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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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thürmten sich von allen Seiten auf. Man stritt in den öffentlichen Blättern
während des ganzen Sommers darüber hin und her; aber die Theilnahme
war nicht groß genug, um das nöthige Gründungscapital zu beschaffen, das
mit Einschluß der schon vorhandenen Staaisausgaben von 13,200 Thlr. (jeden¬
falls zu niedrig) auf 42,000 Thlr. veranschlagt war. Anfangs versprachen
die Zeichnungen Glänzendes, aber der Fortgang entsprach dem Be¬
ginn nicht, und eS fehlte außerdem die Theilnahme der höhern Kreise.
Unsere Kaufleute lieben eS nicht, für einen Zweck von ungewissem
Vortheil tief in den Kasten zu greifen; schon in der Handelswelt gelten sie
als vorsichtig, wie hätten sie es nicht bei einer ihnen ferner stehenden Sache
sein müssen, über die selbst unter Gelehrten so mancherlei Bedenken laut wur¬
den. Genau erwogen erscheint daher die Erfolglosigkeit des Projeetes so nach¬
theilig für den Bürgersinn Hamburgs uicht. Alle jene Bedenken würden
schweigen, sobald ein Maecen der Wissenschaft da wäre, wie einst Maecene der
Klöster oder jetzt unter uns Maecene der Armenpflege. -- Haben wir keine
Universität, so besitzen wir wenigstens etwas dem Aehnliches. Bei uns besteht
noch eine der Bildungsanstalten, wie sie einst Danzig in seinem Athenaeum,
Koburg in seinem Casimirianum und manche andere Städte besaßen, eine An¬
stalt, deren wesentliche Bestimmung einst darin bestand, die abgehenden Pri¬
maner in den philosophischen Disciplinen zum Besuch der Universitäten vor¬
zubereiten, damit hier gleich zu den Facultätsstudicn geschritten werden könnte.
Bei der Gründung unseres Institutes wirkte noch eine andere Rücksicht mit.
Als nämlich zu Anfang deS 17. Jahrhunderts unsere gelehrte Schule, das
Johanneum, durch überhäuften Besuch in Verfall kam, so daß viele angesehene
Leute ihre Söhne auf die Schulen von Stade und Bremen schickten, schlug
der Senat im Jahre ,1610 der Bürgerschaft vor, ein akademisches Gymnasium
von höherer wissenschaftlicher Bedeutung einzurichten. Drei Jahre darauf
ward das neue Institut eingeweiht, und 16Is wurde es bereits von 72 Gym¬
nasiasten besucht. Bedeutende Männer unterhielten den guten Ruf der Anstalt,
die für die Gelehrtengeschichte der beiden letzten Jahrhunderte wichtig genug
ist, um eS mit Guhrauer zu bedauern, daß über ihre Geschichte keine ausführ¬
lichere Arbeit da ist, als der kurze Ueberblick, den der gegenwärtige Bibliothe¬
kar und Professor der class. Philologie, Petersen, in seiner Antrittsrede 1833 gab.
In den meisten andern Städten gingen solche xymnasia illu8tria ein, in Ham¬
burg hat eS sich erhalten, als Denkmal des edlen Sinns unsrer Vorfahren,
sagen die Freunde -- alö veralteter Zopf einer vergangenen Zeit, sagen die Geg¬
ner. Seit diesem Jahrhundert nämlich ist über die Bedeutung oder zeitgemäße
Umgestaltung dieses Institutes fast ebenso viel gestritten, wie über unsere Ver¬
fassung selbst.

Wiederholt dachte man an Aufhebung deS Johanneums; indessen siegte


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thürmten sich von allen Seiten auf. Man stritt in den öffentlichen Blättern
während des ganzen Sommers darüber hin und her; aber die Theilnahme
war nicht groß genug, um das nöthige Gründungscapital zu beschaffen, das
mit Einschluß der schon vorhandenen Staaisausgaben von 13,200 Thlr. (jeden¬
falls zu niedrig) auf 42,000 Thlr. veranschlagt war. Anfangs versprachen
die Zeichnungen Glänzendes, aber der Fortgang entsprach dem Be¬
ginn nicht, und eS fehlte außerdem die Theilnahme der höhern Kreise.
Unsere Kaufleute lieben eS nicht, für einen Zweck von ungewissem
Vortheil tief in den Kasten zu greifen; schon in der Handelswelt gelten sie
als vorsichtig, wie hätten sie es nicht bei einer ihnen ferner stehenden Sache
sein müssen, über die selbst unter Gelehrten so mancherlei Bedenken laut wur¬
den. Genau erwogen erscheint daher die Erfolglosigkeit des Projeetes so nach¬
theilig für den Bürgersinn Hamburgs uicht. Alle jene Bedenken würden
schweigen, sobald ein Maecen der Wissenschaft da wäre, wie einst Maecene der
Klöster oder jetzt unter uns Maecene der Armenpflege. — Haben wir keine
Universität, so besitzen wir wenigstens etwas dem Aehnliches. Bei uns besteht
noch eine der Bildungsanstalten, wie sie einst Danzig in seinem Athenaeum,
Koburg in seinem Casimirianum und manche andere Städte besaßen, eine An¬
stalt, deren wesentliche Bestimmung einst darin bestand, die abgehenden Pri¬
maner in den philosophischen Disciplinen zum Besuch der Universitäten vor¬
zubereiten, damit hier gleich zu den Facultätsstudicn geschritten werden könnte.
Bei der Gründung unseres Institutes wirkte noch eine andere Rücksicht mit.
Als nämlich zu Anfang deS 17. Jahrhunderts unsere gelehrte Schule, das
Johanneum, durch überhäuften Besuch in Verfall kam, so daß viele angesehene
Leute ihre Söhne auf die Schulen von Stade und Bremen schickten, schlug
der Senat im Jahre ,1610 der Bürgerschaft vor, ein akademisches Gymnasium
von höherer wissenschaftlicher Bedeutung einzurichten. Drei Jahre darauf
ward das neue Institut eingeweiht, und 16Is wurde es bereits von 72 Gym¬
nasiasten besucht. Bedeutende Männer unterhielten den guten Ruf der Anstalt,
die für die Gelehrtengeschichte der beiden letzten Jahrhunderte wichtig genug
ist, um eS mit Guhrauer zu bedauern, daß über ihre Geschichte keine ausführ¬
lichere Arbeit da ist, als der kurze Ueberblick, den der gegenwärtige Bibliothe¬
kar und Professor der class. Philologie, Petersen, in seiner Antrittsrede 1833 gab.
In den meisten andern Städten gingen solche xymnasia illu8tria ein, in Ham¬
burg hat eS sich erhalten, als Denkmal des edlen Sinns unsrer Vorfahren,
sagen die Freunde — alö veralteter Zopf einer vergangenen Zeit, sagen die Geg¬
ner. Seit diesem Jahrhundert nämlich ist über die Bedeutung oder zeitgemäße
Umgestaltung dieses Institutes fast ebenso viel gestritten, wie über unsere Ver¬
fassung selbst.

