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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Geschlechts verewigt worden. In schöner Symbolik ist auf das gemeinsame
Wirken zu dem großen Zweck, zur gleichmäßigen ästhetischen und sittlichen Bil¬
dung der Nation hingedeutet worden. Wenn diese Kunstwerke die Umgebung
etwas drücken, so ist auch dadurch nur den wirklichen Verhältnissen Rechnung
getragen: die wenigen Menschen, in denen sich damals die Blüte des deutschen
Geistes concentrirte, waren wirklich größer als Weimar, und das war für sie ver-
hängnißvoll, nicht blos für Goethe, sondern auch und vornehmlich für Karl
August.

Wenn die bildende Kunst zur Feier jenes Tages ihre Schuldigkeit gethan,
so ist die Literatur nicht zurückgeblieben. Trotz des großen Umfangs, den schon
bis dahin die Chronik von Weimar einnahm, ist doch die Ausbeute noch im¬
mer sehr reichhaltig. Mit großer Theilnahme haben wir in den genannten Büchern
alte Erinnerungen wieder aufgefrischt, auch einzelnes Neue erfahren. Alle
Züge, die man uns aus dem Leben Karl Augusts berichtet, krystallisiren sich zu
dem Bilde eines edlen, eines idealen Menschen. Ein starker, entschlossener
Wille, verbunden mit weicher, völliger Hingebung wo er liebte, ein rastloser,
ungestümer Thätigkeitsdrang und doch die Neigung und das Verständniß für
fremde Schöpfungen, ein nicht blos scharfer, sondern auch weitblickender Ver¬
stand, der eigentlich über den Horizont seiner Zeit hinausreichte und in
mancher Beziehung die poetische Anschauung Goethes überflügelte: -- wir
würden uicht fertig werden, die einzelnen Züge zu diesem vollendeten Bilde zu
sammeln. Unter allen denkbaren Zufällen hatte wol keiner einen providen-
tielleren Anschein als der, welcher Goethe und Karl August zusammenführte,
und in der That ist das Verhältniß zwischen den beiden, obgleich es nicht auf
dem alten Fuße sich erhalten konnte, obgleich sie in mancher Beziehung aus¬
einandergingen, doch immer ein reines geblieben; nicht blos die gegenseitige
Achtung und Ehrfurcht hat sie aneinandergeknüpft, sondern auch ein zarteres
Band, die alte Jugendueigung, die immer von neuem wieder erwachte, so oft
sie durch vorübergehende MißHelligkeiten für einen Augenblick eingeschläfert schien.

Und doch entdeckt man bei näherm Zusehn einen leisen Schatten auf dem
Bild dieser beiden edlen Menschen. Von Goethe ist es schon oft ausgesprochen
worden, daß seinem Leben in Weimar etwas fehlte, daß grade seine scheinbar
hohe und glänzende Stellung ihn jenem festen Boden der Wirklichkeit entrückte,
aus dem doch auf die Dauer allein der Dichter Nahrung und Kraft saugt.
Goethe hat selbst nicht selten Stunden gehabt, wo ihn seine Zustände drück¬
ten; nur fand er wol nicht den richtigen Grund. So in dem merkwürdigen
Gespräch mit Eckermann: "Man hat mich immer als einen vom Glück beson¬
ders Begünstigten gepriesen, , auch will ich mich nicht beklagen und den Gang
meines Lebens nicht schelten. Aber im Grunde ist eS nichts als Mühe und
Arbeit gewesen, und ich kann wol sagen, daß ich in meinen 73 Jahren keine


Geschlechts verewigt worden. In schöner Symbolik ist auf das gemeinsame
Wirken zu dem großen Zweck, zur gleichmäßigen ästhetischen und sittlichen Bil¬
dung der Nation hingedeutet worden. Wenn diese Kunstwerke die Umgebung
etwas drücken, so ist auch dadurch nur den wirklichen Verhältnissen Rechnung
getragen: die wenigen Menschen, in denen sich damals die Blüte des deutschen
Geistes concentrirte, waren wirklich größer als Weimar, und das war für sie ver-
hängnißvoll, nicht blos für Goethe, sondern auch und vornehmlich für Karl
August.

Wenn die bildende Kunst zur Feier jenes Tages ihre Schuldigkeit gethan,
so ist die Literatur nicht zurückgeblieben. Trotz des großen Umfangs, den schon
bis dahin die Chronik von Weimar einnahm, ist doch die Ausbeute noch im¬
mer sehr reichhaltig. Mit großer Theilnahme haben wir in den genannten Büchern
alte Erinnerungen wieder aufgefrischt, auch einzelnes Neue erfahren. Alle
Züge, die man uns aus dem Leben Karl Augusts berichtet, krystallisiren sich zu
dem Bilde eines edlen, eines idealen Menschen. Ein starker, entschlossener
Wille, verbunden mit weicher, völliger Hingebung wo er liebte, ein rastloser,
ungestümer Thätigkeitsdrang und doch die Neigung und das Verständniß für
fremde Schöpfungen, ein nicht blos scharfer, sondern auch weitblickender Ver¬
stand, der eigentlich über den Horizont seiner Zeit hinausreichte und in
mancher Beziehung die poetische Anschauung Goethes überflügelte: — wir
würden uicht fertig werden, die einzelnen Züge zu diesem vollendeten Bilde zu
sammeln. Unter allen denkbaren Zufällen hatte wol keiner einen providen-
tielleren Anschein als der, welcher Goethe und Karl August zusammenführte,
und in der That ist das Verhältniß zwischen den beiden, obgleich es nicht auf
dem alten Fuße sich erhalten konnte, obgleich sie in mancher Beziehung aus¬
einandergingen, doch immer ein reines geblieben; nicht blos die gegenseitige
Achtung und Ehrfurcht hat sie aneinandergeknüpft, sondern auch ein zarteres
Band, die alte Jugendueigung, die immer von neuem wieder erwachte, so oft
sie durch vorübergehende MißHelligkeiten für einen Augenblick eingeschläfert schien.

Und doch entdeckt man bei näherm Zusehn einen leisen Schatten auf dem
Bild dieser beiden edlen Menschen. Von Goethe ist es schon oft ausgesprochen
worden, daß seinem Leben in Weimar etwas fehlte, daß grade seine scheinbar
hohe und glänzende Stellung ihn jenem festen Boden der Wirklichkeit entrückte,
aus dem doch auf die Dauer allein der Dichter Nahrung und Kraft saugt.
Goethe hat selbst nicht selten Stunden gehabt, wo ihn seine Zustände drück¬
ten; nur fand er wol nicht den richtigen Grund. So in dem merkwürdigen
Gespräch mit Eckermann: „Man hat mich immer als einen vom Glück beson¬
ders Begünstigten gepriesen, , auch will ich mich nicht beklagen und den Gang
meines Lebens nicht schelten. Aber im Grunde ist eS nichts als Mühe und
Arbeit gewesen, und ich kann wol sagen, daß ich in meinen 73 Jahren keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/90>, abgerufen am 21.05.2024.