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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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sie schlecht auszuführen. Aus diesem Grundsatz ist der Entschluß hervor¬
gegangen, den ich Ihnen oben mitgetheilt habe. Mein Plan ist, wenn ich einmal
dieser gefährlichen Stellung entsagt habe (die Epoche einer solchen Entsagung
kann ich nicht bestimmen), mich mit meiner Frau an den Usern des Rheins
niederzulassen, wo ich als einfacher Privatmann leben will und mein Glück
in der Gesellschaft meiner Freunde und dem Studium der Natur bestehn soll.
Sie werden über mich spotten, werden sagen, daß das ein chimärisches
Project ist, Sie können es, aber warten Sie das Ereigniß ab und bann
urtheilen Sie. Ich weiß, daß Sie mich tadeln werden, aber ich kann nicht
anders, denn die Ruhe des Gewissens ist meine erste Richtschnur, und es
könnte niemals ruhig sein, wenn ich etwas unternähme, was meine Kräfte
übersteigt." Einige Jahre später, in seiner ersten Regierungszeit, also etwa
1803 oder 1804 schrieb Kaiser Alexander an seinen Lehrer Laharpe: "Wenn
die Vorsehung mich Nußland auf die Stufe der von mir erwünschten Wohl¬
fahrt führen läßt, so wird es meine erste Angelegenheit sein, die Last der
Negierung niederzulegen und mich in irgend einen Winkel Europas zurückzu¬
ziehen, wo ich mich ungestört des im Vaterlande gestifteten Guten erfreuen
kann." Aeußerungen ähnlicher Art kommen während seines ganzen Lebens so
häufig vor, daß wir an ihrer Aufrichtigkeit nicht zweifeln können, aber
zwischen jenen beiden Daten liegt das Jahr 180-1. An das entsetzliche Ereigniß
desselben dürfen wir nicht erinnern, da eS allgemein bekannt ist, aber wenn
man diese drei Daten zusammenhält, so wird man zugeben, daß Alexander
zu den räthselhaftesten Charakteren der modernen Geschichte gehört.

Mehr und mehr reifte in ihm der Entschluß, dem Thron-zu entsagen.
Zum ersten Mal bereitete er seinen jüngeren Bruder Nikolaus im Sommer
181S darauf vor: dem Monarchen seien zur Erfüllung der schweren und
ununterbrochenen Mühen, welche mit der Ausübung der ihm obliegenden
Pflichten verknüpft sind, außer andern Eigenschaften, in unserem Jahrhnnl ert
mehr als je Gesundheit und physische Kraft nothwendig, und er fühle ihre
beständige Abnahme und sehe es voraus, baß er in kurzem nicht mehr im
Stande sein werde, diese Obliegenheiten so zu erfüllen, wie er sie immer be-
gegriffen habe, deshalb halte er es für seine Pflicht und habe sich unab¬
änderlich dazu entschlossen, dem Thron zu entsagen, sobald er merke, daß bei
dem Verfall seiner Kräfte die Zeit dazu gekommen sei. Er habe seinen Entschluß
seinem Bruder Konstantin mitgetheilt und dieser sei entschlossen, gleich ihm ven
Thron zu entsagen. Beive fänden sich um so mehr dazu veranlaßt, da sie
keine legitime Nachkommenschaft besäßen. Nikolaus mußte durch diese Er¬
klärungen um so lebhafter überrascht werden, da man ihn bisher vom wirklichen
Staatsleben ziemlich fern gehalten hatte. DaS Folgende ist seine eigne Aus¬
sage. Der Großfürst war bis dahin niemals zur Theilnahme an den Staats-


sie schlecht auszuführen. Aus diesem Grundsatz ist der Entschluß hervor¬
gegangen, den ich Ihnen oben mitgetheilt habe. Mein Plan ist, wenn ich einmal
dieser gefährlichen Stellung entsagt habe (die Epoche einer solchen Entsagung
kann ich nicht bestimmen), mich mit meiner Frau an den Usern des Rheins
niederzulassen, wo ich als einfacher Privatmann leben will und mein Glück
in der Gesellschaft meiner Freunde und dem Studium der Natur bestehn soll.
Sie werden über mich spotten, werden sagen, daß das ein chimärisches
Project ist, Sie können es, aber warten Sie das Ereigniß ab und bann
urtheilen Sie. Ich weiß, daß Sie mich tadeln werden, aber ich kann nicht
anders, denn die Ruhe des Gewissens ist meine erste Richtschnur, und es
könnte niemals ruhig sein, wenn ich etwas unternähme, was meine Kräfte
übersteigt." Einige Jahre später, in seiner ersten Regierungszeit, also etwa
1803 oder 1804 schrieb Kaiser Alexander an seinen Lehrer Laharpe: „Wenn
die Vorsehung mich Nußland auf die Stufe der von mir erwünschten Wohl¬
fahrt führen läßt, so wird es meine erste Angelegenheit sein, die Last der
Negierung niederzulegen und mich in irgend einen Winkel Europas zurückzu¬
ziehen, wo ich mich ungestört des im Vaterlande gestifteten Guten erfreuen
kann." Aeußerungen ähnlicher Art kommen während seines ganzen Lebens so
häufig vor, daß wir an ihrer Aufrichtigkeit nicht zweifeln können, aber
zwischen jenen beiden Daten liegt das Jahr 180-1. An das entsetzliche Ereigniß
desselben dürfen wir nicht erinnern, da eS allgemein bekannt ist, aber wenn
man diese drei Daten zusammenhält, so wird man zugeben, daß Alexander
zu den räthselhaftesten Charakteren der modernen Geschichte gehört.