Wiederholt dachte man an Aufhebung deS Johanneums; indessen siegte


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[0481] thürmten sich von allen Seiten auf. Man stritt in den öffentlichen Blättern während des ganzen Sommers darüber hin und her; aber die Theilnahme war nicht groß genug, um das nöthige Gründungscapital zu beschaffen, das mit Einschluß der schon vorhandenen Staaisausgaben von 13,200 Thlr. (jeden¬ falls zu niedrig) auf 42,000 Thlr. veranschlagt war. Anfangs versprachen die Zeichnungen Glänzendes, aber der Fortgang entsprach dem Be¬ ginn nicht, und eS fehlte außerdem die Theilnahme der höhern Kreise. Unsere Kaufleute lieben eS nicht, für einen Zweck von ungewissem Vortheil tief in den Kasten zu greifen; schon in der Handelswelt gelten sie als vorsichtig, wie hätten sie es nicht bei einer ihnen ferner stehenden Sache sein müssen, über die selbst unter Gelehrten so mancherlei Bedenken laut wur¬ den. Genau erwogen erscheint daher die Erfolglosigkeit des Projeetes so nach¬ theilig für den Bürgersinn Hamburgs uicht. Alle jene Bedenken würden schweigen, sobald ein Maecen der Wissenschaft da wäre, wie einst Maecene der Klöster oder jetzt unter uns Maecene der Armenpflege. — Haben wir keine Universität, so besitzen wir wenigstens etwas dem Aehnliches. Bei uns besteht noch eine der Bildungsanstalten, wie sie einst Danzig in seinem Athenaeum, Koburg in seinem Casimirianum und manche andere Städte besaßen, eine An¬ stalt, deren wesentliche Bestimmung einst darin bestand, die abgehenden Pri¬ maner in den philosophischen Disciplinen zum Besuch der Universitäten vor¬ zubereiten, damit hier gleich zu den Facultätsstudicn geschritten werden könnte. Bei der Gründung unseres Institutes wirkte noch eine andere Rücksicht mit. Als nämlich zu Anfang deS 17. Jahrhunderts unsere gelehrte Schule, das Johanneum, durch überhäuften Besuch in Verfall kam, so daß viele angesehene Leute ihre Söhne auf die Schulen von Stade und Bremen schickten, schlug der Senat im Jahre ,1610 der Bürgerschaft vor, ein akademisches Gymnasium von höherer wissenschaftlicher Bedeutung einzurichten. Drei Jahre darauf ward das neue Institut eingeweiht, und 16Is wurde es bereits von 72 Gym¬ nasiasten besucht. Bedeutende Männer unterhielten den guten Ruf der Anstalt, die für die Gelehrtengeschichte der beiden letzten Jahrhunderte wichtig genug ist, um eS mit Guhrauer zu bedauern, daß über ihre Geschichte keine ausführ¬ lichere Arbeit da ist, als der kurze Ueberblick, den der gegenwärtige Bibliothe¬ kar und Professor der class. Philologie, Petersen, in seiner Antrittsrede 1833 gab. In den meisten andern Städten gingen solche xymnasia illu8tria ein, in Ham¬ burg hat eS sich erhalten, als Denkmal des edlen Sinns unsrer Vorfahren, sagen die Freunde — alö veralteter Zopf einer vergangenen Zeit, sagen die Geg¬ ner. Seit diesem Jahrhundert nämlich ist über die Bedeutung oder zeitgemäße Umgestaltung dieses Institutes fast ebenso viel gestritten, wie über unsere Ver¬ fassung selbst. Wiederholt dachte man an Aufhebung deS Johanneums; indessen siegte Grenzboten. IV. 1LL7. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/481>, abgerufen am 22.05.2024.