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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Künstler zu schaffen, das achtzehnte Jahrhundert führte dieselben auf Staats¬
kosten in allen größeren Staaten ein. -- Der erwartete Erfolg für die
Hebung der Kunst blieb indeß aus, weil man den Gedanken der Urheber dieser
Anstalten falsch ausführte, und schon diese selbst demselben eine falsche Fassung
gegeben hatten. Man bildete sich ein, vollständige Künstler erziehen und dem
Leben beim Austritt aus jenen Anstalten zurechtgeschulte Meister übergeben
zu können. Erst unser Jahrhundert sah den Irrthum ein, beseitigte die
akademische Zwangsjacke, überließ dem Künstler durch Einrichtung ein¬
zelner Ateliers, in Beziehung auf die technische Bildung sich einzelnen Meistern
anzuvertrauen und nöthigte ihn nur, im Großen und Ganzen sich die für
seine Zeit nöthige allgemeine Bildung so wie die speciellere Durchschnitts¬
bildung zu verschaffen. Der segensreiche Einfluß dieser Reorganisation liegt
in den Leistungen der Münchner und düsseldorfer Schule zu Tage.

In dieser Weise und nach diesen Grundsätzen der modernen Zeit müssen
auch die bisherigen Gewerbschulen umgeschaffen und erweitert werden, wenn
die gewerbliche Kunstthätigkeit nicht von Tag zu Tag mehr sinken und zuletzt
ganz verfallen soll. Der Staat muß deshalb dasür Sorge tragen; daß In¬
stitute entstehen, in welchen der Lehrling, der Geselle, selbst noch der junge
Meister Gelegenheit haben, die ihm unentbehrliche Bildung im Gebiet der
Tektonik, wie neuere Gelehrte (Otsticd Müller und Theodor Bischer) diesen
Zweig der gewerblichen Kunstthätigkeit genannt haben, zu erlangen.

Man richte diese nkademienartig und möglichst frei ein und gebe ihnen
als gemeinsame Grundlage, als Zwangsunterricht, wenn man will, nur das
allen höheren Gewerben und Handwerken, welche in Zukunft noch die Ehre
haben werden als solche und nicht blos als Tage- und Fabrikarbeit zu
gelten, nöthige und gemeinsame Zeichnen, wobei man sich bei den Borlagen
natürlich nach dem jedesmaligen Beruf des Einzelnen zu richten hat. Im
klebrigen lasse man dein freien Willen und dem persönlichen Interesse unter
Anleitung und Anweisung eines vernünftigen Dirigenten Raum.

Eine zu große Zersplitterung ist kaum zu fürchten; denn dem praktischen
Zeichenunterricht müßte der theoretische Theil der übrigen Lehrcurse entsprechen.
So wird fast allen hier in Betracht kommenden Handwerken die Kunde
von der Gliederung gemeinsam und unentbehrlich sein: der Maurer, der
Zimmermann, der Töpfer, der Tischler, der Drechsler brauchen und beanspruchen
sie in gleicher Weise.

Nicht weniger groß würde die Zahl der Zuhörer sür die Formenkunde
der Gefäße von den prachtvollen griechischen Gebilden dieser Art bis herab
zu den Renaissance- und Zopfformen sein. Der Porzellan-, Glas-, Thon-, Gips-,
Silber- und Goldwaarenarbeiter bedürfen derselben.

Noch bedeutender und gemeinsamer ist das Interesse fast aller nur denk-


Künstler zu schaffen, das achtzehnte Jahrhundert führte dieselben auf Staats¬
kosten in allen größeren Staaten ein. — Der erwartete Erfolg für die
Hebung der Kunst blieb indeß aus, weil man den Gedanken der Urheber dieser
Anstalten falsch ausführte, und schon diese selbst demselben eine falsche Fassung
gegeben hatten. Man bildete sich ein, vollständige Künstler erziehen und dem
Leben beim Austritt aus jenen Anstalten zurechtgeschulte Meister übergeben
zu können. Erst unser Jahrhundert sah den Irrthum ein, beseitigte die
akademische Zwangsjacke, überließ dem Künstler durch Einrichtung ein¬
zelner Ateliers, in Beziehung auf die technische Bildung sich einzelnen Meistern
anzuvertrauen und nöthigte ihn nur, im Großen und Ganzen sich die für
seine Zeit nöthige allgemeine Bildung so wie die speciellere Durchschnitts¬
bildung zu verschaffen. Der segensreiche Einfluß dieser Reorganisation liegt
in den Leistungen der Münchner und düsseldorfer Schule zu Tage.

In dieser Weise und nach diesen Grundsätzen der modernen Zeit müssen
auch die bisherigen Gewerbschulen umgeschaffen und erweitert werden, wenn
die gewerbliche Kunstthätigkeit nicht von Tag zu Tag mehr sinken und zuletzt
ganz verfallen soll. Der Staat muß deshalb dasür Sorge tragen; daß In¬
stitute entstehen, in welchen der Lehrling, der Geselle, selbst noch der junge
Meister Gelegenheit haben, die ihm unentbehrliche Bildung im Gebiet der
Tektonik, wie neuere Gelehrte (Otsticd Müller und Theodor Bischer) diesen
Zweig der gewerblichen Kunstthätigkeit genannt haben, zu erlangen.

