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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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fangs, kritisch gesichtet und mit einer große" Zahl kritischer und historischer
Anmerkungen versehn. Haupt hat die Verlassenschaft seines verstorbenen
Freundes in einer Weise zur Geltung gebracht, wie es unter den Lebenden
vielleicht nur ihm möglich war. Es ist indessen nicht im entferntesten unsere
Absicht, auf den Schatz reichster und tiefster Gelehrsamkeit hinzuweisen, der sich
in dem Tert wie in den Anmerkungen versteckt; die Zahl derer, die diese
Arbeit zu würdigen im Stande sind, ist in Deutschland nicht groß: wir
haben nur unser Publicum im Auge, an das der Herausgeber doch auch
gedacht hat. Es ist eine schön ausgestattete, correcte Ausgabe von Dichtungen,
die sich zum Theil an innerm Werth den besten aller Zeiten an die Seite
stellen und wir können das Bedauern nicht unterdrücke!,, daß der Genuß der¬
selben verhälmißmäßig nur Wenigen zu Theil wird. Die altdeutschen Studien
haben in dem beschränkten Kreise der strengen Wissenschaft in den letzten
Jahrzehnten an Breite und Tiefe unendlich gewonnen, die Theilnahme des
größern Publicums aber hat nicht im gleichem Maß zugenommen, wir
möchten eher glauben, daß sie im Abnehmen ist. Wenn man nun bedenkt,
eine wie geringe Mühe dazu gehört, der Sprache so weit Herr zu werden,
daß man mit einiger Beihilfe die altdeutschen Dichtungen wenigstens besser
versteht, als aus den neuhochdeutschen Nachbildungen, in denen der eigent¬
liche Duft der Poesie verloren gehn muß, so wird man nothwendig zu der
Frage getrieben, ob für die Ausdehnung dieser Studien auf einen größern Kreis
nicht etwas geschehn kann? Es gibt, so viel wir sehn, nur ein Mittel: die Einfüh¬
rung des Altdeutschen als ordentlichen Unterrichtsgegcnstands in die Gym¬
nasien. Wenn man früher, wo der Germanismus eine Modesache war, die
classischen Sprachen durch das deutsche Alterthum verdrängen wollte, so war
das freilich ein arges Mißverständniß, aber dies Studium erfordert, wenn
man es durchaus praktisch treibt d. h. ausschließlich auf die Erleichterung
der Lectüre Rücksicht nimmt, und die philologischen Finessen bei Seite läßt,
keine übermäßige Zeit, und manche Lehrgegenstände würden eine Beschränkung
zulassen z. B. die sogenannten deutschen Aufsätze in den obern Classen, die in der
Regel doch nur die Schüler veranlassen, über Dinge zu urtheilen, die sie nicht
kennen. Wir besitzen bereits eine reiche Bibliothek correcter Ausgaben, es
wäre zu wünschen, baß diese nicht blos auf die Studirstuben der Gelehrten
eingeschränkt blieben.

Eine dankenswerthe Gabe sind die vermischten Aufsätze z,rr Literatur¬
geschichte und Aesthetik von Professor Koberstein (Leipzig, Varth). Der
hochverdiente Gelehrte hat in denselben die seit 1837 in> dem literarischen
Verein zu Naumburg gehaltenen Vorträge gesammelt. Die inhaltreichsten
darunter sind eine Analyse der goetheschen Iphigenie, ein Vergleich derselben
mit dem Drama des Euripides und der Nachweis, daß sie in der Hauptsache


fangs, kritisch gesichtet und mit einer große» Zahl kritischer und historischer
Anmerkungen versehn. Haupt hat die Verlassenschaft seines verstorbenen
Freundes in einer Weise zur Geltung gebracht, wie es unter den Lebenden
vielleicht nur ihm möglich war. Es ist indessen nicht im entferntesten unsere
Absicht, auf den Schatz reichster und tiefster Gelehrsamkeit hinzuweisen, der sich
in dem Tert wie in den Anmerkungen versteckt; die Zahl derer, die diese
Arbeit zu würdigen im Stande sind, ist in Deutschland nicht groß: wir
haben nur unser Publicum im Auge, an das der Herausgeber doch auch
gedacht hat. Es ist eine schön ausgestattete, correcte Ausgabe von Dichtungen,
die sich zum Theil an innerm Werth den besten aller Zeiten an die Seite
stellen und wir können das Bedauern nicht unterdrücke!,, daß der Genuß der¬
selben verhälmißmäßig nur Wenigen zu Theil wird. Die altdeutschen Studien
haben in dem beschränkten Kreise der strengen Wissenschaft in den letzten
Jahrzehnten an Breite und Tiefe unendlich gewonnen, die Theilnahme des
größern Publicums aber hat nicht im gleichem Maß zugenommen, wir
möchten eher glauben, daß sie im Abnehmen ist. Wenn man nun bedenkt,
eine wie geringe Mühe dazu gehört, der Sprache so weit Herr zu werden,
daß man mit einiger Beihilfe die altdeutschen Dichtungen wenigstens besser
versteht, als aus den neuhochdeutschen Nachbildungen, in denen der eigent¬
liche Duft der Poesie verloren gehn muß, so wird man nothwendig zu der
Frage getrieben, ob für die Ausdehnung dieser Studien auf einen größern Kreis
nicht etwas geschehn kann? Es gibt, so viel wir sehn, nur ein Mittel: die Einfüh¬
rung des Altdeutschen als ordentlichen Unterrichtsgegcnstands in die Gym¬
nasien. Wenn man früher, wo der Germanismus eine Modesache war, die
classischen Sprachen durch das deutsche Alterthum verdrängen wollte, so war
das freilich ein arges Mißverständniß, aber dies Studium erfordert, wenn
man es durchaus praktisch treibt d. h. ausschließlich auf die Erleichterung
der Lectüre Rücksicht nimmt, und die philologischen Finessen bei Seite läßt,
keine übermäßige Zeit, und manche Lehrgegenstände würden eine Beschränkung
zulassen z. B. die sogenannten deutschen Aufsätze in den obern Classen, die in der
Regel doch nur die Schüler veranlassen, über Dinge zu urtheilen, die sie nicht
kennen. Wir besitzen bereits eine reiche Bibliothek correcter Ausgaben, es
wäre zu wünschen, baß diese nicht blos auf die Studirstuben der Gelehrten
eingeschränkt blieben.

