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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Hochmuth durchwobene und von falsch angewandten aristokratischen Neigungen
verhätschelten indischen Söldner im englischen Kriegsdienst. Daß von den be¬
zeichneten Elementen ein sehr reichlicher Vorrath) vorhanden war, weiß jeder
Kenner der socialen Zustände Ostindiens. Vom Rajah an, der gleichwie von
mittelalterlicher Burg herab, die ihm erreichbare Umgegend plünderte und
brandschatzte, bis zum Thug, dem gemeinen und feigen Mörder auf der Land¬
straße, halte die englische Herrschaft althergebrachte Interessen und Gefühle ver¬
letzt, die von jeder Veränderung Vortheil ziehen wollten, und darum jeder
Erhebung begierig sich anschlössen. Nache- und beutelustig schlössen sie sich
einem aufständischen Regiment an, aber ohne Disciplin und ohne das große
Gefühl auch für eine große Sache zu kämpfen, und so zerstoben sie vor einer
Handvoll Engländer, die sie hätten erdrücken können, wenn sie nur eines
längern Zusammenhaltens fähig gewesen wären. Alle diese Zuzüge haben
zwar für den Augenblick die Reihen der Aufständigen vermehrt, haben die
Greuel der einzelnen englischen Niederlagen vergrößert; aber da, wo es auf
einheitliches und kräftiges Handeln ankam, waren sie eine den Erfolg com-
prvmittirende Last. Bezeichnend war in dieser Beziehung die einmal ge¬
meldete sich vorbereitende Einschließung des kleinen havelockschen Heers zu
Khannpur. Von allen Seiten bewegten sich Zuzüge gegen dasselbe heran,
es schien blos durch die Masse vernichtet werden zu sollen, und ein bekannter
deutscher Korrespondent in London fing bereits an, den Neua Sahib, der an¬
geblich diese Bewegungen leitete, als den Kopf und Spitze des indischen Auf¬
stands zu verherrlichen --, aber siehe da, in der nächsten Post war von all
diesen Angrifföcolonnen nicht mehr die Rede und die havelocksche Heldenschar
hatte einige neue Siege erfochten. DaS grade ist der Charakter asiatischer
Kriegführung, dieses halb planmäßige und dann wieder planlose Agiren großer
Massen, die nur dann länger zusammenhalten, wenn sich ein rascher Erfolg
bietet. Ganz ähnlich war es vor Delhi. Massen auf Massen aufständiger
Regimenter stürmten gegen die englischen Verschanzungen an, um mit blutigen
Köpfen zurückgeschlagen zu werben; jedes neu angekommene Regiment aber
für sich. Nur dann und wann schien die Nothwendigkeit eines planmäßigen
Handelns durchzubrechen, und zum letzten Male, als das schwere Belagerungs¬
geschütz der Engländer gegen Delhi sich heranbewegte. Eine Colonne brach
aus Delhi auf, um es aufzufangen, wurde aber selbst überrascht und gänzlich
zersprengt. Und zur selben Zeit stürzte sich ein Haufen von indischen Soldaten,
von Männern und selbst von Frauen auf das englische Lager, daS sie
durch den Abzug der Deckungscolonnen verlassen und geschwächt wähnten;
sie meinten es in aller Ruhe ausplündern zu können; aber auch sie wurden
unverrichteter Sache wieder heimgeschickt, und damit war daS Schicksal Delhis
besiegelt.


Hochmuth durchwobene und von falsch angewandten aristokratischen Neigungen
verhätschelten indischen Söldner im englischen Kriegsdienst. Daß von den be¬
zeichneten Elementen ein sehr reichlicher Vorrath) vorhanden war, weiß jeder
Kenner der socialen Zustände Ostindiens. Vom Rajah an, der gleichwie von
mittelalterlicher Burg herab, die ihm erreichbare Umgegend plünderte und
brandschatzte, bis zum Thug, dem gemeinen und feigen Mörder auf der Land¬
straße, halte die englische Herrschaft althergebrachte Interessen und Gefühle ver¬
letzt, die von jeder Veränderung Vortheil ziehen wollten, und darum jeder
Erhebung begierig sich anschlössen. Nache- und beutelustig schlössen sie sich
einem aufständischen Regiment an, aber ohne Disciplin und ohne das große
Gefühl auch für eine große Sache zu kämpfen, und so zerstoben sie vor einer
Handvoll Engländer, die sie hätten erdrücken können, wenn sie nur eines
längern Zusammenhaltens fähig gewesen wären. Alle diese Zuzüge haben
zwar für den Augenblick die Reihen der Aufständigen vermehrt, haben die
Greuel der einzelnen englischen Niederlagen vergrößert; aber da, wo es auf
einheitliches und kräftiges Handeln ankam, waren sie eine den Erfolg com-
prvmittirende Last. Bezeichnend war in dieser Beziehung die einmal ge¬
meldete sich vorbereitende Einschließung des kleinen havelockschen Heers zu
Khannpur. Von allen Seiten bewegten sich Zuzüge gegen dasselbe heran,
es schien blos durch die Masse vernichtet werden zu sollen, und ein bekannter
deutscher Korrespondent in London fing bereits an, den Neua Sahib, der an¬
geblich diese Bewegungen leitete, als den Kopf und Spitze des indischen Auf¬
stands zu verherrlichen —, aber siehe da, in der nächsten Post war von all
diesen Angrifföcolonnen nicht mehr die Rede und die havelocksche Heldenschar
hatte einige neue Siege erfochten. DaS grade ist der Charakter asiatischer
Kriegführung, dieses halb planmäßige und dann wieder planlose Agiren großer
Massen, die nur dann länger zusammenhalten, wenn sich ein rascher Erfolg
bietet. Ganz ähnlich war es vor Delhi. Massen auf Massen aufständiger
Regimenter stürmten gegen die englischen Verschanzungen an, um mit blutigen
Köpfen zurückgeschlagen zu werben; jedes neu angekommene Regiment aber
für sich. Nur dann und wann schien die Nothwendigkeit eines planmäßigen
Handelns durchzubrechen, und zum letzten Male, als das schwere Belagerungs¬
geschütz der Engländer gegen Delhi sich heranbewegte. Eine Colonne brach
aus Delhi auf, um es aufzufangen, wurde aber selbst überrascht und gänzlich
zersprengt. Und zur selben Zeit stürzte sich ein Haufen von indischen Soldaten,
von Männern und selbst von Frauen auf das englische Lager, daS sie
durch den Abzug der Deckungscolonnen verlassen und geschwächt wähnten;
sie meinten es in aller Ruhe ausplündern zu können; aber auch sie wurden
unverrichteter Sache wieder heimgeschickt, und damit war daS Schicksal Delhis
besiegelt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/360>, abgerufen am 21.05.2024.