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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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waren an jedem Morgen von einem Schwarm von Besuchern aus den
besten Kreisen gefüllt. Martial zählt einmal unter den Diensten, die der
Patron von seinen Clienten verlangt, auch den auf, ihn täglich zu ungefähr
zehn Witwen begleiten zu müssen. Man sieht, sagt Juvenal, einen Prätor
am frühen Morgen den -vorausgehenden Victor zu größerer Eile treiben:
warum ist er so hastig? Er fürchtet, es möchte ihm bei Frau Modia oder
Albina ein College zuvorkommen.

Dieser lästige, kostspielige und entwürdigende Dienst wurde auch im besten
Fall auf sehr unsichere Aussichten hin geleistet; selbst dann, wenn die kinderlosen
Reichen die aufrichtige Absicht hatten, ihn entsprechend zu vergüten; denn wie oft
überlebten sie die. die sich geschmeichelt hatten sie zu beerben? Sehr häufig aber
hatten sie diese Absicht gar nicht. Ihr Interesse war es, wie gesagt, möglichst
viel Hoffnungen zu nähren, gleichviel ob sie nach ihrem Tode befriedigt
wurden. Es war ihnen nicht zu verdenken, wenn sie auf einen Schelmen
anderthalb spielten. Ihr Husten war oft nur fingirt. Sie machten ihr
Testament womöglich dreißigmal in einem Jahr, um ihre Freunde ebenso oft
zu den äußersten Anstrengungen zu treiben. Ja bisweilen mochte-es einem
Virtuosen gelingen, sich in den Besitz aller Vortheile der kinderlosen Reichen
zu setzen, ohne reich zu sein. Die ungeheuern Güter, in Afrika, die Kauffahrtei¬
schiffe, die von Karthago unterwegs waren, die Sklavenheere u. s. w., mit
denen er groß that, waren nichts als Puff.

Doch bei weitem das größte Contingent zu den Scharen der Morgenbcsucher
wurde von einer Menschengattung gestellt, die in Rom so zahlreich war wie
in allen Weltstädten, den beschäftigten Müßiggängern. Man nannte sie nut
einem Namen, der früher nicht vorkommt und vielleicht erst zu Anfang der
Monarchie, wo diese Classe sich sehr vermehrte, in Aufnahme gekommen ist,
Ardelionen. Es gibt, sagt ein Dichter des ersten Jahrhunderts, zu Rom eine
Nation von Ardelionen, die eilfertig umherrennt, voller Geschäftigkeit im
Müßiggang, um nichts in Athem, vieles betreibt und nichts zu Stande bringt,
sich selbst beschwerlich, andern aufs höchste widerlich ist. Seneca, der diese
Menschen nach dem Leben geschildert hat, vergleicht su mit Ameisen, die ohne
Plan und Zweck an Bäumen bis zum Gipfel hinauf und wieder zur Wurzel
herablaufen. Es sind die Leute, deren Leben eine ruhelose Unthätige'eit ist,
die nie etwas zu thun haben, aber immer so aussehen als hätten sie etwas
zu thun, die nicht ein bestimmtes Vorhaben, sondern der neue Morgen aus
dem Hause treibt, die nur ausgehn, um das Gedränge zu vermehren. Wenn
sie aus der Thür traten, gaben sie auf die Frage: Wo gehst -du hin?
Was hast du vor? zur Antwort: Ich weiß es in der That selbst
nicht; aber ich will einige Besuche machen, irgend etwas unternehmen.
Man fühlt Mitleiden mit ihnen, wenn man sie rennen !sieht wie zum Feuer-


waren an jedem Morgen von einem Schwarm von Besuchern aus den
besten Kreisen gefüllt. Martial zählt einmal unter den Diensten, die der
Patron von seinen Clienten verlangt, auch den auf, ihn täglich zu ungefähr
zehn Witwen begleiten zu müssen. Man sieht, sagt Juvenal, einen Prätor
am frühen Morgen den -vorausgehenden Victor zu größerer Eile treiben:
warum ist er so hastig? Er fürchtet, es möchte ihm bei Frau Modia oder
Albina ein College zuvorkommen.

Dieser lästige, kostspielige und entwürdigende Dienst wurde auch im besten
Fall auf sehr unsichere Aussichten hin geleistet; selbst dann, wenn die kinderlosen
Reichen die aufrichtige Absicht hatten, ihn entsprechend zu vergüten; denn wie oft
überlebten sie die. die sich geschmeichelt hatten sie zu beerben? Sehr häufig aber
hatten sie diese Absicht gar nicht. Ihr Interesse war es, wie gesagt, möglichst
viel Hoffnungen zu nähren, gleichviel ob sie nach ihrem Tode befriedigt
wurden. Es war ihnen nicht zu verdenken, wenn sie auf einen Schelmen
anderthalb spielten. Ihr Husten war oft nur fingirt. Sie machten ihr
Testament womöglich dreißigmal in einem Jahr, um ihre Freunde ebenso oft
zu den äußersten Anstrengungen zu treiben. Ja bisweilen mochte-es einem
Virtuosen gelingen, sich in den Besitz aller Vortheile der kinderlosen Reichen
zu setzen, ohne reich zu sein. Die ungeheuern Güter, in Afrika, die Kauffahrtei¬
schiffe, die von Karthago unterwegs waren, die Sklavenheere u. s. w., mit
denen er groß that, waren nichts als Puff.

