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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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durch den Mangel aller Bildungsanstalten für tüchtige Aerzte blieb es
natürlich entweder bei dem bloßen Umlernen der Dogmen und Ersahrungen
irgend eines berühmten Meisters oder bei einem auf Kosten der Kranken ge¬
machten autodidaktischen Experimentalverfahren. Wer aber irgend sich einen
Namen machen wollte, suchte an der alten Schulweisheit des Hippokrates,
Asklepiades oder Themison etwas zu mäkeln und zu ändern und die
entgegengesetztesten Methoden folgten sich in raschem Wechsel. Antonius
Musa, ein Freigelassener, curirte deu Kaiser Augustus, welcher schon sein
Haus bestellt hatte/ auf pricsnitzsche Art durch kalte Wasserbäder und Tränke,
und erhielt dafür eine Bildsäule neben Aesculap, den goldnen Ring und die
Censussumme der Ritter. Abgabenfreiheit für sich und für seine Kunstgenossen
auf alle Zeiten -- alles gewiß reellere Geschenke als mancher spätere Titel.
Aber sein Credit sank etwas, als der geliebte Schwestersohn Augusts, Mar-
cellus, bei derselben BeHandlungsweise starb, und bald daraus empfahl man
statt der erkältenden brennend heiße Bäder oder.verordnete Speisen und Arz->
melen nach der Stunde der Geburt und dem Stande der Gestirne. Dabei
wurden eine Unmasse abergläubischer und magischer Mittel, Besprechungen und
Amulete auch von den Aerzten anerkannt und angewendet, z. B. Müusegehirn
gegen Kopfschmerzen, verbrannter Hundszahn gegen Zahnschmerzen, eine in
Mandelöl gekochte Seetrompete gegen Harthörigkeit, ein Spänchen oder Stein¬
chen heimlich auf den Kopf gelegt gegen Schlucken, Einreibung mit Blut aus
der großen Zeh des Kranken oder der Genuß des (heute noch in demselben
Falle vom Volke angewendeten) Blutes eines Gladiators oder Verbrechers
gegen die Epilepsie. Außerdem gab es eine Menge geheimer Mittel und sol¬
cher, die nach dem Entdecker oder der Wirkung bestimmte Namen führten, so
daß in dieser Hinsicht das Alterthum dem Zeitalter der Revalenta Arabica
an blindem Glauben nicht nachstand. Die Bereitung der Recepte hatten früher
die Aerzte selbst besorgt, und wenn auch hier arge Mißgriffe unausbleiblich
gewesen sein mögen, so war es doch eine heillose Verschlimmerung des Ver¬
hältnisses, daß die Aerzte der Kaiserzeit aus Bequemlichkeit und Sorglosigkeit
dies unterließen und fertige Salben, Pflaster u. s. w. aus den Buden der
Seplasiarii oder Kräuter- und Salbenhündlcr entnahmen, welche mehr Aehn-
lichkeit mit unsern Droguisten als Apothekern hatten und theils aus Ignoranz
sündigten (Plinius erzählt, daß sie häusig anstatt des indischen Drachenbluts
Zinnober unter die Salben mischten), theils ihre sprichwörtlich gewordenen
Betrügereien übten und entweder verlegene oder verfälschte Waaren verkauften.
Es kam dadurch der Ausdruck Medicamentarius so in Verruf, daß er im
Gesetzbuche des Kaisers Theodosius gradezu "Giftmischer" bedeutet. Frei¬
lich mußte auch in einer Zeit, wo die Giftmischerei so vielfach benutzt wurde,
jeder Seplasianus auf einige acute Mittelchen für seine vornehmen Kunden


durch den Mangel aller Bildungsanstalten für tüchtige Aerzte blieb es
natürlich entweder bei dem bloßen Umlernen der Dogmen und Ersahrungen
irgend eines berühmten Meisters oder bei einem auf Kosten der Kranken ge¬
machten autodidaktischen Experimentalverfahren. Wer aber irgend sich einen
Namen machen wollte, suchte an der alten Schulweisheit des Hippokrates,
Asklepiades oder Themison etwas zu mäkeln und zu ändern und die
entgegengesetztesten Methoden folgten sich in raschem Wechsel. Antonius
Musa, ein Freigelassener, curirte deu Kaiser Augustus, welcher schon sein
Haus bestellt hatte/ auf pricsnitzsche Art durch kalte Wasserbäder und Tränke,
und erhielt dafür eine Bildsäule neben Aesculap, den goldnen Ring und die
Censussumme der Ritter. Abgabenfreiheit für sich und für seine Kunstgenossen
auf alle Zeiten — alles gewiß reellere Geschenke als mancher spätere Titel.
