Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit kleinen, runden Schilden ausführte, widmete Martial ein bewunderndes
Lobgedicht (IX, 39.). Gefährlicher wurde die Sache dann, wenn, wie Chrv-
sostomus in Antiochia sah, Schwerter in die Luft geworfen und beim Griff wieder
gehascht werden mußten. Zu erwähnen ist hier noch ein anderes Stück, welches
vorzüglich von den weiblichen Kunstgenossen geübr wurde. Der oben erwähn¬
ten Tänzerin wurde ein rings mit gezückten Schwertern gespieltes, rundes Ge¬
stell hingesetzt, in welches hinein sie ein Rad schlug. Dasselbe leisteten auch
die Gauklerinnen auf der Hochzeit des Mazedoniers Caranos (M"zu. IV, 3.).
Das Lesen und Schreiben aus einer schnell sich drehenden Töpferscheibe (nach
Xenoplr. 8xmp. 7, 2 und ?Ig,t. CatlrM. p. 29L.) scheint endlich ebenfalls eine
oft gezeigte Production der Weiber gewesen zu sein.

Es folgen nun die wirklichen Taschenspielerkünste, die eigentlichen
Wunderthaten der alten und neuen Zauberer. Geschwindigkeit und geschickte
Verdeckung deS natürlichen Zusammenhangs überraschen und belustigen hier
den Zuschauer; "die Täuschung und der Betrug," sagt Seneca (iöster Brief),
"ergötzen am meisten bei diesen Stücken; wenn du mich belehrest, wie es zu¬
geht, verliere ich den Geschmack an ihnen." Die Alten müssen natürlich in
diesem Zweige der Jonglerie den Neuern bedeutend nachstehen, da ihnen die
Hilfe der Experimentalphysik und Chemie größtentheils abging. Schon aus
diesem Grunde darf man also die Leistungen der alten Taschenspieler nicht über¬
schätzen. Wenn aber Böttiger überdies dem behangenen Tisch, der blendenden
Kerzenbeleuchtung und dem die Aufmerksamkeit ablenkenden Apparate Boskos
gegenüber die Einfachheit und die durch die Tageshelle und den Mangel an
Deckmitteln bewirkte Blosstellung der alten Escamoteure hervorhob, so hat
schon Becker (Charikles, p. 2.) diesen Irrthum widerlegt, indem er auf eine
Stelle Platos hinwies, wo es ausdrücklich heißt: "Die Gaukler stellen zwischen
sich und die Zuschauer eine Schranke, über welcher sie ihre Wunder zeigen."

DaS allergewöhnlichste Kunststück bestand in dem Spiele mit Kugeln oder
Steinchen und Bechern (die Griechen nannten deshalb die Taschenspieler "Kugel¬
spieler" oder "Kugeldiebe," unser "Gaukler" stammt wahrscheinlich vom mittel¬
alterlichen "Cauculator" und dieses vom Griechischen cane.1on d. h. Schüsselchen,
Näpfchen.) Außer vielfachen Erwähnungen dieser Hererei vermittelst der
Geschwindigkeit liefert der griechische Romanschreiber Alkiphron folgende genaue
Schilderung (III, 20.): "Es trat einer mitten unter uns und stellte auf ein
dreifüßiges Tischchen drei kleine Näpfchen, dann steckte er unter dieselben weiße,
runde Steinchen, wie wir sie an den Ufern der Bäche finden. Diese verbarg
er bald einzeln unter den Näpfchen, bald zeigte er sie uns unter einem einzigen,
bald verschwanden sie ganz und gar, und dann brachte er sie aus seinem Munde
heraus. Endlich verschluckte er sie, stellte die ihm zunächst stehenden Personen
vor sich hin und zog die Kügelchen dem einen aus der Nase, dem andern


mit kleinen, runden Schilden ausführte, widmete Martial ein bewunderndes
Lobgedicht (IX, 39.). Gefährlicher wurde die Sache dann, wenn, wie Chrv-
sostomus in Antiochia sah, Schwerter in die Luft geworfen und beim Griff wieder
gehascht werden mußten. Zu erwähnen ist hier noch ein anderes Stück, welches
vorzüglich von den weiblichen Kunstgenossen geübr wurde. Der oben erwähn¬
ten Tänzerin wurde ein rings mit gezückten Schwertern gespieltes, rundes Ge¬
stell hingesetzt, in welches hinein sie ein Rad schlug. Dasselbe leisteten auch
die Gauklerinnen auf der Hochzeit des Mazedoniers Caranos (M«zu. IV, 3.).