Doch bei weitem das größte Contingent zu den Scharen der Morgenbcsucher
wurde von einer Menschengattung gestellt, die in Rom so zahlreich war wie
in allen Weltstädten, den beschäftigten Müßiggängern. Man nannte sie nut
einem Namen, der früher nicht vorkommt und vielleicht erst zu Anfang der
Monarchie, wo diese Classe sich sehr vermehrte, in Aufnahme gekommen ist,
Ardelionen. Es gibt, sagt ein Dichter des ersten Jahrhunderts, zu Rom eine
Nation von Ardelionen, die eilfertig umherrennt, voller Geschäftigkeit im
Müßiggang, um nichts in Athem, vieles betreibt und nichts zu Stande bringt,
sich selbst beschwerlich, andern aufs höchste widerlich ist. Seneca, der diese
Menschen nach dem Leben geschildert hat, vergleicht su mit Ameisen, die ohne
Plan und Zweck an Bäumen bis zum Gipfel hinauf und wieder zur Wurzel
herablaufen. Es sind die Leute, deren Leben eine ruhelose Unthätige'eit ist,
die nie etwas zu thun haben, aber immer so aussehen als hätten sie etwas
zu thun, die nicht ein bestimmtes Vorhaben, sondern der neue Morgen aus
dem Hause treibt, die nur ausgehn, um das Gedränge zu vermehren. Wenn
sie aus der Thür traten, gaben sie auf die Frage: Wo gehst -du hin?
Was hast du vor? zur Antwort: Ich weiß es in der That selbst
nicht; aber ich will einige Besuche machen, irgend etwas unternehmen.
Man fühlt Mitleiden mit ihnen, wenn man sie rennen !sieht wie zum Feuer-


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[0109] waren an jedem Morgen von einem Schwarm von Besuchern aus den besten Kreisen gefüllt. Martial zählt einmal unter den Diensten, die der Patron von seinen Clienten verlangt, auch den auf, ihn täglich zu ungefähr zehn Witwen begleiten zu müssen. Man sieht, sagt Juvenal, einen Prätor am frühen Morgen den -vorausgehenden Victor zu größerer Eile treiben: warum ist er so hastig? Er fürchtet, es möchte ihm bei Frau Modia oder Albina ein College zuvorkommen. Dieser lästige, kostspielige und entwürdigende Dienst wurde auch im besten Fall auf sehr unsichere Aussichten hin geleistet; selbst dann, wenn die kinderlosen Reichen die aufrichtige Absicht hatten, ihn entsprechend zu vergüten; denn wie oft überlebten sie die. die sich geschmeichelt hatten sie zu beerben? Sehr häufig aber hatten sie diese Absicht gar nicht. Ihr Interesse war es, wie gesagt, möglichst viel Hoffnungen zu nähren, gleichviel ob sie nach ihrem Tode befriedigt wurden. Es war ihnen nicht zu verdenken, wenn sie auf einen Schelmen anderthalb spielten. Ihr Husten war oft nur fingirt. Sie machten ihr Testament womöglich dreißigmal in einem Jahr, um ihre Freunde ebenso oft zu den äußersten Anstrengungen zu treiben. Ja bisweilen mochte-es einem Virtuosen gelingen, sich in den Besitz aller Vortheile der kinderlosen Reichen zu setzen, ohne reich zu sein. Die ungeheuern Güter, in Afrika, die Kauffahrtei¬ schiffe, die von Karthago unterwegs waren, die Sklavenheere u. s. w., mit denen er groß that, waren nichts als Puff. Doch bei weitem das größte Contingent zu den Scharen der Morgenbcsucher wurde von einer Menschengattung gestellt, die in Rom so zahlreich war wie in allen Weltstädten, den beschäftigten Müßiggängern. Man nannte sie nut einem Namen, der früher nicht vorkommt und vielleicht erst zu Anfang der Monarchie, wo diese Classe sich sehr vermehrte, in Aufnahme gekommen ist, Ardelionen. Es gibt, sagt ein Dichter des ersten Jahrhunderts, zu Rom eine Nation von Ardelionen, die eilfertig umherrennt, voller Geschäftigkeit im Müßiggang, um nichts in Athem, vieles betreibt und nichts zu Stande bringt, sich selbst beschwerlich, andern aufs höchste widerlich ist. Seneca, der diese Menschen nach dem Leben geschildert hat, vergleicht su mit Ameisen, die ohne Plan und Zweck an Bäumen bis zum Gipfel hinauf und wieder zur Wurzel herablaufen. Es sind die Leute, deren Leben eine ruhelose Unthätige'eit ist, die nie etwas zu thun haben, aber immer so aussehen als hätten sie etwas zu thun, die nicht ein bestimmtes Vorhaben, sondern der neue Morgen aus dem Hause treibt, die nur ausgehn, um das Gedränge zu vermehren. Wenn sie aus der Thür traten, gaben sie auf die Frage: Wo gehst -du hin? Was hast du vor? zur Antwort: Ich weiß es in der That selbst nicht; aber ich will einige Besuche machen, irgend etwas unternehmen. Man fühlt Mitleiden mit ihnen, wenn man sie rennen !sieht wie zum Feuer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/109>, abgerufen am 31.05.2024.