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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Gießerei und Malerei. Der Stammbaum derselben steht kräftig und frisch,
von dein Wurm der Zeit unangenagt und von ihren Stürmen noch unberührt,
vor den Augen der Mitwelt. Wie die Kunst aus diesen Handwerken historisch
sich nach und nach entwickelt hat. so gingen auch als sie bereits Blüten und
Früchte getragen hatte, aus diesen Wurzeln ihr stets noch neue Kräfte zu.
Darum nennt noch heut jeder Mund mit Ehrfurcht den Namen Peter Vischers
und vergißt bei ihm über dem bewunderten Künstler späterer Tage den ein¬
fachen, schlickten nürnberger Gelbgießermeister. Auch unserer Zeit fehlt es noch
nicht an verwandten Naturen; ich nenne für viele nur den einen, den wackeren
Burgschmied, den Schöpfer der Melanchtonsstatue ^u Nürnberg.

Wie diese Handwerke gleichsam vor der bildenden Kunst liegen und wie
aus ihnen und durch sie vermöge einzelner von der Natur vorzugsweise be¬
gabter Individuen das holde Dreipaar der Künste, die Architektur. Malerei
und Sculptur, sich entwickelt hat, so liegen andere Gewerbe zeitlich und ihrem
Ursprünge nach gleichsam hinter ihnen, jene Handwerke nämlich, welche sich
mit der Vervielfältigung der Erzeugnisse der höheren Kunst beschäftigen und
diese zu ihrem eigenen und anderer Nutzen in sich selbst gleichsam reproduciern
die Kupferstechern, Lithographie, Holzschneiderei, Buchdruckerei, Galvanoplastik.

Wir sind gewöhnt, die Vertreter dieser Handwerke, sobald sie in ihrer
Art Gutes leisten, mit dem Namen Künstler im uneigentlichen Sinne zu be¬
zeichne". Es liegt nichts daran, sobald mit diesem Namen kein falscher Be¬
griff verbunden und die Würde der eigentlichen Kunst dadurch nicht in den
Staub des Alltaglebcns herabgezogen wird. Ich sehe aber nicht ein, warum
es nicht besser sein soll, selbst den unsterblichen Albrecht Dürer, sobald er
sich nur damit beschäftigt, seine eigene Erfindung im Holzschnitt oder Kupfer¬
stich wiederzugeben, als Handwerker anzusehen, und den Künstler in dem
Entwurf der zu diesem Behuf nöthigen Zeichnung zu suchen, eine Auslegung,
mit welcher freilich unsere Kupferstich- und Holzschnittsammler wenig überein¬
stimmen werden.

Bittender Künstler im eigentlichen und höheren Sinn ist nur derjenige,
welcher es versteht, ein Selbstgeschaffenes, in seinem Innern erschautes Bild in
irgend einem beliebigen unorganischen Stoffe so vor die Augen der Mit- und
Nachwelt zu stellen, daß dieselben über dem auf diesem Wege entstandenen
Kunstwerk den Stoff und den Künstler vergessen und in demselben zunächst nur
die Idee seines Schöpfers erschauen und das empfinden, was den Urheber
innerlich bewegt haben muß, als ihn der erste noch von der technischen Aus¬
führung freie Gedanke seiner Schöpfung durchzitterte.

In diesem Sinne also kann keines der Handwerke Kunst sein, können es auch
jene höchsten unter denselben nicht, welche wir deshalb zuletzt ins Auge gefaßt
haben. In diesem Sinne ist vielmehr jede Kunst auch Handwerk, insofern


Gießerei und Malerei. Der Stammbaum derselben steht kräftig und frisch,
von dein Wurm der Zeit unangenagt und von ihren Stürmen noch unberührt,
vor den Augen der Mitwelt. Wie die Kunst aus diesen Handwerken historisch
sich nach und nach entwickelt hat. so gingen auch als sie bereits Blüten und
Früchte getragen hatte, aus diesen Wurzeln ihr stets noch neue Kräfte zu.
Darum nennt noch heut jeder Mund mit Ehrfurcht den Namen Peter Vischers
und vergißt bei ihm über dem bewunderten Künstler späterer Tage den ein¬
fachen, schlickten nürnberger Gelbgießermeister. Auch unserer Zeit fehlt es noch
nicht an verwandten Naturen; ich nenne für viele nur den einen, den wackeren
Burgschmied, den Schöpfer der Melanchtonsstatue ^u Nürnberg.

Wie diese Handwerke gleichsam vor der bildenden Kunst liegen und wie
aus ihnen und durch sie vermöge einzelner von der Natur vorzugsweise be¬
gabter Individuen das holde Dreipaar der Künste, die Architektur. Malerei
und Sculptur, sich entwickelt hat, so liegen andere Gewerbe zeitlich und ihrem
Ursprünge nach gleichsam hinter ihnen, jene Handwerke nämlich, welche sich
mit der Vervielfältigung der Erzeugnisse der höheren Kunst beschäftigen und
diese zu ihrem eigenen und anderer Nutzen in sich selbst gleichsam reproduciern
die Kupferstechern, Lithographie, Holzschneiderei, Buchdruckerei, Galvanoplastik.

