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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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es im Interesse der Reichen ohne Erven, möglichst zahlreiche Hoffnungen zu
nähren, da diese für sie eine Art Leibrente waren, wahrend andrerseits die
Erbschaftsjäger große Kunst anwendeten, um die schwer zu fassende Beute zu
sichern, ohne sich Blößen zu geben. Die mit der äußersten Uneigennützigkeit
und Herzlichkeit maskirten Angriffe, die jeder Theil ans alle schwachen Seiten
des andern machte und die oft ebenso sein parirt und erwidert wurden,
machen euren hochkomischcn Effect, wenn sie freilich auch den krassen Materia¬
lismus der damaligen Gesellschaft in widerwärtiger Nacktheit zeigen. Es
ist wol nicht überflüssig zu bemerken, daß eine andere Art, sich eine wünschens-
werthe Position zu geben, an die zu denken uns näher liegt, nämlich durch
Heirath, wenig beliebt war, weil sie selten zum Ziel führte. Bei der in der Kaiser-
zeit üblichen Form der Eheschließung behielten die Frauen die Disposition
über ihr Vermögen.

Es gibt kaum einen Schriftsteller oder Dichter aus der Zeit nach Christus,
der die sittlichen und geselligen Zustände berührt, ohne von diesem Gegenstand
zu sprechen. Wer dies Treiben aufmerksam beobachtete, dem schien es zuletzt,
als wenn ganz Rom in zwei Parteien getheilt sei, von denen die eine auf
die Testamente der andern speculirte, die andere aus diesen Spekulationen
Nutzen zu ziehen suchte. In dieser Stadt, sagt Perron, indem er das in
Rom heimische Treiben nach Kroton verlegt, werden weder wissenschaftliche
Studien getrieben, noch findet Beredtsamkeit einen Platz; weder Bravheit noch
Sittenreinheit kommen auf einen grünen Zweig, sondern alle Menschen, die ihr
sehn werdet, sie mögen sein welche sie wollen, sind in zwei Parteien getheilt.
Entweder angeln sie oder sie lassen nach sich angeln. In dieser Stadt zieht
niemand Kinder groß; denn wer Leibeserben hat, wird weder zu Gast gebeten
noch zu Lustbarkeiten zugelassen, sondern von allen Bortheilen ausgeschlossen
und führt ein obscures Leben unter denen, die der Ehre verlustig erklärt sind.
Die aber nie geheirathet und keine nahen Verwandten haben, gelangen zu
den höchsten Ehren, und werden für die einzigen vortrefflichen Menschen und
sogar für schuldlos gehalten. Ihr werdet eine Stadt sehn, die einem Ge¬
filde in einer Pest gleicht, auf dem es nichts gibt als Leichen und Raben,
die sie zerfleischen. Einige Aeußerungen gleichzeitiger Schriftsteller mögen
zeigen, daß diese Schilderung etwas mehr ist als ein bloßes Phantasiegemälde.
Seit die Kinderlosigkeit, schreist der ältere Plinius, angefangen hat zum
höchsten Ansehn und Einfluß zu führen und die Erbschleichern der. einträg¬
lichste Erwerb zu sein, seit es keinen Genuß gibt außer am Besitz, ist alles,
was dem Leben Werth verleiht, zu Grunde gegangen. Die Kinderlosen, sagt
Plutarch, laden die Reichen zu Gast, die Vornehmen machen ihnen den Hof,
sie sind die einzigen, denen die Anhalte ihren Beistand umsonst ertheilen.
Wird ihnen ein Kind geboren, so sind sie auf einmal fteund- und machtlos.


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es im Interesse der Reichen ohne Erven, möglichst zahlreiche Hoffnungen zu
nähren, da diese für sie eine Art Leibrente waren, wahrend andrerseits die
Erbschaftsjäger große Kunst anwendeten, um die schwer zu fassende Beute zu
sichern, ohne sich Blößen zu geben. Die mit der äußersten Uneigennützigkeit
und Herzlichkeit maskirten Angriffe, die jeder Theil ans alle schwachen Seiten
des andern machte und die oft ebenso sein parirt und erwidert wurden,
machen euren hochkomischcn Effect, wenn sie freilich auch den krassen Materia¬
lismus der damaligen Gesellschaft in widerwärtiger Nacktheit zeigen. Es
ist wol nicht überflüssig zu bemerken, daß eine andere Art, sich eine wünschens-
werthe Position zu geben, an die zu denken uns näher liegt, nämlich durch
Heirath, wenig beliebt war, weil sie selten zum Ziel führte. Bei der in der Kaiser-
zeit üblichen Form der Eheschließung behielten die Frauen die Disposition
über ihr Vermögen.

Es gibt kaum einen Schriftsteller oder Dichter aus der Zeit nach Christus,
der die sittlichen und geselligen Zustände berührt, ohne von diesem Gegenstand
zu sprechen. Wer dies Treiben aufmerksam beobachtete, dem schien es zuletzt,
als wenn ganz Rom in zwei Parteien getheilt sei, von denen die eine auf
die Testamente der andern speculirte, die andere aus diesen Spekulationen
Nutzen zu ziehen suchte. In dieser Stadt, sagt Perron, indem er das in
Rom heimische Treiben nach Kroton verlegt, werden weder wissenschaftliche
Studien getrieben, noch findet Beredtsamkeit einen Platz; weder Bravheit noch
Sittenreinheit kommen auf einen grünen Zweig, sondern alle Menschen, die ihr
sehn werdet, sie mögen sein welche sie wollen, sind in zwei Parteien getheilt.
Entweder angeln sie oder sie lassen nach sich angeln. In dieser Stadt zieht
niemand Kinder groß; denn wer Leibeserben hat, wird weder zu Gast gebeten
noch zu Lustbarkeiten zugelassen, sondern von allen Bortheilen ausgeschlossen
und führt ein obscures Leben unter denen, die der Ehre verlustig erklärt sind.
Die aber nie geheirathet und keine nahen Verwandten haben, gelangen zu
den höchsten Ehren, und werden für die einzigen vortrefflichen Menschen und
sogar für schuldlos gehalten. Ihr werdet eine Stadt sehn, die einem Ge¬
filde in einer Pest gleicht, auf dem es nichts gibt als Leichen und Raben,
die sie zerfleischen. Einige Aeußerungen gleichzeitiger Schriftsteller mögen
zeigen, daß diese Schilderung etwas mehr ist als ein bloßes Phantasiegemälde.
Seit die Kinderlosigkeit, schreist der ältere Plinius, angefangen hat zum
höchsten Ansehn und Einfluß zu führen und die Erbschleichern der. einträg¬
lichste Erwerb zu sein, seit es keinen Genuß gibt außer am Besitz, ist alles,
was dem Leben Werth verleiht, zu Grunde gegangen. Die Kinderlosen, sagt
Plutarch, laden die Reichen zu Gast, die Vornehmen machen ihnen den Hof,
sie sind die einzigen, denen die Anhalte ihren Beistand umsonst ertheilen.
Wird ihnen ein Kind geboren, so sind sie auf einmal fteund- und machtlos.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/107>, abgerufen am 14.05.2024.