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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Schon seiMSohn Humayun hatte fortwährend mit Rebellionen und Ver¬
schwörungen, selbst unter seinen Brüdern, zu kämpfen, ja er mußte sogar vier¬
zehn Jahre (15L0-155L) im Exil zubringen, und konnte nur durch fremden
Beistand, der ihm die Schlacht von Panipat (18. Juni 1555) gewinnen half,
wieder auf den Thron gelangen. Ihm folgte bereits 1556 sein, erst vierzehn
Jahr alter Sohn Akbar, von Mit- und Nachwelt mit Recht "der Große"
genannt, der größte Fürst der neuern Zeit in ganz Asien, ein weiser, muster¬
hafter Regent, der ein halbes Jahrhundert hindurch unter dem Rathe seines
gelehrten Ministers und Historiographen Abul Fazit, das Land mit Gerechtig¬
keit und Milde beherrschte und außerordentlich viel für Künste und Wissen¬
schaften, für Straßen-, und Ackerbau that. Sein Reich war so groß wie halb
Europa, und hatte vierzig Millionen Einwohner, eine Armee von neunhun¬
derttausend Mann und zweihundert fünfundzwanzig Millionen Thaler Ein¬
künfte. Akvars Polink war wesentlich eine Politik der Versöhnung, vor allem
in Hinsicht auf Religion, und eS gelang ihm in hohem Grade, die große
Kluft auszufüllen, die bis dahin immer noch zwischen Orient und Occident,
Brahmanenthum und Mohammedanismr?s bestanden hatte.

Delhi selbst, die prächtige, große Hauptstadt, die Timur in eine Stätte
der greulichsten Zerstörung, einen Sitz der Pestilenz und Hungersnoth ver¬
wandelt, hatte sich nur langsam von diesem Schlage erholt, und erst unter dem
großen Baber (1526--1530) war es wieder zur Residenz erhoben. Es wurde
die Hauptstadt des Großmogulreiches. Doch schon Baders Nachfolger ver¬
legten ihren Sitz nach andern Orten, und die Stadt blieb öde und todt, bis
endlich im Jahre 1631 Schah JciM auf den Trümmern des alten Delhi die
neue Stadt gründete, die er an Stelle Agraö wieder zur kaiserlichen Residenz
erhob. Er theilte sie in sechsunddreißig Quartiere und gab ihr den Namen
Jehäuabäd, wie sie auch noch heute von den Mohammedanern genannt wird.

Aber Prunksucht und Verschwendung singen an überHand zu neh¬
men. In Orangsib vollends, dem jüngsten Sohne Schah JehanS,
sollte auch wieder die alte böse Art hervorbrechen. Durch List und
Gewalt den Vater ins Gesäuauiß werfend, seine Brüder ermordend,
schwang er sich im Jahre 1656 auf den Thron, um unter dem Mantel der
Neligionsschwcirmerei, durch fanatische Verfolgung des Hinduglaubcns, durch
alle Arten der Barbarei und durch die blutigsten, zwanzig Jahre lang fort¬
gesetzten Kriegszüge das Reich scheinbar zu heben, und es bis an den Kaweri-
strom auszudehnen, während es im Innern erschöpft und untergraben wurde.
Rasch wie es gestiegen, sank es herab; dem furchtbaren Despoten, der erst im
Alter von neunzig Jahren mit Tode abging (1707), folgten eine Menge von
Schattcnkaisern, schwache Kreaturen ihrer Minister und Feldherrn, die sich größ-
tentheils mit Gewalt, durch Gift und Mord, gegenseitig aus dem Wege räumten;


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Schon seiMSohn Humayun hatte fortwährend mit Rebellionen und Ver¬
schwörungen, selbst unter seinen Brüdern, zu kämpfen, ja er mußte sogar vier¬
zehn Jahre (15L0-155L) im Exil zubringen, und konnte nur durch fremden
Beistand, der ihm die Schlacht von Panipat (18. Juni 1555) gewinnen half,
wieder auf den Thron gelangen. Ihm folgte bereits 1556 sein, erst vierzehn
Jahr alter Sohn Akbar, von Mit- und Nachwelt mit Recht „der Große"
genannt, der größte Fürst der neuern Zeit in ganz Asien, ein weiser, muster¬
hafter Regent, der ein halbes Jahrhundert hindurch unter dem Rathe seines
gelehrten Ministers und Historiographen Abul Fazit, das Land mit Gerechtig¬
keit und Milde beherrschte und außerordentlich viel für Künste und Wissen¬
schaften, für Straßen-, und Ackerbau that. Sein Reich war so groß wie halb
Europa, und hatte vierzig Millionen Einwohner, eine Armee von neunhun¬
derttausend Mann und zweihundert fünfundzwanzig Millionen Thaler Ein¬
künfte. Akvars Polink war wesentlich eine Politik der Versöhnung, vor allem
in Hinsicht auf Religion, und eS gelang ihm in hohem Grade, die große
Kluft auszufüllen, die bis dahin immer noch zwischen Orient und Occident,
Brahmanenthum und Mohammedanismr?s bestanden hatte.

Delhi selbst, die prächtige, große Hauptstadt, die Timur in eine Stätte
der greulichsten Zerstörung, einen Sitz der Pestilenz und Hungersnoth ver¬
wandelt, hatte sich nur langsam von diesem Schlage erholt, und erst unter dem
großen Baber (1526—1530) war es wieder zur Residenz erhoben. Es wurde
die Hauptstadt des Großmogulreiches. Doch schon Baders Nachfolger ver¬
legten ihren Sitz nach andern Orten, und die Stadt blieb öde und todt, bis
endlich im Jahre 1631 Schah JciM auf den Trümmern des alten Delhi die
neue Stadt gründete, die er an Stelle Agraö wieder zur kaiserlichen Residenz
erhob. Er theilte sie in sechsunddreißig Quartiere und gab ihr den Namen
Jehäuabäd, wie sie auch noch heute von den Mohammedanern genannt wird.

Aber Prunksucht und Verschwendung singen an überHand zu neh¬
men. In Orangsib vollends, dem jüngsten Sohne Schah JehanS,
sollte auch wieder die alte böse Art hervorbrechen. Durch List und
Gewalt den Vater ins Gesäuauiß werfend, seine Brüder ermordend,
schwang er sich im Jahre 1656 auf den Thron, um unter dem Mantel der
Neligionsschwcirmerei, durch fanatische Verfolgung des Hinduglaubcns, durch
alle Arten der Barbarei und durch die blutigsten, zwanzig Jahre lang fort¬
gesetzten Kriegszüge das Reich scheinbar zu heben, und es bis an den Kaweri-
strom auszudehnen, während es im Innern erschöpft und untergraben wurde.
Rasch wie es gestiegen, sank es herab; dem furchtbaren Despoten, der erst im
Alter von neunzig Jahren mit Tode abging (1707), folgten eine Menge von
Schattcnkaisern, schwache Kreaturen ihrer Minister und Feldherrn, die sich größ-
tentheils mit Gewalt, durch Gift und Mord, gegenseitig aus dem Wege räumten;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/35>, abgerufen am 21.05.2024.