Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

triftigen Gründen nur für wahrscheinlich, so wie die der angehängten 30 Artikel,
den 12 der Bauerschcrst im bald nachfolgenden Bauernkriege sehr ähnlich, aber
nur gegen die Klerisei gerichtet, für sehr unwahrscheinlich. Hierher aber ge¬
hört nun wol die "Entschuldigung wider etlicher unwahrhaftes Ausgeben von
ihm, als sollt er wider alle Geistlichkeit und Priesterschaft sein, mit Erklärung
etlicher seiner Geschristen". vorzüglich der Klag und Vermahnung; Panze
(Hütten S. 1K8 f.) hat diese in der Originalausgabe nicht gekannt und auch
bei Burckhard. Meiners.und Münch ist sie nur aus der zweiten schlechteren
Ausgabe abgedruckt. Im Herbst 1522 (genauere Angaben mangeln) verläßt
H. seines Freundes Burgen, nicht, wie Erasmus später zischelte, von Sickingen
zu Vermeidung der "iuvulis," fortgeschickt, sondern weil der verbannte Kranke
dem Kriegsgeschäft auf Franzens Burgen, selbst untauglich dazu, nur hinder¬
lich geworden wäre, wie auch Bucer und Oekolampad südwärts ins Elsaß
und nach Basel zogen. So auch H., wieder bettelarm, wie vor 13 Jahren.
als er nach Greifswald kam. seis daß Unterstützung der Brüder aus der
Heimat den Heimatlosen nicht fand, seis, wie Brunfels angiebt, daß er nach
der geliebten Mutter Tod ausdrücklich dem väterlichen Erbe ganz entsagt
hatte, um nicht auch die Brüder in seine eigene Bahn, deren jähe Abschüßig-
keit er nicht verkannte, hereinzuziehen i in Schletstadt muste er bei Freunden
Geld erborgen, und kam, sich nach Erholung sehnend, in Basel an. Längst
zwar hatte H. erkannt und es auch offen und klagend^ an Erasmus geschrieben,
daß dieser in achsclträgcrischer Selbstsucht der Sache des Evangelii nicht
aufrichtig zugethan sei und daß dessen Correspondenzofficiosität nur im
Dienste maßloser Eitelkeit stehe, wie denn auch Erasmus überall seinen
Erasmus verhätschelnd selten von sich, aber fast in jedem Satze seiner Briefe
und wo es sonst angeht, vom Erasmus spricht. Daß er mit H. nicht mehr
im Rufe vertrauter Bekanntschaft bleiben wollte, dem geächteten, kranken,
dürftigen und doch stolz sür Recht und Wahrheit streitenden, alles Kriechens
und Wade^ins, Schmeichelns und Zischelns unfähigen Habenichts, wer könnte
das an Erasmus verwunderlich finden, dem damals, abgesehen von seinen
steinbeschwerten und vorübergehendem Mangel an gutem, Rothwein, alles
zuflog was er zu schätzen wüste, reichlich verdienter Gelehrtenruhm und Büche¬
rei, Gunst, Geschenke und süße Wolgewogenheiten der Großen und Kleinen,
vom Papst und Kaiser bis zu den Weiberchen und Schülerchen, reichliches
Einkommen (er hatte früher auch betteln gelernt) und uuablnßigc Gelegenheit,
in Briefen und Büchern von dem vortrefflichen, nur mit gar zu vielen wich¬
tigen und verdienstlichsten Arbeiten und Geschäften allzugcplagten Erasmus,
und nebenbei über Andere allerhand Medisantes zu reden? Erasmus hatte nur
eines nicht, und das war gerade Hs. gröster Schatz. Charakter. Sogenannte
Nothlügen waren dem Erasmus zu eigenem Gebrauche so unanstößig und ge-


triftigen Gründen nur für wahrscheinlich, so wie die der angehängten 30 Artikel,
