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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Heubündel ausruhte, oder auf einem alten Polster im Circus, dessen Stopf¬
werk durch die Flickstellen der alten Leinwand hervorquoll." -- Der Miethzins
in der Riesenstadt war sehr theuer und für einen finstern Winkel oder für
ein zu luftiges Stübchen im sechsten Stocke "ü> der Nähe nistender Tauben",
zahlte man nach Juvenal jährlich so viel, als in einer kleinen Landstadt für
ein bescheidenes Häuschen. Am Tage hatten die Bettler gewöhnlich ihre festen
Stationen, die sie nach Art des homerischen Jrus in ehrlichem Faustkämpfe
gegen jeden Eindringling vertheidigten, und wie im heutigen Rom die Brücke
S. Angelo und die spanische Treppe die HauptversammlungSvlätze sind, so
waren es im Alterthum die Thore und unter den Brücken vorzüglich die sub-
lizische, so daß Juvenal anstatt deß Wortes Bettler gradezu den Ausdruck
braucht: "Einer von der Brücke". Die Stelle des heutigen Ghetto vertrat
der wegen ungesunder Luft und sumpfigen Bodens von den Wohlhabenden
geflohene Vatikan (Ammian. Marzellin. 27, 2.). Von Hans zu Haus wan¬
derten ferner Abgebrannte und Schiffbrüchige, oft Gemälde ihrer Unglücks¬
fälle mit sich führend, um den Glauben und das Mitleid zu steigern! Außer
der Unmasse unprivilegirter Bettler durchzogen aber auch schon damals die
Bettelpriester verschiedener Culte mit Erlaubniß der Negierung die Hauptstadt
und die Provinzen, monatliche Almosen für religiöse Zwecke heischend und
Tractätchen vertrödelnd, deren Lectüre angeblich entsündigen sollte. Besonders
geschah dies im Interesse der großen Göttermutter Cybele und der ägyptischen
Isis. ES bezieht sich darauf das Lob, welches Valerius Marinus den Mar¬
seilles ertheilt, weil sie "allen, welche unter irgend einem religiösen Vorwande
Unterhalt für ihre Faulheit erbettelten," ihre Thore verschlossen, und jeden
"erlogenen und geschminkten Aberglauben" fern von sich hielten. Auch Ter-
tullian sagt spottend: "Die Ehrwürdigkeit der Religion wird gewinnbringend,
wenn sie bettelnd die Wirthshäuser besucht." Der gute Kirchenvater hat frei¬
lich nicht geahnt, daß einige Jahrhunderte später christliche Mönche das Ge¬
lübde lebenslänglicher Betlelpflicht ablegen würden!

Die oft unverständig gehandhabte christliche Mildthätigkeit trug keineswegs
dazu bei, die Zahl der Bettler in Rom zu mindern, und nachdem Valenti-
nian I. besondere Armenarzte mit fester Besoldung in Rom angestellt hatte,
sah sich Gratian endlich genöthigt, seinem Stadtpräfecten zu befehle", eine
strenge Revision vorzunehmen, und alle Bettler untersuchen zu lassen. Die¬
jenigen, welche noch zur Arbeit tauglich waren , wurden, wenn sie dem freien
Stande angehörten, als Bauern angesiedelt, wenn sie das Unglück hatten,
Sklaven zu sein, Eigenthum ihrer Denuncianten. Zu gleicher Zeit schreibt
der heilige Ambrosius in seinem Buche über die Pflichten der Geistlichkeit, man
müsse sich hüten, Wohlthaten an Unwürdige zu verschwenden, und dadurch die
Unterstützungen der wirklichen Armuth zu verringern, und ermahnt die Priester,


Grenjbote". IV. -ILL7. SS

Heubündel ausruhte, oder auf einem alten Polster im Circus, dessen Stopf¬
werk durch die Flickstellen der alten Leinwand hervorquoll." — Der Miethzins
in der Riesenstadt war sehr theuer und für einen finstern Winkel oder für
ein zu luftiges Stübchen im sechsten Stocke „ü> der Nähe nistender Tauben",
zahlte man nach Juvenal jährlich so viel, als in einer kleinen Landstadt für
ein bescheidenes Häuschen. Am Tage hatten die Bettler gewöhnlich ihre festen
Stationen, die sie nach Art des homerischen Jrus in ehrlichem Faustkämpfe
gegen jeden Eindringling vertheidigten, und wie im heutigen Rom die Brücke
S. Angelo und die spanische Treppe die HauptversammlungSvlätze sind, so
waren es im Alterthum die Thore und unter den Brücken vorzüglich die sub-
lizische, so daß Juvenal anstatt deß Wortes Bettler gradezu den Ausdruck
braucht: „Einer von der Brücke". Die Stelle des heutigen Ghetto vertrat
der wegen ungesunder Luft und sumpfigen Bodens von den Wohlhabenden
geflohene Vatikan (Ammian. Marzellin. 27, 2.). Von Hans zu Haus wan¬
derten ferner Abgebrannte und Schiffbrüchige, oft Gemälde ihrer Unglücks¬
fälle mit sich führend, um den Glauben und das Mitleid zu steigern! Außer
der Unmasse unprivilegirter Bettler durchzogen aber auch schon damals die
Bettelpriester verschiedener Culte mit Erlaubniß der Negierung die Hauptstadt
und die Provinzen, monatliche Almosen für religiöse Zwecke heischend und
Tractätchen vertrödelnd, deren Lectüre angeblich entsündigen sollte. Besonders
geschah dies im Interesse der großen Göttermutter Cybele und der ägyptischen
Isis. ES bezieht sich darauf das Lob, welches Valerius Marinus den Mar¬
seilles ertheilt, weil sie „allen, welche unter irgend einem religiösen Vorwande
Unterhalt für ihre Faulheit erbettelten," ihre Thore verschlossen, und jeden
„erlogenen und geschminkten Aberglauben" fern von sich hielten. Auch Ter-
tullian sagt spottend: „Die Ehrwürdigkeit der Religion wird gewinnbringend,
wenn sie bettelnd die Wirthshäuser besucht." Der gute Kirchenvater hat frei¬
lich nicht geahnt, daß einige Jahrhunderte später christliche Mönche das Ge¬
lübde lebenslänglicher Betlelpflicht ablegen würden!

