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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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der neuen Hausthür schmückte, und es so zu acht Männern in fünf Jahren
brachten. Außer der Abfassung des letzten Willens gab es noch eine große
Anzahl bürgerlicher Handlungen, die zu ihrer Nechtsgiltigteit die Anwesen¬
heit mehrer Zeugen erforderten; diese' untersiegelten das betreffende Docu-
ment genau in der Reihenfolge, die sich aus ihrem Rang und ihrer gesell¬
schaftlichen Stellung ergab. Dann waren Krankenbesuche zu machen, man
mußte einem Proceß beiwohnen, einen Kandidaten bei seiner Amtsbewerbung
unterstützen, das Gefolge eines Consuls oder Prätors bei dem feierlichen
Antritt seines Amts vermehren. Oder man hatte einem Rechtsanwalt zugesagt,
ihn plädiren, einem Lehrer der Beredsamkeit ihn vortragen zu hören, oder
(das schrecklichste der Schrecken) die Einladung des neuesten poetischen Genies
zu der Vorlesung des schon so lange sehnlich erwarteten Gedichts angenommen.
In diesem Strudel von geselligen Verpflichtungen war es schwer, sich selbst
zu leben. Es war kein Wunder, wenn tiefere Naturen, wie Hornz, sich aus
den "Fluten und Stürmen" des römischen Lebens in die Ruhe und Ein¬
samkeit des ländlichen Anfenthalts retteten. Dagegen waren die Ardelioncn
in ihrem Element; die Verhältnisse beförderten das Wachsthum dieser Men-
schenclasse ins Grenzenlose und ließen sie nie ausgehn.

Der gesellige Verkehr erhielt durch die Sitte, an öffentlichen Orten zur
Unterhaltung zusammenzukommen, (die für die beschäftigten Müßiggänger
und Pflastertreter wie geschaffen war) eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
modernen italienischen; nur daß freilich die Zahl dieser Orte gegenwärtig
auf sehr wenige beschränkt ist, als CafM. Buchläden, u. dergl. in denen
immerhin noch ein guter Theil der Stadtbevöilerungen sich mehr oder minder
beständig aushält, Bekanntschaften anknüpft und cultivirt, Neuigkeiten
erfährt und erzählt, Konversation macht u. s. w.. so daß die Brennpunkte
des geselligen Lebens für ganze Classen des Mittelstandes im untern und zum
Theil schou im mittlern Italien außerhalb des Hauses liegen. Im alten Rom-
war dies in unendlich höherm Grade der Fall, theils infolge der antiken
Lebensweise, theils der Großartigkeit und Menge öffentlicher Anstalten, zu
denen der Zutritt' niemandem versagt war. Die Sitte des täglichen Bades
versammelte nach Beendigung der Tagesgeschäfte, unmittelbar vor der Haupt¬
mahlzeit viele tausende in den Thermen. "Diese wundervollsten Prachtbauten
der Kaiserstadt, deren Ueberreste den Ruinen ganzer Städte gleichen, enthielten
nicht nur Badeanstalten aller Art, sondern auch weite Säle und Hallen zu
gymnastischen Uebungen, zur Unterhaltung, zur Erfrischung, kurz alle nnr er¬
denklichen Comforts. Wie hier kamen auch auf dem Marsfeld nur Männer
zujamuieu, auf dessen auch im Winter grünen Rasenboden eine Menge sich in
Leibesübungen tummelte, wo man ritt, fuhr, Ball schlug, in Waffen und im
Ringkampf sich "urß, in den gelben Fluten der vorüberströmenden Tiber


der neuen Hausthür schmückte, und es so zu acht Männern in fünf Jahren
brachten. Außer der Abfassung des letzten Willens gab es noch eine große
Anzahl bürgerlicher Handlungen, die zu ihrer Nechtsgiltigteit die Anwesen¬
heit mehrer Zeugen erforderten; diese' untersiegelten das betreffende Docu-
ment genau in der Reihenfolge, die sich aus ihrem Rang und ihrer gesell¬
schaftlichen Stellung ergab. Dann waren Krankenbesuche zu machen, man
mußte einem Proceß beiwohnen, einen Kandidaten bei seiner Amtsbewerbung
unterstützen, das Gefolge eines Consuls oder Prätors bei dem feierlichen
Antritt seines Amts vermehren. Oder man hatte einem Rechtsanwalt zugesagt,
ihn plädiren, einem Lehrer der Beredsamkeit ihn vortragen zu hören, oder
(das schrecklichste der Schrecken) die Einladung des neuesten poetischen Genies
zu der Vorlesung des schon so lange sehnlich erwarteten Gedichts angenommen.
In diesem Strudel von geselligen Verpflichtungen war es schwer, sich selbst
zu leben. Es war kein Wunder, wenn tiefere Naturen, wie Hornz, sich aus
den „Fluten und Stürmen" des römischen Lebens in die Ruhe und Ein¬
samkeit des ländlichen Anfenthalts retteten. Dagegen waren die Ardelioncn
in ihrem Element; die Verhältnisse beförderten das Wachsthum dieser Men-
schenclasse ins Grenzenlose und ließen sie nie ausgehn.

