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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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det und es vor dem Strudel der Revolution bewahrt hatte. (Einige Monate
spater sollte sie auch Gelegenheit haben, zu zeigen, wie weit sie von dem Per¬
dacht* ultramontaner Neigungen freizusprechen sei.

Im September 1836 erließ zuerst der Bischof von Gent, dann der von
Brügge einen Hirtenbrief, in welchem die Docenten der Universitäten Gent,
Brügge und Lüttich antikatholischer Lehren angeklagt und die Eltern und
Vormünder ermahnt wurden, ihre Söhne diesen Instituten nicht zu
übergeben. Der genter Bischof knüpfte daran noch ein Verdammungsurtheil
über die mittleren Schulen seiner Diöcese, wo "die Religion verbannt, der
Unterricht ohne Bürgschaft, die Erziehung ohne Basis sei, und wo Wissen¬
schaften vorgetragen würden, zu nichts geeignet, als den Geist stolz zu
machen, Unglück in den Häusern, Trostlosigkeit im Vaterlande auszusäen."
Die Aufregung über diese Maßregel war ungeheuer. Vergebens wurde ihr
ein Brief des Papstes entgegengehalten, welcher die Hirtenbriefe als Aeuße¬
rungen der Pflichttreue lobte. Die Gemeinderäthe erließen energische Proteste
gegen die Behauptungen der Bischöfe. Diese antworteten, und jetzt kam eS
zu Tage, daß es weniger auf bestimmte Mißstände, als auf das den
Ultramontanen von jeher verhaßte Princip der Lehrfreiheit abgesehen ge¬
wesen. Ohne seine Behauptungen zu beweisen, that der Bischof von Gent
nur durch Citate aus katholischen Autoritäten dar, daß der Religionsunter¬
richt "allein nach Richtschnur der von der Kirche gebilligten Lehrbücher und
allein von besonders durch sie dazu bestellten Personen" ertheilt werden
dürfe. Das Ministerium handelte auch in dieser Angelegenheit vor¬
sichtig und unparteiisch. Die Decrete, welche die Vorlesungen für das neue
Schuljahr zu regeln hatten, zeigten gegen den vorjährigen Plan nicht die
mindeste Veränderung, und der Minister des Innern begleitete diese
Decrete mit einem Schreiben, in welchem er erklärte, baß die Regierung
den Professoren durchaus nicht die Pflicht auferlege, religiöse Fragen
im Sinne einer positiven Religion zu beantworten, zugleich aber die Ver¬
meidung aller derartigen nicht unumgänglich nothwendigen Punkte auf dem
Katheder oder, wo sie nicht zu vermeiden, rücksichtsvolle Behandlung empfahl.
Diese versöhnliche Ansprache, welche den bischöflichen Anmaßungen keinerlei
Zugeständnisse machte, hinterließ den besten Eindruck. Derselbe wurde
verstärkt, als der König am 11. November die neue parlamentarische
Session mit einer Thronrede eröffnete, in welcher mit Bezug ans jenen
Conflict der Satz vorkam: "die Eröffnung des akademischen JahreS habe der
Regierung Gelegenheit geboten, an die Grundsätze z" erinnern, deren ent¬
schiedene und aufrichtige Anwendung das Gedeihen der Universitäten sichern
müsse."

In der Nationalvertretung hatten, wie bereits angeführt, die Klerikalen


det und es vor dem Strudel der Revolution bewahrt hatte. (Einige Monate
spater sollte sie auch Gelegenheit haben, zu zeigen, wie weit sie von dem Per¬
dacht* ultramontaner Neigungen freizusprechen sei.

Im September 1836 erließ zuerst der Bischof von Gent, dann der von
Brügge einen Hirtenbrief, in welchem die Docenten der Universitäten Gent,
Brügge und Lüttich antikatholischer Lehren angeklagt und die Eltern und
Vormünder ermahnt wurden, ihre Söhne diesen Instituten nicht zu
übergeben. Der genter Bischof knüpfte daran noch ein Verdammungsurtheil
über die mittleren Schulen seiner Diöcese, wo „die Religion verbannt, der
Unterricht ohne Bürgschaft, die Erziehung ohne Basis sei, und wo Wissen¬
schaften vorgetragen würden, zu nichts geeignet, als den Geist stolz zu
machen, Unglück in den Häusern, Trostlosigkeit im Vaterlande auszusäen."
Die Aufregung über diese Maßregel war ungeheuer. Vergebens wurde ihr
ein Brief des Papstes entgegengehalten, welcher die Hirtenbriefe als Aeuße¬
rungen der Pflichttreue lobte. Die Gemeinderäthe erließen energische Proteste
gegen die Behauptungen der Bischöfe. Diese antworteten, und jetzt kam eS
zu Tage, daß es weniger auf bestimmte Mißstände, als auf das den
Ultramontanen von jeher verhaßte Princip der Lehrfreiheit abgesehen ge¬
wesen. Ohne seine Behauptungen zu beweisen, that der Bischof von Gent
nur durch Citate aus katholischen Autoritäten dar, daß der Religionsunter¬
richt „allein nach Richtschnur der von der Kirche gebilligten Lehrbücher und
allein von besonders durch sie dazu bestellten Personen" ertheilt werden
dürfe. Das Ministerium handelte auch in dieser Angelegenheit vor¬
sichtig und unparteiisch. Die Decrete, welche die Vorlesungen für das neue
Schuljahr zu regeln hatten, zeigten gegen den vorjährigen Plan nicht die
mindeste Veränderung, und der Minister des Innern begleitete diese
Decrete mit einem Schreiben, in welchem er erklärte, baß die Regierung
den Professoren durchaus nicht die Pflicht auferlege, religiöse Fragen
im Sinne einer positiven Religion zu beantworten, zugleich aber die Ver¬
meidung aller derartigen nicht unumgänglich nothwendigen Punkte auf dem
Katheder oder, wo sie nicht zu vermeiden, rücksichtsvolle Behandlung empfahl.
Diese versöhnliche Ansprache, welche den bischöflichen Anmaßungen keinerlei
Zugeständnisse machte, hinterließ den besten Eindruck. Derselbe wurde
verstärkt, als der König am 11. November die neue parlamentarische
Session mit einer Thronrede eröffnete, in welcher mit Bezug ans jenen
Conflict der Satz vorkam: „die Eröffnung des akademischen JahreS habe der
Regierung Gelegenheit geboten, an die Grundsätze z» erinnern, deren ent¬
schiedene und aufrichtige Anwendung das Gedeihen der Universitäten sichern
müsse."

In der Nationalvertretung hatten, wie bereits angeführt, die Klerikalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/462>, abgerufen am 21.05.2024.