Wir sind gewöhnt, die Vertreter dieser Handwerke, sobald sie in ihrer
Art Gutes leisten, mit dem Namen Künstler im uneigentlichen Sinne zu be¬
zeichne». Es liegt nichts daran, sobald mit diesem Namen kein falscher Be¬
griff verbunden und die Würde der eigentlichen Kunst dadurch nicht in den
Staub des Alltaglebcns herabgezogen wird. Ich sehe aber nicht ein, warum
es nicht besser sein soll, selbst den unsterblichen Albrecht Dürer, sobald er
sich nur damit beschäftigt, seine eigene Erfindung im Holzschnitt oder Kupfer¬
stich wiederzugeben, als Handwerker anzusehen, und den Künstler in dem
Entwurf der zu diesem Behuf nöthigen Zeichnung zu suchen, eine Auslegung,
mit welcher freilich unsere Kupferstich- und Holzschnittsammler wenig überein¬
stimmen werden.

Bittender Künstler im eigentlichen und höheren Sinn ist nur derjenige,
welcher es versteht, ein Selbstgeschaffenes, in seinem Innern erschautes Bild in
irgend einem beliebigen unorganischen Stoffe so vor die Augen der Mit- und
Nachwelt zu stellen, daß dieselben über dem auf diesem Wege entstandenen
Kunstwerk den Stoff und den Künstler vergessen und in demselben zunächst nur
die Idee seines Schöpfers erschauen und das empfinden, was den Urheber
innerlich bewegt haben muß, als ihn der erste noch von der technischen Aus¬
führung freie Gedanke seiner Schöpfung durchzitterte.

In diesem Sinne also kann keines der Handwerke Kunst sein, können es auch
jene höchsten unter denselben nicht, welche wir deshalb zuletzt ins Auge gefaßt
haben. In diesem Sinne ist vielmehr jede Kunst auch Handwerk, insofern


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[0196] Gießerei und Malerei. Der Stammbaum derselben steht kräftig und frisch, von dein Wurm der Zeit unangenagt und von ihren Stürmen noch unberührt, vor den Augen der Mitwelt. Wie die Kunst aus diesen Handwerken historisch sich nach und nach entwickelt hat. so gingen auch als sie bereits Blüten und Früchte getragen hatte, aus diesen Wurzeln ihr stets noch neue Kräfte zu. Darum nennt noch heut jeder Mund mit Ehrfurcht den Namen Peter Vischers und vergißt bei ihm über dem bewunderten Künstler späterer Tage den ein¬ fachen, schlickten nürnberger Gelbgießermeister. Auch unserer Zeit fehlt es noch nicht an verwandten Naturen; ich nenne für viele nur den einen, den wackeren Burgschmied, den Schöpfer der Melanchtonsstatue ^u Nürnberg. Wie diese Handwerke gleichsam vor der bildenden Kunst liegen und wie aus ihnen und durch sie vermöge einzelner von der Natur vorzugsweise be¬ gabter Individuen das holde Dreipaar der Künste, die Architektur. Malerei und Sculptur, sich entwickelt hat, so liegen andere Gewerbe zeitlich und ihrem Ursprünge nach gleichsam hinter ihnen, jene Handwerke nämlich, welche sich mit der Vervielfältigung der Erzeugnisse der höheren Kunst beschäftigen und diese zu ihrem eigenen und anderer Nutzen in sich selbst gleichsam reproduciern die Kupferstechern, Lithographie, Holzschneiderei, Buchdruckerei, Galvanoplastik. Wir sind gewöhnt, die Vertreter dieser Handwerke, sobald sie in ihrer Art Gutes leisten, mit dem Namen Künstler im uneigentlichen Sinne zu be¬ zeichne». Es liegt nichts daran, sobald mit diesem Namen kein falscher Be¬ griff verbunden und die Würde der eigentlichen Kunst dadurch nicht in den Staub des Alltaglebcns herabgezogen wird. Ich sehe aber nicht ein, warum es nicht besser sein soll, selbst den unsterblichen Albrecht Dürer, sobald er sich nur damit beschäftigt, seine eigene Erfindung im Holzschnitt oder Kupfer¬ stich wiederzugeben, als Handwerker anzusehen, und den Künstler in dem Entwurf der zu diesem Behuf nöthigen Zeichnung zu suchen, eine Auslegung, mit welcher freilich unsere Kupferstich- und Holzschnittsammler wenig überein¬ stimmen werden. Bittender Künstler im eigentlichen und höheren Sinn ist nur derjenige, welcher es versteht, ein Selbstgeschaffenes, in seinem Innern erschautes Bild in irgend einem beliebigen unorganischen Stoffe so vor die Augen der Mit- und Nachwelt zu stellen, daß dieselben über dem auf diesem Wege entstandenen Kunstwerk den Stoff und den Künstler vergessen und in demselben zunächst nur die Idee seines Schöpfers erschauen und das empfinden, was den Urheber innerlich bewegt haben muß, als ihn der erste noch von der technischen Aus¬ führung freie Gedanke seiner Schöpfung durchzitterte. In diesem Sinne also kann keines der Handwerke Kunst sein, können es auch jene höchsten unter denselben nicht, welche wir deshalb zuletzt ins Auge gefaßt haben. In diesem Sinne ist vielmehr jede Kunst auch Handwerk, insofern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/196>, abgerufen am 31.05.2024.