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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Vergleichen wir um den neuen Theil mit den vorhergehenden, die Ge¬
schichte Griechenlands mit der Geschichte des Orients, so ergibt sich augen¬
blicklich ein Vorzug wie ein Nachtheil. Von der Geschichte des Orients sind
unsere Kenntnisse nur dürftig, wir müssen sie mühsam ans einzelnen Notizen
zusammensuchen, und auch da bleiben sehr bedeutende Lücken, die sich zuweilen
grade auf die Hauptsachen beziehen. Was Grichenland betrifft, so leiden
wir anscheinend an einem Uebermaß der Reichthums, der sich sehr schwer in
einem bestimmt eingerahmten Gemälde vereinigen läßt, und dabei macht die
unglaubliche Fertigkeit der Griechen, jeder Sache eine schickliche und an¬
muthige Fa^on zu geben und auch das Räthselhafte, ja das Unmögliche
bildlich darzustellen, unser Gewissen fortwährend bedenklich. Je mehr die
Nachrichten sich häufen, desto räthselhafter kommt uns manches vor, und der
Geschichtschreiber, der nicht blos auf eine anziehende, sondern auf eine wahr¬
haftige Darstellung ausgeht, hat vor allen Dingen die Tugend der Enthaltsam¬
keit auszuüben.

Hier nun finden wir Duncker mehr in seinem Element im 4. Band als
im 3. Die Nebelgebilde der Mythe treten mehr und mehr in Schatten, es
macht sich eine in ihren Motiven greifbare Politik, ein festes zusammenhängendes
Wirken nach einem bestimmten Plan bemerklich, und der gesunde Menschen¬
verstand, die Gabe, auch in verworrenen Ereignissen kaltblütig und bei der
Sache zu bleiben, jene Gabe, die Duncker vorzüglich auszeichnet, hat
volle Gelegenheit sich zu entfalten. Man vergleiche namentlich die Darstellung
der Schlachten von Salamis und Thermopylä: beide sind bereits von den
alten Schriftstellern musterhaft erzählt, und von den neueren Geschichtschreibern
Griechenlands hatte jeder seinen Scharfsinn dabei aufgeboten, aber es ist
Duncker dennoch gelungen, auf den Zusammenhang ein neues Licht zu
werfen, weil er durch aufmerksames Studium der Kriegsgeschichte sämmtlicher
Länder sich ein bestimmteres Bild von der innern Natur militärischer Be¬
wegungen entworfen hat, als die Zeitgenossen selbst. So werden uns auch
d>e socialen Zustände und ihr Einfluß auf die politische Entwickelung klarer
"is in den übrigen historischen Darstellungen. Der Verfasser wendet dazu ein
Mittel an, welches namentlich seit Mommsen sehr beliebt ist, bei dessen An¬
wendung aber doch eine große Vorsicht empfohlen werden muß. Während
nämlich die frühern Historiker für die Stände und Classen die griechische
Bezeichnung beibehielten, ersetzt sie Duncker durch moderne, er spricht z. B.
Nicht von Spartiaten, Periöken, Heloten u. s. w,, sondern von Adel, Bürger¬
tum, Bauern. DaS hat nun den doppelten Vortheil, uns sofort ein sinnlich
greifbares Bild zu geben und uns zugleich an den stetigen Zusammenhang
der historischen Ideen und Verhältnisse zu erinnern. Es ist mit dieser Moder-
nisirung aber zugleich ein Uebelstand verknüpft. Wenn auch im Allgemeinen


Vergleichen wir um den neuen Theil mit den vorhergehenden, die Ge¬
schichte Griechenlands mit der Geschichte des Orients, so ergibt sich augen¬
blicklich ein Vorzug wie ein Nachtheil. Von der Geschichte des Orients sind
unsere Kenntnisse nur dürftig, wir müssen sie mühsam ans einzelnen Notizen
zusammensuchen, und auch da bleiben sehr bedeutende Lücken, die sich zuweilen
grade auf die Hauptsachen beziehen. Was Grichenland betrifft, so leiden
wir anscheinend an einem Uebermaß der Reichthums, der sich sehr schwer in
einem bestimmt eingerahmten Gemälde vereinigen läßt, und dabei macht die
unglaubliche Fertigkeit der Griechen, jeder Sache eine schickliche und an¬
muthige Fa^on zu geben und auch das Räthselhafte, ja das Unmögliche
bildlich darzustellen, unser Gewissen fortwährend bedenklich. Je mehr die
Nachrichten sich häufen, desto räthselhafter kommt uns manches vor, und der
Geschichtschreiber, der nicht blos auf eine anziehende, sondern auf eine wahr¬
haftige Darstellung ausgeht, hat vor allen Dingen die Tugend der Enthaltsam¬
keit auszuüben.