Man richte diese nkademienartig und möglichst frei ein und gebe ihnen
als gemeinsame Grundlage, als Zwangsunterricht, wenn man will, nur das
allen höheren Gewerben und Handwerken, welche in Zukunft noch die Ehre
haben werden als solche und nicht blos als Tage- und Fabrikarbeit zu
gelten, nöthige und gemeinsame Zeichnen, wobei man sich bei den Borlagen
natürlich nach dem jedesmaligen Beruf des Einzelnen zu richten hat. Im
klebrigen lasse man dein freien Willen und dem persönlichen Interesse unter
Anleitung und Anweisung eines vernünftigen Dirigenten Raum.

Eine zu große Zersplitterung ist kaum zu fürchten; denn dem praktischen
Zeichenunterricht müßte der theoretische Theil der übrigen Lehrcurse entsprechen.
So wird fast allen hier in Betracht kommenden Handwerken die Kunde
von der Gliederung gemeinsam und unentbehrlich sein: der Maurer, der
Zimmermann, der Töpfer, der Tischler, der Drechsler brauchen und beanspruchen
sie in gleicher Weise.

Nicht weniger groß würde die Zahl der Zuhörer sür die Formenkunde
der Gefäße von den prachtvollen griechischen Gebilden dieser Art bis herab
zu den Renaissance- und Zopfformen sein. Der Porzellan-, Glas-, Thon-, Gips-,
Silber- und Goldwaarenarbeiter bedürfen derselben.

Noch bedeutender und gemeinsamer ist das Interesse fast aller nur denk-


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[0198] Künstler zu schaffen, das achtzehnte Jahrhundert führte dieselben auf Staats¬ kosten in allen größeren Staaten ein. — Der erwartete Erfolg für die Hebung der Kunst blieb indeß aus, weil man den Gedanken der Urheber dieser Anstalten falsch ausführte, und schon diese selbst demselben eine falsche Fassung gegeben hatten. Man bildete sich ein, vollständige Künstler erziehen und dem Leben beim Austritt aus jenen Anstalten zurechtgeschulte Meister übergeben zu können. Erst unser Jahrhundert sah den Irrthum ein, beseitigte die akademische Zwangsjacke, überließ dem Künstler durch Einrichtung ein¬ zelner Ateliers, in Beziehung auf die technische Bildung sich einzelnen Meistern anzuvertrauen und nöthigte ihn nur, im Großen und Ganzen sich die für seine Zeit nöthige allgemeine Bildung so wie die speciellere Durchschnitts¬ bildung zu verschaffen. Der segensreiche Einfluß dieser Reorganisation liegt in den Leistungen der Münchner und düsseldorfer Schule zu Tage. In dieser Weise und nach diesen Grundsätzen der modernen Zeit müssen auch die bisherigen Gewerbschulen umgeschaffen und erweitert werden, wenn die gewerbliche Kunstthätigkeit nicht von Tag zu Tag mehr sinken und zuletzt ganz verfallen soll. Der Staat muß deshalb dasür Sorge tragen; daß In¬ stitute entstehen, in welchen der Lehrling, der Geselle, selbst noch der junge Meister Gelegenheit haben, die ihm unentbehrliche Bildung im Gebiet der Tektonik, wie neuere Gelehrte (Otsticd Müller und Theodor Bischer) diesen Zweig der gewerblichen Kunstthätigkeit genannt haben, zu erlangen. Man richte diese nkademienartig und möglichst frei ein und gebe ihnen als gemeinsame Grundlage, als Zwangsunterricht, wenn man will, nur das allen höheren Gewerben und Handwerken, welche in Zukunft noch die Ehre haben werden als solche und nicht blos als Tage- und Fabrikarbeit zu gelten, nöthige und gemeinsame Zeichnen, wobei man sich bei den Borlagen natürlich nach dem jedesmaligen Beruf des Einzelnen zu richten hat. Im klebrigen lasse man dein freien Willen und dem persönlichen Interesse unter Anleitung und Anweisung eines vernünftigen Dirigenten Raum. Eine zu große Zersplitterung ist kaum zu fürchten; denn dem praktischen Zeichenunterricht müßte der theoretische Theil der übrigen Lehrcurse entsprechen. So wird fast allen hier in Betracht kommenden Handwerken die Kunde von der Gliederung gemeinsam und unentbehrlich sein: der Maurer, der Zimmermann, der Töpfer, der Tischler, der Drechsler brauchen und beanspruchen sie in gleicher Weise. Nicht weniger groß würde die Zahl der Zuhörer sür die Formenkunde der Gefäße von den prachtvollen griechischen Gebilden dieser Art bis herab zu den Renaissance- und Zopfformen sein. Der Porzellan-, Glas-, Thon-, Gips-, Silber- und Goldwaarenarbeiter bedürfen derselben. Noch bedeutender und gemeinsamer ist das Interesse fast aller nur denk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/198>, abgerufen am 30.05.2024.