den 12 der Bauerschcrst im bald nachfolgenden Bauernkriege sehr ähnlich, aber
nur gegen die Klerisei gerichtet, für sehr unwahrscheinlich. Hierher aber ge¬
hört nun wol die „Entschuldigung wider etlicher unwahrhaftes Ausgeben von
ihm, als sollt er wider alle Geistlichkeit und Priesterschaft sein, mit Erklärung
etlicher seiner Geschristen". vorzüglich der Klag und Vermahnung; Panze
(Hütten S. 1K8 f.) hat diese in der Originalausgabe nicht gekannt und auch
bei Burckhard. Meiners.und Münch ist sie nur aus der zweiten schlechteren
Ausgabe abgedruckt. Im Herbst 1522 (genauere Angaben mangeln) verläßt
H. seines Freundes Burgen, nicht, wie Erasmus später zischelte, von Sickingen
zu Vermeidung der „iuvulis," fortgeschickt, sondern weil der verbannte Kranke
dem Kriegsgeschäft auf Franzens Burgen, selbst untauglich dazu, nur hinder¬
lich geworden wäre, wie auch Bucer und Oekolampad südwärts ins Elsaß
und nach Basel zogen. So auch H., wieder bettelarm, wie vor 13 Jahren.
als er nach Greifswald kam. seis daß Unterstützung der Brüder aus der
Heimat den Heimatlosen nicht fand, seis, wie Brunfels angiebt, daß er nach
der geliebten Mutter Tod ausdrücklich dem väterlichen Erbe ganz entsagt
hatte, um nicht auch die Brüder in seine eigene Bahn, deren jähe Abschüßig-
keit er nicht verkannte, hereinzuziehen i in Schletstadt muste er bei Freunden
Geld erborgen, und kam, sich nach Erholung sehnend, in Basel an. Längst
zwar hatte H. erkannt und es auch offen und klagend^ an Erasmus geschrieben,
daß dieser in achsclträgcrischer Selbstsucht der Sache des Evangelii nicht
aufrichtig zugethan sei und daß dessen Correspondenzofficiosität nur im
Dienste maßloser Eitelkeit stehe, wie denn auch Erasmus überall seinen
Erasmus verhätschelnd selten von sich, aber fast in jedem Satze seiner Briefe
und wo es sonst angeht, vom Erasmus spricht. Daß er mit H. nicht mehr
im Rufe vertrauter Bekanntschaft bleiben wollte, dem geächteten, kranken,
dürftigen und doch stolz sür Recht und Wahrheit streitenden, alles Kriechens
und Wade^ins, Schmeichelns und Zischelns unfähigen Habenichts, wer könnte
das an Erasmus verwunderlich finden, dem damals, abgesehen von seinen
steinbeschwerten und vorübergehendem Mangel an gutem, Rothwein, alles
zuflog was er zu schätzen wüste, reichlich verdienter Gelehrtenruhm und Büche¬
rei, Gunst, Geschenke und süße Wolgewogenheiten der Großen und Kleinen,
vom Papst und Kaiser bis zu den Weiberchen und Schülerchen, reichliches
Einkommen (er hatte früher auch betteln gelernt) und uuablnßigc Gelegenheit,
in Briefen und Büchern von dem vortrefflichen, nur mit gar zu vielen wich¬
tigen und verdienstlichsten Arbeiten und Geschäften allzugcplagten Erasmus,
und nebenbei über Andere allerhand Medisantes zu reden? Erasmus hatte nur
eines nicht, und das war gerade Hs. gröster Schatz. Charakter. Sogenannte
Nothlügen waren dem Erasmus zu eigenem Gebrauche so unanstößig und ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105425"/>
          <p xml:id="ID_324" prev="#ID_323" next="#ID_325"> triftigen Gründen nur für wahrscheinlich, so wie die der angehängten 30 Artikel,<lb/>
