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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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in Bewegung setzen, so haben sie einen gewissen Sinn, allein wenn solche
Meinungen noch eristiren, so sind sie jedenfalls schwach vertreten. Kein ver¬
nünftiger Politiker wird erwarten, daß England etwas thue zu Gunsten
anderer Volker, was ihm Schaden bringe, man verlangt nur von ihm, wie
von jedem andern Lande, daß es die Rechte, welche es für sich zu wahren
sucht, auch bei andern achte. In den Aufzeichnungen des Marquis haben
wir nichts entdeckt, was gegen diesen Grundsatz verstößt, er handelt als Eng¬
länder und zwar als englischer Gesandter, im Interesse seines Landes, will
man ihm daraus etwa einen Borwurf machen? soll er, der britische Pair, der
geschulte Staatsmann, mit jenen republikanischen Thoren sür Freiheit und
Gleichheit schwärmen?'Er benutzte das Vertrauen, welches ihm Männer
wie Lamartine, Bastide, Cavaignac entgegenbrachten, um die Lage seiner
leidenden Landsleute zu mildern, und den Frieden nach außen zu erhalten,
letzteres gewiß weil es vor allem im Interesse Englands war, dessen commer-
zielle Interessen von jedem Krieg schwer gelitten hätten. Aber kann es etwas
Verkehrteres geben, als die Behauptung jenes Korrespondenten. England habe
den Kampf gegen die Revolution von l?8ö aufgenommen, um das Eindringen
der demokratischen Bewegung zu verhindern, aber nachher gefunden, daß grade
der auswärtige Krieg den Bürgerkrieg in Frankreich verhütet, deshalb habe
es dies Mal den Frieden nach außen zu erhalten gesucht, damit sich die
Kräfte des französischen Volkes gegeneinander aufrieben? -- England unter¬
nahm am Ende des vorigen Jahrhunderts den Krieg gegen Frankreich aller¬
dings bis zu einem gewissen Grade wol aus dem principiellen Gesichtspunkt,
daß Dinge, wie sie in Paris vorgingen, für die gesellschaftlichen Zustände Eu¬
ropas und besonders Großbritanniens selbst bedrohlich und daher zu bekämpfen
seien; man hat allerdings nachher eingesehen, daß es besser gewesen, den
Krater in sich ausbrennen zu lassen, als der explodirenden Kraft einen Abzug
nach außen zu geben, aber die französische Revolution war ohne Beispiel und
Frankreich forderte durch sein Benehmen den Krieg so heraus, daß es bei
dem ernsten Willen ihn zu vermeiden, doch vielleicht nicht möglich gewesen.
Soll vielleicht jetzt England die gemachte Erfahrung in den Wind schlagen,
und dies Mal, wo> Frankreich nicht herausfordernd nach außen auftritt, einen
Streit vom Zaun brechen, damit es einige 100 Mill. Pfd. neue Schulden
sich auflade und Frankreich den Zwiespalt im Innern erspare, den dasselbe
doch ganz allein selbst verschuldet? Der Marquis hat aber nichts Anderes ge¬
than, als zum Frieden gemahnt und abgemahnt von aller Einmischung in
fremde Angelegenheiten, aus der richtigen Ueberzeugung, daß ein Krieg, der
von der französischen Republik unternommen werde, nothwendig zu der Zeit
ein Krieg revolutionärer Propaganda geworden. Ein solcher wäre England
gewiß sehr schädlich gewesen, hatten wir Deutsche aber bei den Zuständen


in Bewegung setzen, so haben sie einen gewissen Sinn, allein wenn solche
Meinungen noch eristiren, so sind sie jedenfalls schwach vertreten. Kein ver¬
nünftiger Politiker wird erwarten, daß England etwas thue zu Gunsten
anderer Volker, was ihm Schaden bringe, man verlangt nur von ihm, wie
von jedem andern Lande, daß es die Rechte, welche es für sich zu wahren
sucht, auch bei andern achte. In den Aufzeichnungen des Marquis haben
wir nichts entdeckt, was gegen diesen Grundsatz verstößt, er handelt als Eng¬
länder und zwar als englischer Gesandter, im Interesse seines Landes, will
man ihm daraus etwa einen Borwurf machen? soll er, der britische Pair, der
geschulte Staatsmann, mit jenen republikanischen Thoren sür Freiheit und
Gleichheit schwärmen?'Er benutzte das Vertrauen, welches ihm Männer
wie Lamartine, Bastide, Cavaignac entgegenbrachten, um die Lage seiner
leidenden Landsleute zu mildern, und den Frieden nach außen zu erhalten,
letzteres gewiß weil es vor allem im Interesse Englands war, dessen commer-
zielle Interessen von jedem Krieg schwer gelitten hätten. Aber kann es etwas
Verkehrteres geben, als die Behauptung jenes Korrespondenten. England habe
den Kampf gegen die Revolution von l?8ö aufgenommen, um das Eindringen
der demokratischen Bewegung zu verhindern, aber nachher gefunden, daß grade
der auswärtige Krieg den Bürgerkrieg in Frankreich verhütet, deshalb habe
es dies Mal den Frieden nach außen zu erhalten gesucht, damit sich die
Kräfte des französischen Volkes gegeneinander aufrieben? — England unter¬
nahm am Ende des vorigen Jahrhunderts den Krieg gegen Frankreich aller¬
dings bis zu einem gewissen Grade wol aus dem principiellen Gesichtspunkt,
daß Dinge, wie sie in Paris vorgingen, für die gesellschaftlichen Zustände Eu¬
ropas und besonders Großbritanniens selbst bedrohlich und daher zu bekämpfen
seien; man hat allerdings nachher eingesehen, daß es besser gewesen, den
Krater in sich ausbrennen zu lassen, als der explodirenden Kraft einen Abzug
nach außen zu geben, aber die französische Revolution war ohne Beispiel und
Frankreich forderte durch sein Benehmen den Krieg so heraus, daß es bei
dem ernsten Willen ihn zu vermeiden, doch vielleicht nicht möglich gewesen.
Soll vielleicht jetzt England die gemachte Erfahrung in den Wind schlagen,
und dies Mal, wo> Frankreich nicht herausfordernd nach außen auftritt, einen
Streit vom Zaun brechen, damit es einige 100 Mill. Pfd. neue Schulden
sich auflade und Frankreich den Zwiespalt im Innern erspare, den dasselbe
doch ganz allein selbst verschuldet? Der Marquis hat aber nichts Anderes ge¬
than, als zum Frieden gemahnt und abgemahnt von aller Einmischung in
fremde Angelegenheiten, aus der richtigen Ueberzeugung, daß ein Krieg, der
von der französischen Republik unternommen werde, nothwendig zu der Zeit
ein Krieg revolutionärer Propaganda geworden. Ein solcher wäre England
gewiß sehr schädlich gewesen, hatten wir Deutsche aber bei den Zuständen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/220>, abgerufen am 15.05.2024.