Das Lesen und Schreiben aus einer schnell sich drehenden Töpferscheibe (nach
Xenoplr. 8xmp. 7, 2 und ?Ig,t. CatlrM. p. 29L.) scheint endlich ebenfalls eine
oft gezeigte Production der Weiber gewesen zu sein.

Es folgen nun die wirklichen Taschenspielerkünste, die eigentlichen
Wunderthaten der alten und neuen Zauberer. Geschwindigkeit und geschickte
Verdeckung deS natürlichen Zusammenhangs überraschen und belustigen hier
den Zuschauer; „die Täuschung und der Betrug," sagt Seneca (iöster Brief),
„ergötzen am meisten bei diesen Stücken; wenn du mich belehrest, wie es zu¬
geht, verliere ich den Geschmack an ihnen." Die Alten müssen natürlich in
diesem Zweige der Jonglerie den Neuern bedeutend nachstehen, da ihnen die
Hilfe der Experimentalphysik und Chemie größtentheils abging. Schon aus
diesem Grunde darf man also die Leistungen der alten Taschenspieler nicht über¬
schätzen. Wenn aber Böttiger überdies dem behangenen Tisch, der blendenden
Kerzenbeleuchtung und dem die Aufmerksamkeit ablenkenden Apparate Boskos
gegenüber die Einfachheit und die durch die Tageshelle und den Mangel an
Deckmitteln bewirkte Blosstellung der alten Escamoteure hervorhob, so hat
schon Becker (Charikles, p. 2.) diesen Irrthum widerlegt, indem er auf eine
Stelle Platos hinwies, wo es ausdrücklich heißt: „Die Gaukler stellen zwischen
sich und die Zuschauer eine Schranke, über welcher sie ihre Wunder zeigen."

DaS allergewöhnlichste Kunststück bestand in dem Spiele mit Kugeln oder
Steinchen und Bechern (die Griechen nannten deshalb die Taschenspieler „Kugel¬
spieler" oder „Kugeldiebe," unser „Gaukler" stammt wahrscheinlich vom mittel¬
alterlichen „Cauculator" und dieses vom Griechischen cane.1on d. h. Schüsselchen,
Näpfchen.) Außer vielfachen Erwähnungen dieser Hererei vermittelst der
Geschwindigkeit liefert der griechische Romanschreiber Alkiphron folgende genaue
Schilderung (III, 20.): „Es trat einer mitten unter uns und stellte auf ein
dreifüßiges Tischchen drei kleine Näpfchen, dann steckte er unter dieselben weiße,
runde Steinchen, wie wir sie an den Ufern der Bäche finden. Diese verbarg
er bald einzeln unter den Näpfchen, bald zeigte er sie uns unter einem einzigen,
bald verschwanden sie ganz und gar, und dann brachte er sie aus seinem Munde
heraus. Endlich verschluckte er sie, stellte die ihm zunächst stehenden Personen
vor sich hin und zog die Kügelchen dem einen aus der Nase, dem andern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104846"/>
          <p xml:id="ID_320" prev="#ID_319"> mit kleinen, runden Schilden ausführte, widmete Martial ein bewunderndes<lb/>
Lobgedicht (IX, 39.). Gefährlicher wurde die Sache dann, wenn, wie Chrv-<lb/>
sostomus in Antiochia sah, Schwerter in die Luft geworfen und beim Griff wieder<lb/>
gehascht werden mußten. Zu erwähnen ist hier noch ein anderes Stück, welches<lb/>
vorzüglich von den weiblichen Kunstgenossen geübr wurde. Der oben erwähn¬<lb/>
ten Tänzerin wurde ein rings mit gezückten Schwertern gespieltes, rundes Ge¬<lb/>