den 12 der Bauerschcrst im bald nachfolgenden Bauernkriege sehr ähnlich, aber<lb/>
nur gegen die Klerisei gerichtet, für sehr unwahrscheinlich.  Hierher aber ge¬<lb/>
hört nun wol die &#x201E;Entschuldigung wider etlicher unwahrhaftes Ausgeben von<lb/>
ihm, als sollt er wider alle Geistlichkeit und Priesterschaft sein, mit Erklärung<lb/>
etlicher seiner Geschristen". vorzüglich der Klag und Vermahnung; Panze<lb/>
(Hütten S. 1K8 f.) hat diese in der Originalausgabe nicht gekannt und auch<lb/>
bei Burckhard. Meiners.und Münch ist sie nur aus der zweiten schlechteren<lb/>
Ausgabe abgedruckt.  Im Herbst 1522 (genauere Angaben mangeln) verläßt<lb/>
H. seines Freundes Burgen, nicht, wie Erasmus später zischelte, von Sickingen<lb/>
zu Vermeidung der &#x201E;iuvulis," fortgeschickt, sondern weil der verbannte Kranke<lb/>
dem Kriegsgeschäft auf Franzens Burgen, selbst untauglich dazu, nur hinder¬<lb/>
lich geworden wäre, wie auch Bucer und Oekolampad südwärts ins Elsaß<lb/>
und nach Basel zogen. So auch H., wieder bettelarm, wie vor 13 Jahren.<lb/>
als er nach Greifswald kam. seis daß Unterstützung der Brüder aus der<lb/>
Heimat den Heimatlosen nicht fand, seis, wie Brunfels angiebt, daß er nach<lb/>
der geliebten Mutter Tod ausdrücklich dem väterlichen Erbe ganz entsagt<lb/>
hatte, um nicht auch die Brüder in seine eigene Bahn, deren jähe Abschüßig-<lb/>
keit er nicht verkannte, hereinzuziehen i in Schletstadt muste er bei Freunden<lb/>
Geld erborgen, und kam, sich nach Erholung sehnend, in Basel an. Längst<lb/>
zwar hatte H. erkannt und es auch offen und klagend^ an Erasmus geschrieben,<lb/>
daß dieser in achsclträgcrischer Selbstsucht der Sache des Evangelii nicht<lb/>
aufrichtig zugethan sei und daß dessen Correspondenzofficiosität nur im<lb/>
Dienste maßloser Eitelkeit stehe, wie denn auch Erasmus überall seinen<lb/>
Erasmus verhätschelnd selten von sich, aber fast in jedem Satze seiner Briefe<lb/>
und wo es sonst angeht, vom Erasmus spricht.  Daß er mit H. nicht mehr<lb/>
im Rufe vertrauter Bekanntschaft bleiben wollte, dem geächteten, kranken,<lb/>
dürftigen und doch stolz sür Recht und Wahrheit streitenden, alles Kriechens<lb/>
und Wade^ins, Schmeichelns und Zischelns unfähigen Habenichts, wer könnte<lb/>
das an Erasmus verwunderlich finden, dem damals, abgesehen von seinen<lb/>
steinbeschwerten und vorübergehendem Mangel an gutem, Rothwein, alles<lb/>
zuflog was er zu schätzen wüste, reichlich verdienter Gelehrtenruhm und Büche¬<lb/>
rei, Gunst, Geschenke und süße Wolgewogenheiten der Großen und Kleinen,<lb/>
vom Papst und Kaiser bis zu den Weiberchen und Schülerchen, reichliches<lb/>
Einkommen (er hatte früher auch betteln gelernt) und uuablnßigc Gelegenheit,<lb/>
in Briefen und Büchern von dem vortrefflichen, nur mit gar zu vielen wich¬<lb/>
tigen und verdienstlichsten Arbeiten und Geschäften allzugcplagten Erasmus,<lb/>
und nebenbei über Andere allerhand Medisantes zu reden? Erasmus hatte nur<lb/>
eines nicht, und das war gerade Hs. gröster Schatz. Charakter. Sogenannte<lb/>