Die oft unverständig gehandhabte christliche Mildthätigkeit trug keineswegs
dazu bei, die Zahl der Bettler in Rom zu mindern, und nachdem Valenti-
nian I. besondere Armenarzte mit fester Besoldung in Rom angestellt hatte,
sah sich Gratian endlich genöthigt, seinem Stadtpräfecten zu befehle», eine
strenge Revision vorzunehmen, und alle Bettler untersuchen zu lassen. Die¬
jenigen, welche noch zur Arbeit tauglich waren , wurden, wenn sie dem freien
Stande angehörten, als Bauern angesiedelt, wenn sie das Unglück hatten,
Sklaven zu sein, Eigenthum ihrer Denuncianten. Zu gleicher Zeit schreibt
der heilige Ambrosius in seinem Buche über die Pflichten der Geistlichkeit, man
müsse sich hüten, Wohlthaten an Unwürdige zu verschwenden, und dadurch die
Unterstützungen der wirklichen Armuth zu verringern, und ermahnt die Priester,


Grenjbote». IV. -ILL7. SS
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[0441] Heubündel ausruhte, oder auf einem alten Polster im Circus, dessen Stopf¬ werk durch die Flickstellen der alten Leinwand hervorquoll." — Der Miethzins in der Riesenstadt war sehr theuer und für einen finstern Winkel oder für ein zu luftiges Stübchen im sechsten Stocke „ü> der Nähe nistender Tauben", zahlte man nach Juvenal jährlich so viel, als in einer kleinen Landstadt für ein bescheidenes Häuschen. Am Tage hatten die Bettler gewöhnlich ihre festen Stationen, die sie nach Art des homerischen Jrus in ehrlichem Faustkämpfe gegen jeden Eindringling vertheidigten, und wie im heutigen Rom die Brücke S. Angelo und die spanische Treppe die HauptversammlungSvlätze sind, so waren es im Alterthum die Thore und unter den Brücken vorzüglich die sub- lizische, so daß Juvenal anstatt deß Wortes Bettler gradezu den Ausdruck braucht: „Einer von der Brücke". Die Stelle des heutigen Ghetto vertrat der wegen ungesunder Luft und sumpfigen Bodens von den Wohlhabenden geflohene Vatikan (Ammian. Marzellin. 27, 2.). Von Hans zu Haus wan¬ derten ferner Abgebrannte und Schiffbrüchige, oft Gemälde ihrer Unglücks¬ fälle mit sich führend, um den Glauben und das Mitleid zu steigern! Außer der Unmasse unprivilegirter Bettler durchzogen aber auch schon damals die Bettelpriester verschiedener Culte mit Erlaubniß der Negierung die Hauptstadt und die Provinzen, monatliche Almosen für religiöse Zwecke heischend und Tractätchen vertrödelnd, deren Lectüre angeblich entsündigen sollte. Besonders geschah dies im Interesse der großen Göttermutter Cybele und der ägyptischen Isis. ES bezieht sich darauf das Lob, welches Valerius Marinus den Mar¬ seilles ertheilt, weil sie „allen, welche unter irgend einem religiösen Vorwande Unterhalt für ihre Faulheit erbettelten," ihre Thore verschlossen, und jeden „erlogenen und geschminkten Aberglauben" fern von sich hielten. Auch Ter- tullian sagt spottend: „Die Ehrwürdigkeit der Religion wird gewinnbringend, wenn sie bettelnd die Wirthshäuser besucht." Der gute Kirchenvater hat frei¬ lich nicht geahnt, daß einige Jahrhunderte später christliche Mönche das Ge¬ lübde lebenslänglicher Betlelpflicht ablegen würden! Die oft unverständig gehandhabte christliche Mildthätigkeit trug keineswegs dazu bei, die Zahl der Bettler in Rom zu mindern, und nachdem Valenti- nian I. besondere Armenarzte mit fester Besoldung in Rom angestellt hatte, sah sich Gratian endlich genöthigt, seinem Stadtpräfecten zu befehle», eine strenge Revision vorzunehmen, und alle Bettler untersuchen zu lassen. Die¬ jenigen, welche noch zur Arbeit tauglich waren , wurden, wenn sie dem freien Stande angehörten, als Bauern angesiedelt, wenn sie das Unglück hatten, Sklaven zu sein, Eigenthum ihrer Denuncianten. Zu gleicher Zeit schreibt der heilige Ambrosius in seinem Buche über die Pflichten der Geistlichkeit, man müsse sich hüten, Wohlthaten an Unwürdige zu verschwenden, und dadurch die Unterstützungen der wirklichen Armuth zu verringern, und ermahnt die Priester, Grenjbote». IV. -ILL7. SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/441>, abgerufen am 22.05.2024.