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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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unnützer Bücher und Zeitschriften hervorbringt. Bei vielen Producten der so¬
genannten populären Literatur unsrer Tage bekennen die Verfasser in der Vor¬
rede ganz naiv, sie hätten zwar über den Gegenstand nichts Neues zu sagen,
sie wollten sich vielmehr vor jeder paradoxen Wendung hüten, da alles Nöthige
bereits gesagt sei, aber u. s. w, -- Durch diese Gattung wird zwar die Ober¬
flächlichkeit gefördert und es wird dein Publicum selbst erschwert, in der Ueber¬
fülle des Mittelmäßigen das Gute herauszufinden, aber es wird doch kein
positiver Schaden angerichtet.

Schlimmer ist eine andere Seite der sogenannten populären Literatur.
Für den ruhigen Beobachter, der sich dnrch den äußern Anschein nicht täuschen
läßt, liegt in den Instinkten der Menge stets etwas Gemeines. Wohl gemerkt
wir verstehen unter Menge oder um den bestimmtem Ausdruck zu gebrauchen,
unter Pöbel, nicht eine besondere Klasse des Volks. Die Nichtigkeit jener Beob¬
achtung zeigt sich sofort in aufgeregten Zeiten, und- so brachte das Jahr 1848
eine überwiegend gemeine Literatur hervor, gleichviel ob sie auf den Pöbel
der niedern oder auf den Pöbel der höhern Stände berechnet war. In Zei¬
ten der Aufregung, wo man alles nach einem andern Maßstabe mißt, läßt
sich so etwas entschuldigen, aber es gibt Länder, wo diese Pöbelhaftigkeit der
Presse permanent wird, wo sie nur vom Skandal, nur von den gemeinsten
Persönlichkeiten lebt, wie z. B. in Amerika. Leider sind manche Symptome
vorhanden, als ob wir uns- einem solchen Zustand näherten.

Zwar muß man in Anschlag bringen, daß der Deutsche, in allen Dingen
schwerfällig, auch in seiner Polemik stets das Massive liebte. Mit großem
Behagen haben wir einen Brief Schlözers, des eigentlichen Begründers der
deutschen Journalistik, an I. v. Müller gelesen, der über eine böswillige
Recension untröstlich war. Schlözer schreibt ihm 1,781: "Statt Sie zu trösten
lache ich Sie aus; eine Recension! eine Recension! . .Mann, Schweizer¬
mann, seien Sie größer! Sie kennen die Welt, also auch die literarische, hoffent¬
lich auch noch die literarische deutsche Welt. Wenn mir einer mündlich sagt,
ich wäre ein Dummkopf, so gebe ich ihm eine Ohrfeige. Sagt mir aber
einer in einem Epigramm oder in einer Recension, ich wäre ein Rindvieh,
ich hätte gestohlen, ich hätte einen falschen Eid gethan: so mache ich kein
mvuvömmit," -- (Müllers Werke B. 16 S. 108.) - In der That kann sich
der Einzelne, auf den ein solcher Ton angewendet wird, leicht beruhigen. Es
ist nicht angenehm, sich beim Vorübergehn ans dem Fischmarkt das Mißfallen
einer der Damen zuzuzichn, aber es ist auch kein Unglück. Viel mehr leidet
darunter der Stand der Journalisten überhaupt, da das unbetheiligte Publi¬
cum, das sich mit stiller Geringschätzung amüsirt, sich leicht versucht fühlt, aus
dem einzelnen Fall auf das Allgemeine zu schließen. Grade in dieser Beziehung.


unnützer Bücher und Zeitschriften hervorbringt. Bei vielen Producten der so¬
genannten populären Literatur unsrer Tage bekennen die Verfasser in der Vor¬
rede ganz naiv, sie hätten zwar über den Gegenstand nichts Neues zu sagen,
sie wollten sich vielmehr vor jeder paradoxen Wendung hüten, da alles Nöthige
bereits gesagt sei, aber u. s. w, — Durch diese Gattung wird zwar die Ober¬
flächlichkeit gefördert und es wird dein Publicum selbst erschwert, in der Ueber¬
fülle des Mittelmäßigen das Gute herauszufinden, aber es wird doch kein
positiver Schaden angerichtet.

Schlimmer ist eine andere Seite der sogenannten populären Literatur.
Für den ruhigen Beobachter, der sich dnrch den äußern Anschein nicht täuschen
läßt, liegt in den Instinkten der Menge stets etwas Gemeines. Wohl gemerkt
wir verstehen unter Menge oder um den bestimmtem Ausdruck zu gebrauchen,
unter Pöbel, nicht eine besondere Klasse des Volks. Die Nichtigkeit jener Beob¬
achtung zeigt sich sofort in aufgeregten Zeiten, und- so brachte das Jahr 1848
eine überwiegend gemeine Literatur hervor, gleichviel ob sie auf den Pöbel
der niedern oder auf den Pöbel der höhern Stände berechnet war. In Zei¬
ten der Aufregung, wo man alles nach einem andern Maßstabe mißt, läßt
sich so etwas entschuldigen, aber es gibt Länder, wo diese Pöbelhaftigkeit der
Presse permanent wird, wo sie nur vom Skandal, nur von den gemeinsten
Persönlichkeiten lebt, wie z. B. in Amerika. Leider sind manche Symptome
vorhanden, als ob wir uns- einem solchen Zustand näherten.