stell hingesetzt, in welches hinein sie ein Rad schlug. Dasselbe leisteten auch<lb/>
die Gauklerinnen auf der Hochzeit des Mazedoniers Caranos (M«zu. IV, 3.).<lb/>
Das Lesen und Schreiben aus einer schnell sich drehenden Töpferscheibe (nach<lb/>
Xenoplr. 8xmp. 7, 2 und ?Ig,t. CatlrM. p. 29L.) scheint endlich ebenfalls eine<lb/>
oft gezeigte Production der Weiber gewesen zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_321"> Es folgen nun die wirklichen Taschenspielerkünste, die eigentlichen<lb/>
Wunderthaten der alten und neuen Zauberer. Geschwindigkeit und geschickte<lb/>
Verdeckung deS natürlichen Zusammenhangs überraschen und belustigen hier<lb/>
den Zuschauer; &#x201E;die Täuschung und der Betrug," sagt Seneca (iöster Brief),<lb/>
&#x201E;ergötzen am meisten bei diesen Stücken; wenn du mich belehrest, wie es zu¬<lb/>
geht, verliere ich den Geschmack an ihnen." Die Alten müssen natürlich in<lb/>
diesem Zweige der Jonglerie den Neuern bedeutend nachstehen, da ihnen die<lb/>
Hilfe der Experimentalphysik und Chemie größtentheils abging. Schon aus<lb/>
diesem Grunde darf man also die Leistungen der alten Taschenspieler nicht über¬<lb/>
schätzen. Wenn aber Böttiger überdies dem behangenen Tisch, der blendenden<lb/>
Kerzenbeleuchtung und dem die Aufmerksamkeit ablenkenden Apparate Boskos<lb/>
gegenüber die Einfachheit und die durch die Tageshelle und den Mangel an<lb/>
Deckmitteln bewirkte Blosstellung der alten Escamoteure hervorhob, so hat<lb/>
schon Becker (Charikles, p. 2.) diesen Irrthum widerlegt, indem er auf eine<lb/>
Stelle Platos hinwies, wo es ausdrücklich heißt: &#x201E;Die Gaukler stellen zwischen<lb/>
sich und die Zuschauer eine Schranke, über welcher sie ihre Wunder zeigen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_322" next="#ID_323"> DaS allergewöhnlichste Kunststück bestand in dem Spiele mit Kugeln oder<lb/>
Steinchen und Bechern (die Griechen nannten deshalb die Taschenspieler &#x201E;Kugel¬<lb/>
spieler" oder &#x201E;Kugeldiebe," unser &#x201E;Gaukler" stammt wahrscheinlich vom mittel¬<lb/>
alterlichen &#x201E;Cauculator" und dieses vom Griechischen cane.1on d. h. Schüsselchen,<lb/>
Näpfchen.) Außer vielfachen Erwähnungen dieser Hererei vermittelst der<lb/>
Geschwindigkeit liefert der griechische Romanschreiber Alkiphron folgende genaue<lb/>
Schilderung (III, 20.): &#x201E;Es trat einer mitten unter uns und stellte auf ein<lb/>
dreifüßiges Tischchen drei kleine Näpfchen, dann steckte er unter dieselben weiße,<lb/>
runde Steinchen, wie wir sie an den Ufern der Bäche finden. Diese verbarg<lb/>
er bald einzeln unter den Näpfchen, bald zeigte er sie uns unter einem einzigen,<lb/>
bald verschwanden sie ganz und gar, und dann brachte er sie aus seinem Munde<lb/>
heraus. Endlich verschluckte er sie, stellte die ihm zunächst stehenden Personen<lb/>
