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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Rustik mich^ u^d zierliche korinthische Glieder folgen lassen? Hat er nicht
ulicv.in die Römer und Vitruv auf seiner Seite? Seine Frontispize, der von
ihm angeordnete flache Reliefschmuck, die Blumengewinde und Festons scheinen
allerdings nicht im Einklange mit dem Uebrigen. Sind aber nicht der Tempel
zu Jerusalem, die Tempel der Griechen und Aegypter würdigere Muster der
Nachahmung? Auch die ästhetische Theorie wird von Palladio in die Schran¬
ken geführt. "Die Architektur," bemerkt er, "ist nichts Anderes als die Pro¬
portion der Glieder in einem Körper, dieser muß mit jenen, die Glieder mit
dem Gesammtkörper in einem harmonischen Verhältnisse stehen, wodurch jene
Schönheit hervorgebracht wird, welche die Griechen mit dem Namen der Eu-
rythmie bezeichnen/' Dieses Gesetz hat er bei seinem Entwurf festgehalten,
und er mußte dafür gelobt werden, wenn die bologneser Kritiker andere als
gothische Werke gesehen hätten. Trotz seiner geharnischten Vertheidigung,
deren Schwächen sür uns Fernstehende offen zu Tage treten, war er nicht im
Stande, die öffentliche Meinung in Bologna umzustimmen. Auch sein Entwurf
wurde zu den übrigen in das Archiv begraben.

Wenn der Fa^adenbau solche Schwierigkeiten darbietet, könnte man nicht
von demselben ganz oder theilweise absehen? In der Verzweiflung griff man
endlich auch zu diesem Gedanken und hieß den Plan, welcher der Fa^abe einen
mächtigen Porticus vorbaute, herzlich willkommen. Aber auch dieser Ausweg
brachte nicht den Frieden. Denn auch jetzt bildeten -sich wieder zwei Parteien.
Die eine, mit Camillo Bvlognini als Sprecher, widerrieth die Porticusanlnge,
die andere empfahl dieselbe schon aus dem Grunde, daß dadurch das Ge¬
schwätz und der Marktverkehr, welcher bis jetzt' den Gottesdienst störte, in die
Vorhalle verwiesen würde. Palladio, der gleichfalls um Rath angegangen
wurde, schlug die sibyllinischen Bücher der modernen Architektur. Vitruv auf,
und da er hier den Portikus bei Tempelanlagen als Regel angegeben fand,
so erklärte er sich für den Porticusbau und sandte sofort (1579) den Entwurf
zu einer zehnsäuligcn Vorhalle ein. Die letzte Entscheidung mußte aber vom
päpstlichen Hofe geholt werden. Hier scheint sich das alte Schauspiel wider¬
streitender und unversöhnlicher Ansichten wiederholt zu haben. Die zur
rascheren Lösung der Bauaufgabe aufgeworfene Zwischenfrage brachte nur eine
neue Verschleppung.

Endlich im Jahre 1580 schreibt der Kardinal S. Sisto an den Conte
Pepoli. daß zu dem Bau geschritten werden könne und gibt Hie Bedin¬
gungen an. nnter Welchen dies gestattet wird. Die wichtigste und die Zu.
stände am schärfsten charakterisirend ist die Empfehlung der goldenen Mittelstraße.
Es soll der gothische Stil nicht streng eingehalten, aber auch nicht gänzlich verlassen
werden, ein Theil, der bessern Uebereinstimmung mit dem Alten zu Liebe, soll
gothische Formen zeigen, ein anderer in moderner Weise emporgeführt wer-


Rustik mich^ u^d zierliche korinthische Glieder folgen lassen? Hat er nicht
ulicv.in die Römer und Vitruv auf seiner Seite? Seine Frontispize, der von
ihm angeordnete flache Reliefschmuck, die Blumengewinde und Festons scheinen
allerdings nicht im Einklange mit dem Uebrigen. Sind aber nicht der Tempel
zu Jerusalem, die Tempel der Griechen und Aegypter würdigere Muster der
Nachahmung? Auch die ästhetische Theorie wird von Palladio in die Schran¬
ken geführt. „Die Architektur," bemerkt er, „ist nichts Anderes als die Pro¬
portion der Glieder in einem Körper, dieser muß mit jenen, die Glieder mit
dem Gesammtkörper in einem harmonischen Verhältnisse stehen, wodurch jene
Schönheit hervorgebracht wird, welche die Griechen mit dem Namen der Eu-
rythmie bezeichnen/' Dieses Gesetz hat er bei seinem Entwurf festgehalten,
und er mußte dafür gelobt werden, wenn die bologneser Kritiker andere als
gothische Werke gesehen hätten. Trotz seiner geharnischten Vertheidigung,
deren Schwächen sür uns Fernstehende offen zu Tage treten, war er nicht im
Stande, die öffentliche Meinung in Bologna umzustimmen. Auch sein Entwurf
wurde zu den übrigen in das Archiv begraben.