Der gesellige Verkehr erhielt durch die Sitte, an öffentlichen Orten zur
Unterhaltung zusammenzukommen, (die für die beschäftigten Müßiggänger
und Pflastertreter wie geschaffen war) eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
modernen italienischen; nur daß freilich die Zahl dieser Orte gegenwärtig
auf sehr wenige beschränkt ist, als CafM. Buchläden, u. dergl. in denen
immerhin noch ein guter Theil der Stadtbevöilerungen sich mehr oder minder
beständig aushält, Bekanntschaften anknüpft und cultivirt, Neuigkeiten
erfährt und erzählt, Konversation macht u. s. w.. so daß die Brennpunkte
des geselligen Lebens für ganze Classen des Mittelstandes im untern und zum
Theil schou im mittlern Italien außerhalb des Hauses liegen. Im alten Rom-
war dies in unendlich höherm Grade der Fall, theils infolge der antiken
Lebensweise, theils der Großartigkeit und Menge öffentlicher Anstalten, zu
denen der Zutritt' niemandem versagt war. Die Sitte des täglichen Bades
versammelte nach Beendigung der Tagesgeschäfte, unmittelbar vor der Haupt¬
mahlzeit viele tausende in den Thermen. "Diese wundervollsten Prachtbauten
der Kaiserstadt, deren Ueberreste den Ruinen ganzer Städte gleichen, enthielten
nicht nur Badeanstalten aller Art, sondern auch weite Säle und Hallen zu
gymnastischen Uebungen, zur Unterhaltung, zur Erfrischung, kurz alle nnr er¬
denklichen Comforts. Wie hier kamen auch auf dem Marsfeld nur Männer
zujamuieu, auf dessen auch im Winter grünen Rasenboden eine Menge sich in
Leibesübungen tummelte, wo man ritt, fuhr, Ball schlug, in Waffen und im
Ringkampf sich »urß, in den gelben Fluten der vorüberströmenden Tiber


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[0111] der neuen Hausthür schmückte, und es so zu acht Männern in fünf Jahren brachten. Außer der Abfassung des letzten Willens gab es noch eine große Anzahl bürgerlicher Handlungen, die zu ihrer Nechtsgiltigteit die Anwesen¬ heit mehrer Zeugen erforderten; diese' untersiegelten das betreffende Docu- ment genau in der Reihenfolge, die sich aus ihrem Rang und ihrer gesell¬ schaftlichen Stellung ergab. Dann waren Krankenbesuche zu machen, man mußte einem Proceß beiwohnen, einen Kandidaten bei seiner Amtsbewerbung unterstützen, das Gefolge eines Consuls oder Prätors bei dem feierlichen Antritt seines Amts vermehren. Oder man hatte einem Rechtsanwalt zugesagt, ihn plädiren, einem Lehrer der Beredsamkeit ihn vortragen zu hören, oder (das schrecklichste der Schrecken) die Einladung des neuesten poetischen Genies zu der Vorlesung des schon so lange sehnlich erwarteten Gedichts angenommen. In diesem Strudel von geselligen Verpflichtungen war es schwer, sich selbst zu leben. Es war kein Wunder, wenn tiefere Naturen, wie Hornz, sich aus den „Fluten und Stürmen" des römischen Lebens in die Ruhe und Ein¬ samkeit des ländlichen Anfenthalts retteten. Dagegen waren die Ardelioncn in ihrem Element; die Verhältnisse beförderten das Wachsthum dieser Men- schenclasse ins Grenzenlose und ließen sie nie ausgehn. Der gesellige Verkehr erhielt durch die Sitte, an öffentlichen Orten zur Unterhaltung zusammenzukommen, (die für die beschäftigten Müßiggänger und Pflastertreter wie geschaffen war) eine gewisse Aehnlichkeit mit dem modernen italienischen; nur daß freilich die Zahl dieser Orte gegenwärtig auf sehr wenige beschränkt ist, als CafM. Buchläden, u. dergl. in denen immerhin noch ein guter Theil der Stadtbevöilerungen sich mehr oder minder beständig aushält, Bekanntschaften anknüpft und cultivirt, Neuigkeiten erfährt und erzählt, Konversation macht u. s. w.. so daß die Brennpunkte des geselligen Lebens für ganze Classen des Mittelstandes im untern und zum Theil schou im mittlern Italien außerhalb des Hauses liegen. Im alten Rom- war dies in unendlich höherm Grade der Fall, theils infolge der antiken Lebensweise, theils der Großartigkeit und Menge öffentlicher Anstalten, zu denen der Zutritt' niemandem versagt war. Die Sitte des täglichen Bades versammelte nach Beendigung der Tagesgeschäfte, unmittelbar vor der Haupt¬ mahlzeit viele tausende in den Thermen. "Diese wundervollsten Prachtbauten der Kaiserstadt, deren Ueberreste den Ruinen ganzer Städte gleichen, enthielten nicht nur Badeanstalten aller Art, sondern auch weite Säle und Hallen zu gymnastischen Uebungen, zur Unterhaltung, zur Erfrischung, kurz alle nnr er¬ denklichen Comforts. Wie hier kamen auch auf dem Marsfeld nur Männer zujamuieu, auf dessen auch im Winter grünen Rasenboden eine Menge sich in Leibesübungen tummelte, wo man ritt, fuhr, Ball schlug, in Waffen und im Ringkampf sich »urß, in den gelben Fluten der vorüberströmenden Tiber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/111>, abgerufen am 31.05.2024.