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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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saitenfaden in seinen hohen Stelzschuhen spaziert sein, sondern nur auf einem
möglichst dünnen Seile, damit es den Anschein gewänne, "als schwebte er in
den Lüften." Unter den Merkwürdigkeiten dieser Spiele erwähnt der Biograph
auch einen "Wandläufer" (Tichobales), welcher erst einen Bären foppte und
reizte und dann sich auf der Flucht dadurch rettete, daß er eine Wand hinauf
kletterte. Aus einer Parallelstelle im Wörterbuch des Suidas hinter dem Worte
EurybatuS) ersteht man, baß eS mehr solche gefährliche Künstler gab. Cury-
batuö war nämlich ein durch Einbrüche berüchtigter Dieb und saß einst im
Gefängniß. Seine Wächter berauschten sich und kamen auf Den Einfall, ihren
Gefangenen loszubinden und aufzufordern, daß er ihnen zeige, wie er die
Häuser ersteige. Anfangs weigerte sich der Schurke, über endlich legte er sich
seine Stacheleisen (Vergl. ^rislaenet. ep. l. 20.) zurecht und begann vor den
staunenden Wächtern die senkrechte Wand des Hauses zu erklettern. AIS er
aber das Dach erreicht hatte, vergaß er die Rückkehr und verschwand, ehe die
Häscher um das Haus herumkommen konnten. -- Außer dem Kletterer gab
es bei den Spielen des Caninus Bären, welche mimische Tänze aufführten,
ein Concert von 100 Trompetern, 100 Krummflötenspiclern und 100 Chor¬
pfeifern, ferner 1000 Pantomimen und Gymnasteu! -- Eine wahre Pflanz¬
stätte der Seiltänzerkunst scheint aber, wie schon angedeutet, die am Marma-
rameer gelegene reiche Handelsstadt Cyzikus gewesen zu sein. Ihr Wohlstand
vatirte sich von dem Sinken Albers und Mileis und erhielt sich durch kluge
Politik während ihrer Unabhängigkeitsperiode und treue Anhänglichkeit unter
dem römischen Regimente. Ihre Befestigungen, Arsenale und öffentlichen Ge¬
bäude waren weit und breit berühmt, ihr Handel wetteiferte mit den blühend¬
sten Emporien deS Mittelmeeres und sank erst durch die Raubzüge der Gothen
und die Eroberung durch die Araber. Nach einer unter Konstantin geschrie¬
benen Geographie sollen ihre Bewohner in den Luftspringerkünsten alle Völker
übertroffen und behauptet haben, daß diese Künste auch bei ihnen erfunden
worden seien. Bei ihren Festen und Spielen werden also wol derartige Künst¬
ler das Höchste geleistet haben, und die Stadt ließ sogar Münzen prägen, auf
welchen Seiltänzer, in Ausübung ihrer Kunst begriffen, abgebildet waren.
Namentlich gilt dies von einer große" Bronzemünze, welche etwa ums Jahr 212
zu Ehren deS Kaisers Caracalla, dessen Nevcoren oder I empeldiener sich die Cy-
zikener nennen durften, geschlagen worden ist (sie befiittei sich im kaiserlichen
Münzcabinet zu Paris; eine Abbildung in Böttigers Vera. Schrift. B. 3.).
Auf der einen Seite ist der Kopf deo abscheulichen Tyrannen, auf der ander"
stehen zwei schief aufgerichtete Balken oder Mastbäume, die von zwei schwä¬
cheren in spitzem Winkel gestützt werden, während nach den beiden Außenseiten
deutlich zwei Catadromi herabgezogen sind. Außerdem sind die Spitzen "ni
zwei großen, bemalten, runden Gefäßen geziert, in welchen, wie in großen


saitenfaden in seinen hohen Stelzschuhen spaziert sein, sondern nur auf einem
möglichst dünnen Seile, damit es den Anschein gewänne, „als schwebte er in
den Lüften." Unter den Merkwürdigkeiten dieser Spiele erwähnt der Biograph
auch einen „Wandläufer" (Tichobales), welcher erst einen Bären foppte und
reizte und dann sich auf der Flucht dadurch rettete, daß er eine Wand hinauf
kletterte. Aus einer Parallelstelle im Wörterbuch des Suidas hinter dem Worte
EurybatuS) ersteht man, baß eS mehr solche gefährliche Künstler gab. Cury-
batuö war nämlich ein durch Einbrüche berüchtigter Dieb und saß einst im
Gefängniß. Seine Wächter berauschten sich und kamen auf Den Einfall, ihren
Gefangenen loszubinden und aufzufordern, daß er ihnen zeige, wie er die
Häuser ersteige. Anfangs weigerte sich der Schurke, über endlich legte er sich
seine Stacheleisen (Vergl. ^rislaenet. ep. l. 20.) zurecht und begann vor den
staunenden Wächtern die senkrechte Wand des Hauses zu erklettern. AIS er
aber das Dach erreicht hatte, vergaß er die Rückkehr und verschwand, ehe die
Häscher um das Haus herumkommen konnten. — Außer dem Kletterer gab
es bei den Spielen des Caninus Bären, welche mimische Tänze aufführten,
ein Concert von 100 Trompetern, 100 Krummflötenspiclern und 100 Chor¬
pfeifern, ferner 1000 Pantomimen und Gymnasteu! — Eine wahre Pflanz¬
stätte der Seiltänzerkunst scheint aber, wie schon angedeutet, die am Marma-
rameer gelegene reiche Handelsstadt Cyzikus gewesen zu sein. Ihr Wohlstand
vatirte sich von dem Sinken Albers und Mileis und erhielt sich durch kluge
Politik während ihrer Unabhängigkeitsperiode und treue Anhänglichkeit unter
dem römischen Regimente. Ihre Befestigungen, Arsenale und öffentlichen Ge¬
bäude waren weit und breit berühmt, ihr Handel wetteiferte mit den blühend¬
sten Emporien deS Mittelmeeres und sank erst durch die Raubzüge der Gothen
und die Eroberung durch die Araber. Nach einer unter Konstantin geschrie¬
benen Geographie sollen ihre Bewohner in den Luftspringerkünsten alle Völker
übertroffen und behauptet haben, daß diese Künste auch bei ihnen erfunden
worden seien. Bei ihren Festen und Spielen werden also wol derartige Künst¬
ler das Höchste geleistet haben, und die Stadt ließ sogar Münzen prägen, auf
welchen Seiltänzer, in Ausübung ihrer Kunst begriffen, abgebildet waren.
Namentlich gilt dies von einer große» Bronzemünze, welche etwa ums Jahr 212
zu Ehren deS Kaisers Caracalla, dessen Nevcoren oder I empeldiener sich die Cy-
zikener nennen durften, geschlagen worden ist (sie befiittei sich im kaiserlichen
Münzcabinet zu Paris; eine Abbildung in Böttigers Vera. Schrift. B. 3.).
Auf der einen Seite ist der Kopf deo abscheulichen Tyrannen, auf der ander»
stehen zwei schief aufgerichtete Balken oder Mastbäume, die von zwei schwä¬
cheren in spitzem Winkel gestützt werden, während nach den beiden Außenseiten
deutlich zwei Catadromi herabgezogen sind. Außerdem sind die Spitzen »ni
zwei großen, bemalten, runden Gefäßen geziert, in welchen, wie in großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/108>, abgerufen am 14.06.2024.