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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Ausdruck, weil er der Sache entspricht. Lange Zeit hat man sich mit dem
Wahn getragen, die Angriffe gegen den Liberalismus rührten von andern,
weitergehenden Parteien z. B. von der Demokratie her, heute weiß jeder, der
Augen hat zu sehen, daß diese Parteien nur in der Einbildung eristiren. Der
Liberalismus ist unpopulär, nicht bei seinen politischen Gegnern, sondern bei
dem zuschauenden Publicum, welches er nicht genug verstanden zu erwärmen,
aus dem Parterre auf die Schaubühne zu locken, aus Zuschauern in Mitspieler
zu verwandeln. Die beste Bürgschaft dafür sind die parlamentarischen Wahlen
in allen deutschen Staaten. Freilich hat die herrschende Partei mitunter die
unerhörtesten Kunstgriffe gebraucht, um sie nach ihren Zwecken zu lenken, aber
die Kunstgriffe reichen in der Geschichte niemals aus, wo sich ihnen ein stand¬
hafter und entschlossener Wille entgegensetzt. Die gouvernementalen Majori¬
täten in den deutschen Kammern sind nicht ein Ausdruck für die Ueberein¬
stimmung des Volkes mit den Regierungen, sondern für die Gleichgiltigkeit
desselben für die Politik überhaupt. Fassen wir die gelesensten Blätter Deutsch¬
lands ins Auge, so wird diese Wahrnehmung nur noch bestätigt; hin und
wieder ist wol von Schleswig-Holstein, von Moldau und Walachei und ähn¬
lichen Dingen die Rede, aber der Raum, den der Credit-Mobilier, das Asse-
curanzwesen, die Arbeiterfrage u. f. w. einnehmen, ist doch unendlich größer;
die Grenzboten haben in dieser Beziehung ihren Collegen nichts vorzuwerfen.

Nun liegen in der That die socialen und ökonomischen Fragen in unserer
Zeit nicht blos den Interessen, sondern auch der sinnlichen Anschauungskraft
des Publicums viel näher als die politischen. Ob es für das Gedeihen der
Civilisation wünschenswerther ist, daß die Walachen Moldauer oder daß die
Moldauer Walachen werden, daß ihr Oberhaupt aus den deutschen Fürsten¬
häusern oder aus den griechischen Fanarioten genommen wird, das ist eine
Frage, die den deutschen Philister in seinen Musestunden recht wohl beschäf¬
tigen kann, grade wie die Frage, ob eS sür den Dalai-Lama schicklicher ist, den
Kopf von links nach rechts oder von rechts nach links zu schütteln, aber auch
dem eifrigsten Politiker würde eS nicht gelingen, irgend eilten aus dem Pu¬
blicum zu überzeugen, daß uns das etwas angeht. Und nun wird uns von
den Zeitungen die wichtige Nachricht mitgetheilt, daß der preußische Gesandte,
weil irgend ein Kaimakan das intelligente Volk der Walachen ungefähr ebenso
behandelt hat, wie der gellertsche Amtmann die Bauern in der Fabel, dem
Sultan gedroht habe, seine Pässe zu fordern, und wenn ein anderer Kai¬
makan nach einer andern Seite hin unartig ist, so fordert vielleicht der öst¬
reichische Gesandte seine Pässe. Wir besitzen aber nicht blos die Großmächte
Oestreich und Preußen, wir haben noch Baiern, Sachsen, Hannover, Wür-
temberg, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe
u. s. w. Wie denkt daS baiersche Ministerium über das Verfahren jenes übel-


Ausdruck, weil er der Sache entspricht. Lange Zeit hat man sich mit dem
Wahn getragen, die Angriffe gegen den Liberalismus rührten von andern,
weitergehenden Parteien z. B. von der Demokratie her, heute weiß jeder, der
Augen hat zu sehen, daß diese Parteien nur in der Einbildung eristiren. Der
Liberalismus ist unpopulär, nicht bei seinen politischen Gegnern, sondern bei
dem zuschauenden Publicum, welches er nicht genug verstanden zu erwärmen,
aus dem Parterre auf die Schaubühne zu locken, aus Zuschauern in Mitspieler
zu verwandeln. Die beste Bürgschaft dafür sind die parlamentarischen Wahlen
in allen deutschen Staaten. Freilich hat die herrschende Partei mitunter die
unerhörtesten Kunstgriffe gebraucht, um sie nach ihren Zwecken zu lenken, aber
die Kunstgriffe reichen in der Geschichte niemals aus, wo sich ihnen ein stand¬
hafter und entschlossener Wille entgegensetzt. Die gouvernementalen Majori¬
täten in den deutschen Kammern sind nicht ein Ausdruck für die Ueberein¬
stimmung des Volkes mit den Regierungen, sondern für die Gleichgiltigkeit
desselben für die Politik überhaupt. Fassen wir die gelesensten Blätter Deutsch¬
lands ins Auge, so wird diese Wahrnehmung nur noch bestätigt; hin und
wieder ist wol von Schleswig-Holstein, von Moldau und Walachei und ähn¬
lichen Dingen die Rede, aber der Raum, den der Credit-Mobilier, das Asse-
curanzwesen, die Arbeiterfrage u. f. w. einnehmen, ist doch unendlich größer;
die Grenzboten haben in dieser Beziehung ihren Collegen nichts vorzuwerfen.

Nun liegen in der That die socialen und ökonomischen Fragen in unserer
Zeit nicht blos den Interessen, sondern auch der sinnlichen Anschauungskraft
des Publicums viel näher als die politischen. Ob es für das Gedeihen der
Civilisation wünschenswerther ist, daß die Walachen Moldauer oder daß die
Moldauer Walachen werden, daß ihr Oberhaupt aus den deutschen Fürsten¬
häusern oder aus den griechischen Fanarioten genommen wird, das ist eine
Frage, die den deutschen Philister in seinen Musestunden recht wohl beschäf¬
tigen kann, grade wie die Frage, ob eS sür den Dalai-Lama schicklicher ist, den
Kopf von links nach rechts oder von rechts nach links zu schütteln, aber auch
dem eifrigsten Politiker würde eS nicht gelingen, irgend eilten aus dem Pu¬
blicum zu überzeugen, daß uns das etwas angeht. Und nun wird uns von
den Zeitungen die wichtige Nachricht mitgetheilt, daß der preußische Gesandte,
weil irgend ein Kaimakan das intelligente Volk der Walachen ungefähr ebenso
behandelt hat, wie der gellertsche Amtmann die Bauern in der Fabel, dem
Sultan gedroht habe, seine Pässe zu fordern, und wenn ein anderer Kai¬
makan nach einer andern Seite hin unartig ist, so fordert vielleicht der öst¬
reichische Gesandte seine Pässe. Wir besitzen aber nicht blos die Großmächte
Oestreich und Preußen, wir haben noch Baiern, Sachsen, Hannover, Wür-
temberg, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe
u. s. w. Wie denkt daS baiersche Ministerium über das Verfahren jenes übel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/50>, abgerufen am 21.05.2024.