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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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möglichen Werdens hinausgewachsen sind. Indessen scheinen die Bewunderer des
Kaisers Nikolaus und seiner Herrschaftsprincipien von dem Rauschen, Regen und
Bewegen im neuen Rußland vorläufig doch einigermaßen beklommen. Sie
fürchten, es könne Wahrheit werden, zum Schrecken ihres für Deutschland er¬
sehnten Ideals. Die neue preußische Zeitung hat bereits ihr Heroldsroß be¬
stiegen, um nicht etwa Rußland, sondern Deutschland vor den schrecklichen
Folgen der liberalisirenden Tendenzen des Petersburger Regiments mit lang¬
gezogenen Trompetenstößen zu warnen. Das streitbare Junkerthum außerhalb
der Presse trauert um die zu Grabe getragenen Tendenzen des vorigen Zirren-
regimentS. Namentlich im mecklenburger Adel lebt die alle Sympathie dafür wieder
mit verdoppelter Stärke auf, ohne daß die Hoffnung ganz erstarb, Kaiser Alexan¬
der könne vom Reformfieber geheilt werden. Unterdessen tragen die ritterbür-
tigem Damen in Brechen, Bracelettes und Medaillons das Bildniß des Hin¬
geschiedenen echten Zaren als Amulet gegen etwaige Anfechtungen neuzeitlicher
Anschauungen.

Sie haben vollkommen Recht, diese Elemente, wenn sie sich von einem
reformirenden Rußland mit ebenso tiefer moralischer Entrüstung abwenden, wie
etwa im "Jahre der Tollheit" die Demagogen von Profession von jeder Be¬
strebung zu einer organischen Ordnung der Dinge. Diese mußten für ihre
Wirksamkeit etwas Unordnung haben, sonst wars mit ihrer volksthümlichen
Glorie schlecht bestellt. Die junkerliche Propaganda braucht nothwendig ein echtes
Rußland im Hintergrunde, um im Hofes-, Staats- und Kriegsdienst, bei Jag'
den, Wettrennen und andern Sports über die Grenzen des "engern Vater¬
landes" erfolgreich hinauswirken zu können. Und es war grade den Angehö¬
rigen deö mecklenburger eingeborenen Adels nach allen Seiten hin erklecklich
geglückt, unter den Ebenbürtigen die Sehnsucht und das Streben nach gleiche"
Zuständen, wie in ihrer gesegneten Heimath wachzurufen und in Scene zu
sehen. Man braucht nicht an die "kleine aber mächtige Partei" zu erinnern,
sie fällt ungerufen aller Orten jedem von selbst ein.

Ursprünglich, in der Zeit der alten Landesverfassung, halte der Adel als
solcher in Mecklenburg gar keine Sonderrechte. Mit der systematischen Kon¬
sequenz aber, welche alle Parteien von den aristokratischen und klerikalen Ver¬
bindungen lernen sollten, hat er es verstanden, sich nach und nach in den
alleinigen Besitz alles nutzbringenden zu setzen. Meinte doch sogar die Kreuz¬
zeitung in einer ihrer Anwandlungen von lichten Momenten (am 21- An
23. Nov. 1856), die mecklenburger Zustände seien nicht blos tadelnswert!),
sondern derart, daß man "im Auslande mit Fingern darauf zeige." Wenn
geschieht, und es könnte wenigstens geschehen, so geschieht eS doch mehr nach
Hörensagen, als mit eigentlicher Kenntniß der Verhältnisse. Denn es, >^
wirklich verwunderlich, wie gering die Bekanntschaft des übrigen Deutschlan


möglichen Werdens hinausgewachsen sind. Indessen scheinen die Bewunderer des
Kaisers Nikolaus und seiner Herrschaftsprincipien von dem Rauschen, Regen und
Bewegen im neuen Rußland vorläufig doch einigermaßen beklommen. Sie
fürchten, es könne Wahrheit werden, zum Schrecken ihres für Deutschland er¬
sehnten Ideals. Die neue preußische Zeitung hat bereits ihr Heroldsroß be¬
stiegen, um nicht etwa Rußland, sondern Deutschland vor den schrecklichen
Folgen der liberalisirenden Tendenzen des Petersburger Regiments mit lang¬
gezogenen Trompetenstößen zu warnen. Das streitbare Junkerthum außerhalb
der Presse trauert um die zu Grabe getragenen Tendenzen des vorigen Zirren-
regimentS. Namentlich im mecklenburger Adel lebt die alle Sympathie dafür wieder
mit verdoppelter Stärke auf, ohne daß die Hoffnung ganz erstarb, Kaiser Alexan¬
der könne vom Reformfieber geheilt werden. Unterdessen tragen die ritterbür-
tigem Damen in Brechen, Bracelettes und Medaillons das Bildniß des Hin¬
geschiedenen echten Zaren als Amulet gegen etwaige Anfechtungen neuzeitlicher
Anschauungen.

Sie haben vollkommen Recht, diese Elemente, wenn sie sich von einem
reformirenden Rußland mit ebenso tiefer moralischer Entrüstung abwenden, wie
etwa im „Jahre der Tollheit" die Demagogen von Profession von jeder Be¬
strebung zu einer organischen Ordnung der Dinge. Diese mußten für ihre
Wirksamkeit etwas Unordnung haben, sonst wars mit ihrer volksthümlichen
Glorie schlecht bestellt. Die junkerliche Propaganda braucht nothwendig ein echtes
Rußland im Hintergrunde, um im Hofes-, Staats- und Kriegsdienst, bei Jag'
den, Wettrennen und andern Sports über die Grenzen des „engern Vater¬
landes" erfolgreich hinauswirken zu können. Und es war grade den Angehö¬
rigen deö mecklenburger eingeborenen Adels nach allen Seiten hin erklecklich
geglückt, unter den Ebenbürtigen die Sehnsucht und das Streben nach gleiche»
Zuständen, wie in ihrer gesegneten Heimath wachzurufen und in Scene zu
sehen. Man braucht nicht an die „kleine aber mächtige Partei" zu erinnern,
sie fällt ungerufen aller Orten jedem von selbst ein.

Ursprünglich, in der Zeit der alten Landesverfassung, halte der Adel als
solcher in Mecklenburg gar keine Sonderrechte. Mit der systematischen Kon¬
sequenz aber, welche alle Parteien von den aristokratischen und klerikalen Ver¬
bindungen lernen sollten, hat er es verstanden, sich nach und nach in den
alleinigen Besitz alles nutzbringenden zu setzen. Meinte doch sogar die Kreuz¬
zeitung in einer ihrer Anwandlungen von lichten Momenten (am 21- An
23. Nov. 1856), die mecklenburger Zustände seien nicht blos tadelnswert!),
sondern derart, daß man „im Auslande mit Fingern darauf zeige." Wenn
geschieht, und es könnte wenigstens geschehen, so geschieht eS doch mehr nach
Hörensagen, als mit eigentlicher Kenntniß der Verhältnisse. Denn es, >^
wirklich verwunderlich, wie gering die Bekanntschaft des übrigen Deutschlan


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/354>, abgerufen am 21.05.2024.