Wenn der Fa^adenbau solche Schwierigkeiten darbietet, könnte man nicht
von demselben ganz oder theilweise absehen? In der Verzweiflung griff man
endlich auch zu diesem Gedanken und hieß den Plan, welcher der Fa^abe einen
mächtigen Porticus vorbaute, herzlich willkommen. Aber auch dieser Ausweg
brachte nicht den Frieden. Denn auch jetzt bildeten -sich wieder zwei Parteien.
Die eine, mit Camillo Bvlognini als Sprecher, widerrieth die Porticusanlnge,
die andere empfahl dieselbe schon aus dem Grunde, daß dadurch das Ge¬
schwätz und der Marktverkehr, welcher bis jetzt' den Gottesdienst störte, in die
Vorhalle verwiesen würde. Palladio, der gleichfalls um Rath angegangen
wurde, schlug die sibyllinischen Bücher der modernen Architektur. Vitruv auf,
und da er hier den Portikus bei Tempelanlagen als Regel angegeben fand,
so erklärte er sich für den Porticusbau und sandte sofort (1579) den Entwurf
zu einer zehnsäuligcn Vorhalle ein. Die letzte Entscheidung mußte aber vom
päpstlichen Hofe geholt werden. Hier scheint sich das alte Schauspiel wider¬
streitender und unversöhnlicher Ansichten wiederholt zu haben. Die zur
rascheren Lösung der Bauaufgabe aufgeworfene Zwischenfrage brachte nur eine
neue Verschleppung.

Endlich im Jahre 1580 schreibt der Kardinal S. Sisto an den Conte
Pepoli. daß zu dem Bau geschritten werden könne und gibt Hie Bedin¬
gungen an. nnter Welchen dies gestattet wird. Die wichtigste und die Zu.
stände am schärfsten charakterisirend ist die Empfehlung der goldenen Mittelstraße.
Es soll der gothische Stil nicht streng eingehalten, aber auch nicht gänzlich verlassen
werden, ein Theil, der bessern Uebereinstimmung mit dem Alten zu Liebe, soll
gothische Formen zeigen, ein anderer in moderner Weise emporgeführt wer-


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[0134] Rustik mich^ u^d zierliche korinthische Glieder folgen lassen? Hat er nicht ulicv.in die Römer und Vitruv auf seiner Seite? Seine Frontispize, der von ihm angeordnete flache Reliefschmuck, die Blumengewinde und Festons scheinen allerdings nicht im Einklange mit dem Uebrigen. Sind aber nicht der Tempel zu Jerusalem, die Tempel der Griechen und Aegypter würdigere Muster der Nachahmung? Auch die ästhetische Theorie wird von Palladio in die Schran¬ ken geführt. „Die Architektur," bemerkt er, „ist nichts Anderes als die Pro¬ portion der Glieder in einem Körper, dieser muß mit jenen, die Glieder mit dem Gesammtkörper in einem harmonischen Verhältnisse stehen, wodurch jene Schönheit hervorgebracht wird, welche die Griechen mit dem Namen der Eu- rythmie bezeichnen/' Dieses Gesetz hat er bei seinem Entwurf festgehalten, und er mußte dafür gelobt werden, wenn die bologneser Kritiker andere als gothische Werke gesehen hätten. Trotz seiner geharnischten Vertheidigung, deren Schwächen sür uns Fernstehende offen zu Tage treten, war er nicht im Stande, die öffentliche Meinung in Bologna umzustimmen. Auch sein Entwurf wurde zu den übrigen in das Archiv begraben. Wenn der Fa^adenbau solche Schwierigkeiten darbietet, könnte man nicht von demselben ganz oder theilweise absehen? In der Verzweiflung griff man endlich auch zu diesem Gedanken und hieß den Plan, welcher der Fa^abe einen mächtigen Porticus vorbaute, herzlich willkommen. Aber auch dieser Ausweg brachte nicht den Frieden. Denn auch jetzt bildeten -sich wieder zwei Parteien. Die eine, mit Camillo Bvlognini als Sprecher, widerrieth die Porticusanlnge, die andere empfahl dieselbe schon aus dem Grunde, daß dadurch das Ge¬ schwätz und der Marktverkehr, welcher bis jetzt' den Gottesdienst störte, in die Vorhalle verwiesen würde. Palladio, der gleichfalls um Rath angegangen wurde, schlug die sibyllinischen Bücher der modernen Architektur. Vitruv auf, und da er hier den Portikus bei Tempelanlagen als Regel angegeben fand, so erklärte er sich für den Porticusbau und sandte sofort (1579) den Entwurf zu einer zehnsäuligcn Vorhalle ein. Die letzte Entscheidung mußte aber vom päpstlichen Hofe geholt werden. Hier scheint sich das alte Schauspiel wider¬ streitender und unversöhnlicher Ansichten wiederholt zu haben. Die zur rascheren Lösung der Bauaufgabe aufgeworfene Zwischenfrage brachte nur eine neue Verschleppung. Endlich im Jahre 1580 schreibt der Kardinal S. Sisto an den Conte Pepoli. daß zu dem Bau geschritten werden könne und gibt Hie Bedin¬ gungen an. nnter Welchen dies gestattet wird. Die wichtigste und die Zu. stände am schärfsten charakterisirend ist die Empfehlung der goldenen Mittelstraße. Es soll der gothische Stil nicht streng eingehalten, aber auch nicht gänzlich verlassen werden, ein Theil, der bessern Uebereinstimmung mit dem Alten zu Liebe, soll gothische Formen zeigen, ein anderer in moderner Weise emporgeführt wer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/134>, abgerufen am 31.05.2024.