vor sich hin und zog die Kügelchen dem einen aus der Nase, dem andern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0111] mit kleinen, runden Schilden ausführte, widmete Martial ein bewunderndes Lobgedicht (IX, 39.). Gefährlicher wurde die Sache dann, wenn, wie Chrv- sostomus in Antiochia sah, Schwerter in die Luft geworfen und beim Griff wieder gehascht werden mußten. Zu erwähnen ist hier noch ein anderes Stück, welches vorzüglich von den weiblichen Kunstgenossen geübr wurde. Der oben erwähn¬ ten Tänzerin wurde ein rings mit gezückten Schwertern gespieltes, rundes Ge¬ stell hingesetzt, in welches hinein sie ein Rad schlug. Dasselbe leisteten auch die Gauklerinnen auf der Hochzeit des Mazedoniers Caranos (M«zu. IV, 3.). Das Lesen und Schreiben aus einer schnell sich drehenden Töpferscheibe (nach Xenoplr. 8xmp. 7, 2 und ?Ig,t. CatlrM. p. 29L.) scheint endlich ebenfalls eine oft gezeigte Production der Weiber gewesen zu sein. Es folgen nun die wirklichen Taschenspielerkünste, die eigentlichen Wunderthaten der alten und neuen Zauberer. Geschwindigkeit und geschickte Verdeckung deS natürlichen Zusammenhangs überraschen und belustigen hier den Zuschauer; „die Täuschung und der Betrug," sagt Seneca (iöster Brief), „ergötzen am meisten bei diesen Stücken; wenn du mich belehrest, wie es zu¬ geht, verliere ich den Geschmack an ihnen." Die Alten müssen natürlich in diesem Zweige der Jonglerie den Neuern bedeutend nachstehen, da ihnen die Hilfe der Experimentalphysik und Chemie größtentheils abging. Schon aus diesem Grunde darf man also die Leistungen der alten Taschenspieler nicht über¬ schätzen. Wenn aber Böttiger überdies dem behangenen Tisch, der blendenden Kerzenbeleuchtung und dem die Aufmerksamkeit ablenkenden Apparate Boskos gegenüber die Einfachheit und die durch die Tageshelle und den Mangel an Deckmitteln bewirkte Blosstellung der alten Escamoteure hervorhob, so hat schon Becker (Charikles, p. 2.) diesen Irrthum widerlegt, indem er auf eine Stelle Platos hinwies, wo es ausdrücklich heißt: „Die Gaukler stellen zwischen sich und die Zuschauer eine Schranke, über welcher sie ihre Wunder zeigen." DaS allergewöhnlichste Kunststück bestand in dem Spiele mit Kugeln oder Steinchen und Bechern (die Griechen nannten deshalb die Taschenspieler „Kugel¬ spieler" oder „Kugeldiebe," unser „Gaukler" stammt wahrscheinlich vom mittel¬ alterlichen „Cauculator" und dieses vom Griechischen cane.1on d. h. Schüsselchen, Näpfchen.) Außer vielfachen Erwähnungen dieser Hererei vermittelst der Geschwindigkeit liefert der griechische Romanschreiber Alkiphron folgende genaue Schilderung (III, 20.): „Es trat einer mitten unter uns und stellte auf ein dreifüßiges Tischchen drei kleine Näpfchen, dann steckte er unter dieselben weiße, runde Steinchen, wie wir sie an den Ufern der Bäche finden. Diese verbarg er bald einzeln unter den Näpfchen, bald zeigte er sie uns unter einem einzigen, bald verschwanden sie ganz und gar, und dann brachte er sie aus seinem Munde heraus. Endlich verschluckte er sie, stellte die ihm zunächst stehenden Personen vor sich hin und zog die Kügelchen dem einen aus der Nase, dem andern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/111
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/111>, abgerufen am 15.06.2024.