hängen habe! Der Usurpator Firmus endlich
ließ sich einen Ambos auf die Brust setzen und mit großen Hämmern darauf
schlagen (VoxisL. i.), ein Kunststück, das ihm später Viele nachgemacht haben.
Noch mehr Staunen erregte die LeibesstÄrke, wenn sie mit Balancirkünsten
verbunden gezeigt wurde. So balancirte der Athlet Masthlion zu Maruals
Zeit (a. a. O.) eine Stange mit schweren Gewichten auf der Stirn, und der
heilige Chrysostomus, obgleich er derartige Leistungen als Forderungen des
Teufels an die Menschen verdammt, kann ihnen doch seine Bewunderung nicht
versagen: "Wie soll man von denen sprechen, welche auf der Stirn eine
Stange so unbeweglich, wie einen festgewurzelten Baum balanciren? Und das
ist noch nicht das Wunderbarste. Sie lassen noch zwei Kinder auf der Spitze
der Stange mit einander ringen und weder die Hände noch irgend ein anderer
Theil des Körpers, sondern allein die Stirn hält fester als jede andere Bande
diese Stange unerschütterlich." Auch die jetzt bei jeder äquilibristischen Bor¬
stellung unerläßliche Menschenpyramide ist ein altes Stückchen. Claudia" er¬
wähnt in seinem Festgedicht aus das Consulat des Mallius Theodorus der
Jongleure "welche sich, wie Bögel, in die Lüfte schwingen und mit den in
schneller Verschlingung emporwachsenden Leibern eine Burg erbauen, auf deren
Spitze zuletzt ein Knabe sich hebt, und an dem Fuße frei schwebt oder ge¬
schnellten Sprunges wieder auf die Füße oder den Kopf zu stehen kommt."

Noch merkwürdiger sind die besonders auf Schnellkraft des Körpers ba-
sirten Leistungen der alten Luftspringer und Schwingkünstler (yet-ruriswe oder
petaminarri), die nach dem astronomischen Gedichte des Manilius (V. S38.)
unter dem Zeichen deS Delphins geboren sein sollten. Ihre verwegenen Künste
hingen e"g mit dem Petaurum, einem hohen und starken Schwing- oder
Schaukelgerüste zusammen, dessen räthselhafte Construction den Philologen viel
Kopfzerbrechen verursacht hat. So viel geht aus den unklaren Stellen her¬
vor, daß daS Gerüst nicht sest stand, sondern durch einen emporschnellenden
sloß-dem Sprunge zu Hilfe kam. Manilius selbst spricht von dem "Heraus-
schleudeiu (exeutvrch der Körper aus dem Petaurum und Juvenal (XlV. 26S.)
vom "Hin- und Herwerfen" sMCtare); und so würde mil dieser Vorstellung
allerdings auch die von Noulez (MliwAes ac plril. vruxsllks, 1846. V. p. 288.)


Grenzboten IV. 13

stand, wieder an die vorige Stelle. Aus der späteren römischen Zeit berichtet
der ältere Plinius (Naturgesch. VII. 19.), daß ein gewisser Salvino 200 Pfd.
Gewicht an jeder Hand und jedem Fuß und t00 Pfd. auf den Schultern eine
Stiege hinauf gegangen sei. Plinius selbst sah den erwähnten Athanatuö
in einem bleiernen Brustharnische, welcher S00 Pfd. wog und mit ebenso
schweren Hochschuhen über die Bühne schreiten. Der Niese Linus trug auf
jedem Arme 7-8 Knaben und der satirische Martial (V. 12.) benutzte dies,
um einen Dandy seiner Zeit damit zu vergleichen, der an einem einzigen
Finger mehr als zehn Mädchen hängen habe! Der Usurpator Firmus endlich
ließ sich einen Ambos auf die Brust setzen und mit großen Hämmern darauf
schlagen (VoxisL. i.), ein Kunststück, das ihm später Viele nachgemacht haben.
Noch mehr Staunen erregte die LeibesstÄrke, wenn sie mit Balancirkünsten
verbunden gezeigt wurde. So balancirte der Athlet Masthlion zu Maruals
Zeit (a. a. O.) eine Stange mit schweren Gewichten auf der Stirn, und der
heilige Chrysostomus, obgleich er derartige Leistungen als Forderungen des
Teufels an die Menschen verdammt, kann ihnen doch seine Bewunderung nicht
versagen: „Wie soll man von denen sprechen, welche auf der Stirn eine
Stange so unbeweglich, wie einen festgewurzelten Baum balanciren? Und das
ist noch nicht das Wunderbarste. Sie lassen noch zwei Kinder auf der Spitze
der Stange mit einander ringen und weder die Hände noch irgend ein anderer
Theil des Körpers, sondern allein die Stirn hält fester als jede andere Bande
diese Stange unerschütterlich." Auch die jetzt bei jeder äquilibristischen Bor¬
stellung unerläßliche Menschenpyramide ist ein altes Stückchen. Claudia» er¬
wähnt in seinem Festgedicht aus das Consulat des Mallius Theodorus der
Jongleure „welche sich, wie Bögel, in die Lüfte schwingen und mit den in
schneller Verschlingung emporwachsenden Leibern eine Burg erbauen, auf deren
Spitze zuletzt ein Knabe sich hebt, und an dem Fuße frei schwebt oder ge¬
schnellten Sprunges wieder auf die Füße oder den Kopf zu stehen kommt."

Noch merkwürdiger sind die besonders auf Schnellkraft des Körpers ba-
sirten Leistungen der alten Luftspringer und Schwingkünstler (yet-ruriswe oder
petaminarri), die nach dem astronomischen Gedichte des Manilius (V. S38.)
unter dem Zeichen deS Delphins geboren sein sollten. Ihre verwegenen Künste
hingen e»g mit dem Petaurum, einem hohen und starken Schwing- oder
Schaukelgerüste zusammen, dessen räthselhafte Construction den Philologen viel
Kopfzerbrechen verursacht hat. So viel geht aus den unklaren Stellen her¬
vor, daß daS Gerüst nicht sest stand, sondern durch einen emporschnellenden
sloß-dem Sprunge zu Hilfe kam. Manilius selbst spricht von dem „Heraus-
schleudeiu (exeutvrch der Körper aus dem Petaurum und Juvenal (XlV. 26S.)
vom „Hin- und Herwerfen" sMCtare); und so würde mil dieser Vorstellung
allerdings auch die von Noulez (MliwAes ac plril. vruxsllks, 1846. V. p. 288.)


Grenzboten IV. 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/105>, abgerufen am 15.06.2024.