Mehr und mehr reifte in ihm der Entschluß, dem Thron-zu entsagen.
Zum ersten Mal bereitete er seinen jüngeren Bruder Nikolaus im Sommer
181S darauf vor: dem Monarchen seien zur Erfüllung der schweren und
ununterbrochenen Mühen, welche mit der Ausübung der ihm obliegenden
Pflichten verknüpft sind, außer andern Eigenschaften, in unserem Jahrhnnl ert
mehr als je Gesundheit und physische Kraft nothwendig, und er fühle ihre
beständige Abnahme und sehe es voraus, baß er in kurzem nicht mehr im
Stande sein werde, diese Obliegenheiten so zu erfüllen, wie er sie immer be-
gegriffen habe, deshalb halte er es für seine Pflicht und habe sich unab¬
änderlich dazu entschlossen, dem Thron zu entsagen, sobald er merke, daß bei
dem Verfall seiner Kräfte die Zeit dazu gekommen sei. Er habe seinen Entschluß
seinem Bruder Konstantin mitgetheilt und dieser sei entschlossen, gleich ihm ven
Thron zu entsagen. Beive fänden sich um so mehr dazu veranlaßt, da sie
keine legitime Nachkommenschaft besäßen. Nikolaus mußte durch diese Er¬
klärungen um so lebhafter überrascht werden, da man ihn bisher vom wirklichen
Staatsleben ziemlich fern gehalten hatte. DaS Folgende ist seine eigne Aus¬
sage. Der Großfürst war bis dahin niemals zur Theilnahme an den Staats-


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[0146] sie schlecht auszuführen. Aus diesem Grundsatz ist der Entschluß hervor¬ gegangen, den ich Ihnen oben mitgetheilt habe. Mein Plan ist, wenn ich einmal dieser gefährlichen Stellung entsagt habe (die Epoche einer solchen Entsagung kann ich nicht bestimmen), mich mit meiner Frau an den Usern des Rheins niederzulassen, wo ich als einfacher Privatmann leben will und mein Glück in der Gesellschaft meiner Freunde und dem Studium der Natur bestehn soll. Sie werden über mich spotten, werden sagen, daß das ein chimärisches Project ist, Sie können es, aber warten Sie das Ereigniß ab und bann urtheilen Sie. Ich weiß, daß Sie mich tadeln werden, aber ich kann nicht anders, denn die Ruhe des Gewissens ist meine erste Richtschnur, und es könnte niemals ruhig sein, wenn ich etwas unternähme, was meine Kräfte übersteigt." Einige Jahre später, in seiner ersten Regierungszeit, also etwa 1803 oder 1804 schrieb Kaiser Alexander an seinen Lehrer Laharpe: „Wenn die Vorsehung mich Nußland auf die Stufe der von mir erwünschten Wohl¬ fahrt führen läßt, so wird es meine erste Angelegenheit sein, die Last der Negierung niederzulegen und mich in irgend einen Winkel Europas zurückzu¬ ziehen, wo ich mich ungestört des im Vaterlande gestifteten Guten erfreuen kann." Aeußerungen ähnlicher Art kommen während seines ganzen Lebens so häufig vor, daß wir an ihrer Aufrichtigkeit nicht zweifeln können, aber zwischen jenen beiden Daten liegt das Jahr 180-1. An das entsetzliche Ereigniß desselben dürfen wir nicht erinnern, da eS allgemein bekannt ist, aber wenn man diese drei Daten zusammenhält, so wird man zugeben, daß Alexander zu den räthselhaftesten Charakteren der modernen Geschichte gehört. Mehr und mehr reifte in ihm der Entschluß, dem Thron-zu entsagen. Zum ersten Mal bereitete er seinen jüngeren Bruder Nikolaus im Sommer 181S darauf vor: dem Monarchen seien zur Erfüllung der schweren und ununterbrochenen Mühen, welche mit der Ausübung der ihm obliegenden Pflichten verknüpft sind, außer andern Eigenschaften, in unserem Jahrhnnl ert mehr als je Gesundheit und physische Kraft nothwendig, und er fühle ihre beständige Abnahme und sehe es voraus, baß er in kurzem nicht mehr im Stande sein werde, diese Obliegenheiten so zu erfüllen, wie er sie immer be- gegriffen habe, deshalb halte er es für seine Pflicht und habe sich unab¬ änderlich dazu entschlossen, dem Thron zu entsagen, sobald er merke, daß bei dem Verfall seiner Kräfte die Zeit dazu gekommen sei. Er habe seinen Entschluß seinem Bruder Konstantin mitgetheilt und dieser sei entschlossen, gleich ihm ven Thron zu entsagen. Beive fänden sich um so mehr dazu veranlaßt, da sie keine legitime Nachkommenschaft besäßen. Nikolaus mußte durch diese Er¬ klärungen um so lebhafter überrascht werden, da man ihn bisher vom wirklichen Staatsleben ziemlich fern gehalten hatte. DaS Folgende ist seine eigne Aus¬ sage. Der Großfürst war bis dahin niemals zur Theilnahme an den Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/146>, abgerufen am 15.06.2024.