Nothlügen waren dem Erasmus zu eigenem Gebrauche so unanstößig und ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0148] triftigen Gründen nur für wahrscheinlich, so wie die der angehängten 30 Artikel, den 12 der Bauerschcrst im bald nachfolgenden Bauernkriege sehr ähnlich, aber nur gegen die Klerisei gerichtet, für sehr unwahrscheinlich. Hierher aber ge¬ hört nun wol die „Entschuldigung wider etlicher unwahrhaftes Ausgeben von ihm, als sollt er wider alle Geistlichkeit und Priesterschaft sein, mit Erklärung etlicher seiner Geschristen". vorzüglich der Klag und Vermahnung; Panze (Hütten S. 1K8 f.) hat diese in der Originalausgabe nicht gekannt und auch bei Burckhard. Meiners.und Münch ist sie nur aus der zweiten schlechteren Ausgabe abgedruckt. Im Herbst 1522 (genauere Angaben mangeln) verläßt H. seines Freundes Burgen, nicht, wie Erasmus später zischelte, von Sickingen zu Vermeidung der „iuvulis," fortgeschickt, sondern weil der verbannte Kranke dem Kriegsgeschäft auf Franzens Burgen, selbst untauglich dazu, nur hinder¬ lich geworden wäre, wie auch Bucer und Oekolampad südwärts ins Elsaß und nach Basel zogen. So auch H., wieder bettelarm, wie vor 13 Jahren. als er nach Greifswald kam. seis daß Unterstützung der Brüder aus der Heimat den Heimatlosen nicht fand, seis, wie Brunfels angiebt, daß er nach der geliebten Mutter Tod ausdrücklich dem väterlichen Erbe ganz entsagt hatte, um nicht auch die Brüder in seine eigene Bahn, deren jähe Abschüßig- keit er nicht verkannte, hereinzuziehen i in Schletstadt muste er bei Freunden Geld erborgen, und kam, sich nach Erholung sehnend, in Basel an. Längst zwar hatte H. erkannt und es auch offen und klagend^ an Erasmus geschrieben, daß dieser in achsclträgcrischer Selbstsucht der Sache des Evangelii nicht aufrichtig zugethan sei und daß dessen Correspondenzofficiosität nur im Dienste maßloser Eitelkeit stehe, wie denn auch Erasmus überall seinen Erasmus verhätschelnd selten von sich, aber fast in jedem Satze seiner Briefe und wo es sonst angeht, vom Erasmus spricht. Daß er mit H. nicht mehr im Rufe vertrauter Bekanntschaft bleiben wollte, dem geächteten, kranken, dürftigen und doch stolz sür Recht und Wahrheit streitenden, alles Kriechens und Wade^ins, Schmeichelns und Zischelns unfähigen Habenichts, wer könnte das an Erasmus verwunderlich finden, dem damals, abgesehen von seinen steinbeschwerten und vorübergehendem Mangel an gutem, Rothwein, alles zuflog was er zu schätzen wüste, reichlich verdienter Gelehrtenruhm und Büche¬ rei, Gunst, Geschenke und süße Wolgewogenheiten der Großen und Kleinen, vom Papst und Kaiser bis zu den Weiberchen und Schülerchen, reichliches Einkommen (er hatte früher auch betteln gelernt) und uuablnßigc Gelegenheit, in Briefen und Büchern von dem vortrefflichen, nur mit gar zu vielen wich¬ tigen und verdienstlichsten Arbeiten und Geschäften allzugcplagten Erasmus, und nebenbei über Andere allerhand Medisantes zu reden? Erasmus hatte nur eines nicht, und das war gerade Hs. gröster Schatz. Charakter. Sogenannte Nothlügen waren dem Erasmus zu eigenem Gebrauche so unanstößig und ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/148
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/148>, abgerufen am 31.05.2024.