Hier nun finden wir Duncker mehr in seinem Element im 4. Band als
im 3. Die Nebelgebilde der Mythe treten mehr und mehr in Schatten, es
macht sich eine in ihren Motiven greifbare Politik, ein festes zusammenhängendes
Wirken nach einem bestimmten Plan bemerklich, und der gesunde Menschen¬
verstand, die Gabe, auch in verworrenen Ereignissen kaltblütig und bei der
Sache zu bleiben, jene Gabe, die Duncker vorzüglich auszeichnet, hat
volle Gelegenheit sich zu entfalten. Man vergleiche namentlich die Darstellung
der Schlachten von Salamis und Thermopylä: beide sind bereits von den
alten Schriftstellern musterhaft erzählt, und von den neueren Geschichtschreibern
Griechenlands hatte jeder seinen Scharfsinn dabei aufgeboten, aber es ist
Duncker dennoch gelungen, auf den Zusammenhang ein neues Licht zu
werfen, weil er durch aufmerksames Studium der Kriegsgeschichte sämmtlicher
Länder sich ein bestimmteres Bild von der innern Natur militärischer Be¬
wegungen entworfen hat, als die Zeitgenossen selbst. So werden uns auch
d>e socialen Zustände und ihr Einfluß auf die politische Entwickelung klarer
"is in den übrigen historischen Darstellungen. Der Verfasser wendet dazu ein
Mittel an, welches namentlich seit Mommsen sehr beliebt ist, bei dessen An¬
wendung aber doch eine große Vorsicht empfohlen werden muß. Während
nämlich die frühern Historiker für die Stände und Classen die griechische
Bezeichnung beibehielten, ersetzt sie Duncker durch moderne, er spricht z. B.
Nicht von Spartiaten, Periöken, Heloten u. s. w,, sondern von Adel, Bürger¬
tum, Bauern. DaS hat nun den doppelten Vortheil, uns sofort ein sinnlich
greifbares Bild zu geben und uns zugleich an den stetigen Zusammenhang
der historischen Ideen und Verhältnisse zu erinnern. Es ist mit dieser Moder-
nisirung aber zugleich ein Uebelstand verknüpft. Wenn auch im Allgemeinen


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[0245] Vergleichen wir um den neuen Theil mit den vorhergehenden, die Ge¬ schichte Griechenlands mit der Geschichte des Orients, so ergibt sich augen¬ blicklich ein Vorzug wie ein Nachtheil. Von der Geschichte des Orients sind unsere Kenntnisse nur dürftig, wir müssen sie mühsam ans einzelnen Notizen zusammensuchen, und auch da bleiben sehr bedeutende Lücken, die sich zuweilen grade auf die Hauptsachen beziehen. Was Grichenland betrifft, so leiden wir anscheinend an einem Uebermaß der Reichthums, der sich sehr schwer in einem bestimmt eingerahmten Gemälde vereinigen läßt, und dabei macht die unglaubliche Fertigkeit der Griechen, jeder Sache eine schickliche und an¬ muthige Fa^on zu geben und auch das Räthselhafte, ja das Unmögliche bildlich darzustellen, unser Gewissen fortwährend bedenklich. Je mehr die Nachrichten sich häufen, desto räthselhafter kommt uns manches vor, und der Geschichtschreiber, der nicht blos auf eine anziehende, sondern auf eine wahr¬ haftige Darstellung ausgeht, hat vor allen Dingen die Tugend der Enthaltsam¬ keit auszuüben. Hier nun finden wir Duncker mehr in seinem Element im 4. Band als im 3. Die Nebelgebilde der Mythe treten mehr und mehr in Schatten, es macht sich eine in ihren Motiven greifbare Politik, ein festes zusammenhängendes Wirken nach einem bestimmten Plan bemerklich, und der gesunde Menschen¬ verstand, die Gabe, auch in verworrenen Ereignissen kaltblütig und bei der Sache zu bleiben, jene Gabe, die Duncker vorzüglich auszeichnet, hat volle Gelegenheit sich zu entfalten. Man vergleiche namentlich die Darstellung der Schlachten von Salamis und Thermopylä: beide sind bereits von den alten Schriftstellern musterhaft erzählt, und von den neueren Geschichtschreibern Griechenlands hatte jeder seinen Scharfsinn dabei aufgeboten, aber es ist Duncker dennoch gelungen, auf den Zusammenhang ein neues Licht zu werfen, weil er durch aufmerksames Studium der Kriegsgeschichte sämmtlicher Länder sich ein bestimmteres Bild von der innern Natur militärischer Be¬ wegungen entworfen hat, als die Zeitgenossen selbst. So werden uns auch d>e socialen Zustände und ihr Einfluß auf die politische Entwickelung klarer "is in den übrigen historischen Darstellungen. Der Verfasser wendet dazu ein Mittel an, welches namentlich seit Mommsen sehr beliebt ist, bei dessen An¬ wendung aber doch eine große Vorsicht empfohlen werden muß. Während nämlich die frühern Historiker für die Stände und Classen die griechische Bezeichnung beibehielten, ersetzt sie Duncker durch moderne, er spricht z. B. Nicht von Spartiaten, Periöken, Heloten u. s. w,, sondern von Adel, Bürger¬ tum, Bauern. DaS hat nun den doppelten Vortheil, uns sofort ein sinnlich greifbares Bild zu geben und uns zugleich an den stetigen Zusammenhang der historischen Ideen und Verhältnisse zu erinnern. Es ist mit dieser Moder- nisirung aber zugleich ein Uebelstand verknüpft. Wenn auch im Allgemeinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/245>, abgerufen am 21.05.2024.