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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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uns die Wärme des Schriftstellers für seinen Gegenstand, sie erfrischt uns um'
so mehr, da er Goethe n^ehe thöricht vergöttert, ihn nicht über die Gesetze
erhebt, denen alle übrigen Menschen unterworfen sind, sondern ihn innerhalb
derselben rechtfertigt. Und wol konnte er das, denn wie viel wir auch, ge¬
wohnt, in Goethe unser höchstes Ideal zu suchen, in seinem Leben vermissen,
so erkennen wir immer mehr, je tieser wir in den Kern seines Wesens ein¬
dringen, daß die schöne Dichtung aus einer schönen Seele hervorging. Wir
möchten bei der Betrachtung seines Lebens ein Bild anwenden, welches in
der Zeit seines Zusammenlebens mit Schiller ihn häufig beschäftigte. Es
war eine griechische Sage, daß der überglückliche Mensch, um die Götter zu
versöhnen, dem Neid derselben das höchste Kleinod des Lebens opfern müsse-,
so scheint es Goethe, der gewiß der Liebe fähiger war, als ein anderer,
dunkel von der Liebe empfunden zu haben. sonst würde uns die Scheu, die
ihn in den entscheidenden Momenten überfällt, gradezu unverständlich sein.
Lewes bemüht sich zwar in wohlmeinender Absicht, die Ehe mit Christiane
bis zu einer gewissen Grenze als die wirkliche Erfüllung seines Ideals dar¬
zustellen, und er folgt darin den geistvollen Paradoxien Adolph Stahrs,
aber was darüber zu denken ist, hat bereits der Ueberseher in einer sehr be-
achtenswerthen Anmerkung ausgesprochen.

Im Ganzen mögen wir also das Buch auch für unsere Literatur als
einen Gewinn betrachten- es wird viele Leser finden, die sich von der trocke¬
nen Manier seiner Vorgänger nicht angezogen fühlten, und dazu beitragen,
den Cultus des Schönen in unserm Volk zu kräftigen, der durch die streng
sittliche Betrachtung zwar begrenzt, aber nicht aufgehoben werden soll. Das
Bewußtsein, daß der Inhalt des Lebens wenigstens ebenso wichtig ist, als
die Form, hat sich jetzt allgemein verbreitet, es kann nicht schaden, wenn
man den Materialismus unserer Tage auch an den entgegengesetzten Gesichts¬
punkt erinnert.

Das zweite Buch rührt gleichfalls von einem Biographen Goethes her;
es gehört zu einer größern Reihe von Schriften: Das deutsche Volk dar¬
gestellt in Vergangenheit und Gegenwart, zur Begründung der
Zukunft, der wir schon manche beachtenswerthe Mittheilung zu verdanken
haben, und bemüht sich, das literarische Leben des vorigen Jahrhunderts in
Biographien einzelner hervorragender Dichter zu charakterisiren. Das erste
Bündchen enthält Hagedorn, Haller, Klopstock, die leipziger und Halberstädter
Schule, Las zweite Bändchen Lessing, Wieland und die Göttinger, das dritte
Herder, Goethe und Schiller. Der Verfasser hat mit großem Geschick in dem
beschränkten Raum, der eine tiefer eingehende Untersuchung ausschloß, die¬
jenigen Momente in zweckmäßigen Gruppen zusammengestellt, welche dem
Volk ein deutliches Bild von dem Treiben seiner Lieblinge geben, und es


uns die Wärme des Schriftstellers für seinen Gegenstand, sie erfrischt uns um'
so mehr, da er Goethe n^ehe thöricht vergöttert, ihn nicht über die Gesetze
erhebt, denen alle übrigen Menschen unterworfen sind, sondern ihn innerhalb
derselben rechtfertigt. Und wol konnte er das, denn wie viel wir auch, ge¬
wohnt, in Goethe unser höchstes Ideal zu suchen, in seinem Leben vermissen,
so erkennen wir immer mehr, je tieser wir in den Kern seines Wesens ein¬
dringen, daß die schöne Dichtung aus einer schönen Seele hervorging. Wir
möchten bei der Betrachtung seines Lebens ein Bild anwenden, welches in
der Zeit seines Zusammenlebens mit Schiller ihn häufig beschäftigte. Es
war eine griechische Sage, daß der überglückliche Mensch, um die Götter zu
versöhnen, dem Neid derselben das höchste Kleinod des Lebens opfern müsse-,
so scheint es Goethe, der gewiß der Liebe fähiger war, als ein anderer,
dunkel von der Liebe empfunden zu haben. sonst würde uns die Scheu, die
ihn in den entscheidenden Momenten überfällt, gradezu unverständlich sein.
Lewes bemüht sich zwar in wohlmeinender Absicht, die Ehe mit Christiane
bis zu einer gewissen Grenze als die wirkliche Erfüllung seines Ideals dar¬
zustellen, und er folgt darin den geistvollen Paradoxien Adolph Stahrs,
aber was darüber zu denken ist, hat bereits der Ueberseher in einer sehr be-
achtenswerthen Anmerkung ausgesprochen.

Im Ganzen mögen wir also das Buch auch für unsere Literatur als
einen Gewinn betrachten- es wird viele Leser finden, die sich von der trocke¬
nen Manier seiner Vorgänger nicht angezogen fühlten, und dazu beitragen,
den Cultus des Schönen in unserm Volk zu kräftigen, der durch die streng
sittliche Betrachtung zwar begrenzt, aber nicht aufgehoben werden soll. Das
Bewußtsein, daß der Inhalt des Lebens wenigstens ebenso wichtig ist, als
die Form, hat sich jetzt allgemein verbreitet, es kann nicht schaden, wenn
man den Materialismus unserer Tage auch an den entgegengesetzten Gesichts¬
punkt erinnert.

Das zweite Buch rührt gleichfalls von einem Biographen Goethes her;
es gehört zu einer größern Reihe von Schriften: Das deutsche Volk dar¬
gestellt in Vergangenheit und Gegenwart, zur Begründung der
Zukunft, der wir schon manche beachtenswerthe Mittheilung zu verdanken
haben, und bemüht sich, das literarische Leben des vorigen Jahrhunderts in
Biographien einzelner hervorragender Dichter zu charakterisiren. Das erste
Bündchen enthält Hagedorn, Haller, Klopstock, die leipziger und Halberstädter
Schule, Las zweite Bändchen Lessing, Wieland und die Göttinger, das dritte
Herder, Goethe und Schiller. Der Verfasser hat mit großem Geschick in dem
beschränkten Raum, der eine tiefer eingehende Untersuchung ausschloß, die¬
jenigen Momente in zweckmäßigen Gruppen zusammengestellt, welche dem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/120>, abgerufen am 15.05.2024.