Zwar muß man in Anschlag bringen, daß der Deutsche, in allen Dingen
schwerfällig, auch in seiner Polemik stets das Massive liebte. Mit großem
Behagen haben wir einen Brief Schlözers, des eigentlichen Begründers der
deutschen Journalistik, an I. v. Müller gelesen, der über eine böswillige
Recension untröstlich war. Schlözer schreibt ihm 1,781: „Statt Sie zu trösten
lache ich Sie aus; eine Recension! eine Recension! . .Mann, Schweizer¬
mann, seien Sie größer! Sie kennen die Welt, also auch die literarische, hoffent¬
lich auch noch die literarische deutsche Welt. Wenn mir einer mündlich sagt,
ich wäre ein Dummkopf, so gebe ich ihm eine Ohrfeige. Sagt mir aber
einer in einem Epigramm oder in einer Recension, ich wäre ein Rindvieh,
ich hätte gestohlen, ich hätte einen falschen Eid gethan: so mache ich kein
mvuvömmit," — (Müllers Werke B. 16 S. 108.) - In der That kann sich
der Einzelne, auf den ein solcher Ton angewendet wird, leicht beruhigen. Es
ist nicht angenehm, sich beim Vorübergehn ans dem Fischmarkt das Mißfallen
einer der Damen zuzuzichn, aber es ist auch kein Unglück. Viel mehr leidet
darunter der Stand der Journalisten überhaupt, da das unbetheiligte Publi¬
cum, das sich mit stiller Geringschätzung amüsirt, sich leicht versucht fühlt, aus
dem einzelnen Fall auf das Allgemeine zu schließen. Grade in dieser Beziehung.


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[0254] unnützer Bücher und Zeitschriften hervorbringt. Bei vielen Producten der so¬ genannten populären Literatur unsrer Tage bekennen die Verfasser in der Vor¬ rede ganz naiv, sie hätten zwar über den Gegenstand nichts Neues zu sagen, sie wollten sich vielmehr vor jeder paradoxen Wendung hüten, da alles Nöthige bereits gesagt sei, aber u. s. w, — Durch diese Gattung wird zwar die Ober¬ flächlichkeit gefördert und es wird dein Publicum selbst erschwert, in der Ueber¬ fülle des Mittelmäßigen das Gute herauszufinden, aber es wird doch kein positiver Schaden angerichtet. Schlimmer ist eine andere Seite der sogenannten populären Literatur. Für den ruhigen Beobachter, der sich dnrch den äußern Anschein nicht täuschen läßt, liegt in den Instinkten der Menge stets etwas Gemeines. Wohl gemerkt wir verstehen unter Menge oder um den bestimmtem Ausdruck zu gebrauchen, unter Pöbel, nicht eine besondere Klasse des Volks. Die Nichtigkeit jener Beob¬ achtung zeigt sich sofort in aufgeregten Zeiten, und- so brachte das Jahr 1848 eine überwiegend gemeine Literatur hervor, gleichviel ob sie auf den Pöbel der niedern oder auf den Pöbel der höhern Stände berechnet war. In Zei¬ ten der Aufregung, wo man alles nach einem andern Maßstabe mißt, läßt sich so etwas entschuldigen, aber es gibt Länder, wo diese Pöbelhaftigkeit der Presse permanent wird, wo sie nur vom Skandal, nur von den gemeinsten Persönlichkeiten lebt, wie z. B. in Amerika. Leider sind manche Symptome vorhanden, als ob wir uns- einem solchen Zustand näherten. Zwar muß man in Anschlag bringen, daß der Deutsche, in allen Dingen schwerfällig, auch in seiner Polemik stets das Massive liebte. Mit großem Behagen haben wir einen Brief Schlözers, des eigentlichen Begründers der deutschen Journalistik, an I. v. Müller gelesen, der über eine böswillige Recension untröstlich war. Schlözer schreibt ihm 1,781: „Statt Sie zu trösten lache ich Sie aus; eine Recension! eine Recension! . .Mann, Schweizer¬ mann, seien Sie größer! Sie kennen die Welt, also auch die literarische, hoffent¬ lich auch noch die literarische deutsche Welt. Wenn mir einer mündlich sagt, ich wäre ein Dummkopf, so gebe ich ihm eine Ohrfeige. Sagt mir aber einer in einem Epigramm oder in einer Recension, ich wäre ein Rindvieh, ich hätte gestohlen, ich hätte einen falschen Eid gethan: so mache ich kein mvuvömmit," — (Müllers Werke B. 16 S. 108.) - In der That kann sich der Einzelne, auf den ein solcher Ton angewendet wird, leicht beruhigen. Es ist nicht angenehm, sich beim Vorübergehn ans dem Fischmarkt das Mißfallen einer der Damen zuzuzichn, aber es ist auch kein Unglück. Viel mehr leidet darunter der Stand der Journalisten überhaupt, da das unbetheiligte Publi¬ cum, das sich mit stiller Geringschätzung amüsirt, sich leicht versucht fühlt, aus dem einzelnen Fall auf das Allgemeine zu schließen. Grade in dieser Beziehung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/254>, abgerufen am 13.05.2024.