Eine dankenswerthe Gabe sind die vermischten Aufsätze z,rr Literatur¬
geschichte und Aesthetik von Professor Koberstein (Leipzig, Varth). Der
hochverdiente Gelehrte hat in denselben die seit 1837 in> dem literarischen
Verein zu Naumburg gehaltenen Vorträge gesammelt. Die inhaltreichsten
darunter sind eine Analyse der goetheschen Iphigenie, ein Vergleich derselben
mit dem Drama des Euripides und der Nachweis, daß sie in der Hauptsache


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[0421] fangs, kritisch gesichtet und mit einer große» Zahl kritischer und historischer Anmerkungen versehn. Haupt hat die Verlassenschaft seines verstorbenen Freundes in einer Weise zur Geltung gebracht, wie es unter den Lebenden vielleicht nur ihm möglich war. Es ist indessen nicht im entferntesten unsere Absicht, auf den Schatz reichster und tiefster Gelehrsamkeit hinzuweisen, der sich in dem Tert wie in den Anmerkungen versteckt; die Zahl derer, die diese Arbeit zu würdigen im Stande sind, ist in Deutschland nicht groß: wir haben nur unser Publicum im Auge, an das der Herausgeber doch auch gedacht hat. Es ist eine schön ausgestattete, correcte Ausgabe von Dichtungen, die sich zum Theil an innerm Werth den besten aller Zeiten an die Seite stellen und wir können das Bedauern nicht unterdrücke!,, daß der Genuß der¬ selben verhälmißmäßig nur Wenigen zu Theil wird. Die altdeutschen Studien haben in dem beschränkten Kreise der strengen Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten an Breite und Tiefe unendlich gewonnen, die Theilnahme des größern Publicums aber hat nicht im gleichem Maß zugenommen, wir möchten eher glauben, daß sie im Abnehmen ist. Wenn man nun bedenkt, eine wie geringe Mühe dazu gehört, der Sprache so weit Herr zu werden, daß man mit einiger Beihilfe die altdeutschen Dichtungen wenigstens besser versteht, als aus den neuhochdeutschen Nachbildungen, in denen der eigent¬ liche Duft der Poesie verloren gehn muß, so wird man nothwendig zu der Frage getrieben, ob für die Ausdehnung dieser Studien auf einen größern Kreis nicht etwas geschehn kann? Es gibt, so viel wir sehn, nur ein Mittel: die Einfüh¬ rung des Altdeutschen als ordentlichen Unterrichtsgegcnstands in die Gym¬ nasien. Wenn man früher, wo der Germanismus eine Modesache war, die classischen Sprachen durch das deutsche Alterthum verdrängen wollte, so war das freilich ein arges Mißverständniß, aber dies Studium erfordert, wenn man es durchaus praktisch treibt d. h. ausschließlich auf die Erleichterung der Lectüre Rücksicht nimmt, und die philologischen Finessen bei Seite läßt, keine übermäßige Zeit, und manche Lehrgegenstände würden eine Beschränkung zulassen z. B. die sogenannten deutschen Aufsätze in den obern Classen, die in der Regel doch nur die Schüler veranlassen, über Dinge zu urtheilen, die sie nicht kennen. Wir besitzen bereits eine reiche Bibliothek correcter Ausgaben, es wäre zu wünschen, baß diese nicht blos auf die Studirstuben der Gelehrten eingeschränkt blieben. Eine dankenswerthe Gabe sind die vermischten Aufsätze z,rr Literatur¬ geschichte und Aesthetik von Professor Koberstein (Leipzig, Varth). Der hochverdiente Gelehrte hat in denselben die seit 1837 in> dem literarischen Verein zu Naumburg gehaltenen Vorträge gesammelt. Die inhaltreichsten darunter sind eine Analyse der goetheschen Iphigenie, ein Vergleich derselben mit dem Drama des Euripides und der Nachweis, daß sie in der Hauptsache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/421>, abgerufen am 21.05.2024.