Aber sein Credit sank etwas, als der geliebte Schwestersohn Augusts, Mar-
cellus, bei derselben BeHandlungsweise starb, und bald daraus empfahl man
statt der erkältenden brennend heiße Bäder oder.verordnete Speisen und Arz->
melen nach der Stunde der Geburt und dem Stande der Gestirne. Dabei
wurden eine Unmasse abergläubischer und magischer Mittel, Besprechungen und
Amulete auch von den Aerzten anerkannt und angewendet, z. B. Müusegehirn
gegen Kopfschmerzen, verbrannter Hundszahn gegen Zahnschmerzen, eine in
Mandelöl gekochte Seetrompete gegen Harthörigkeit, ein Spänchen oder Stein¬
chen heimlich auf den Kopf gelegt gegen Schlucken, Einreibung mit Blut aus
der großen Zeh des Kranken oder der Genuß des (heute noch in demselben
Falle vom Volke angewendeten) Blutes eines Gladiators oder Verbrechers
gegen die Epilepsie. Außerdem gab es eine Menge geheimer Mittel und sol¬
cher, die nach dem Entdecker oder der Wirkung bestimmte Namen führten, so
daß in dieser Hinsicht das Alterthum dem Zeitalter der Revalenta Arabica
an blindem Glauben nicht nachstand. Die Bereitung der Recepte hatten früher
die Aerzte selbst besorgt, und wenn auch hier arge Mißgriffe unausbleiblich
gewesen sein mögen, so war es doch eine heillose Verschlimmerung des Ver¬
hältnisses, daß die Aerzte der Kaiserzeit aus Bequemlichkeit und Sorglosigkeit
dies unterließen und fertige Salben, Pflaster u. s. w. aus den Buden der
Seplasiarii oder Kräuter- und Salbenhündlcr entnahmen, welche mehr Aehn-
lichkeit mit unsern Droguisten als Apothekern hatten und theils aus Ignoranz
sündigten (Plinius erzählt, daß sie häusig anstatt des indischen Drachenbluts
Zinnober unter die Salben mischten), theils ihre sprichwörtlich gewordenen
Betrügereien übten und entweder verlegene oder verfälschte Waaren verkauften.
Es kam dadurch der Ausdruck Medicamentarius so in Verruf, daß er im
Gesetzbuche des Kaisers Theodosius gradezu „Giftmischer" bedeutet. Frei¬
lich mußte auch in einer Zeit, wo die Giftmischerei so vielfach benutzt wurde,
jeder Seplasianus auf einige acute Mittelchen für seine vornehmen Kunden


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[0258] durch den Mangel aller Bildungsanstalten für tüchtige Aerzte blieb es natürlich entweder bei dem bloßen Umlernen der Dogmen und Ersahrungen irgend eines berühmten Meisters oder bei einem auf Kosten der Kranken ge¬ machten autodidaktischen Experimentalverfahren. Wer aber irgend sich einen Namen machen wollte, suchte an der alten Schulweisheit des Hippokrates, Asklepiades oder Themison etwas zu mäkeln und zu ändern und die entgegengesetztesten Methoden folgten sich in raschem Wechsel. Antonius Musa, ein Freigelassener, curirte deu Kaiser Augustus, welcher schon sein Haus bestellt hatte/ auf pricsnitzsche Art durch kalte Wasserbäder und Tränke, und erhielt dafür eine Bildsäule neben Aesculap, den goldnen Ring und die Censussumme der Ritter. Abgabenfreiheit für sich und für seine Kunstgenossen auf alle Zeiten — alles gewiß reellere Geschenke als mancher spätere Titel. Aber sein Credit sank etwas, als der geliebte Schwestersohn Augusts, Mar- cellus, bei derselben BeHandlungsweise starb, und bald daraus empfahl man statt der erkältenden brennend heiße Bäder oder.verordnete Speisen und Arz-> melen nach der Stunde der Geburt und dem Stande der Gestirne. Dabei wurden eine Unmasse abergläubischer und magischer Mittel, Besprechungen und Amulete auch von den Aerzten anerkannt und angewendet, z. B. Müusegehirn gegen Kopfschmerzen, verbrannter Hundszahn gegen Zahnschmerzen, eine in Mandelöl gekochte Seetrompete gegen Harthörigkeit, ein Spänchen oder Stein¬ chen heimlich auf den Kopf gelegt gegen Schlucken, Einreibung mit Blut aus der großen Zeh des Kranken oder der Genuß des (heute noch in demselben Falle vom Volke angewendeten) Blutes eines Gladiators oder Verbrechers gegen die Epilepsie. Außerdem gab es eine Menge geheimer Mittel und sol¬ cher, die nach dem Entdecker oder der Wirkung bestimmte Namen führten, so daß in dieser Hinsicht das Alterthum dem Zeitalter der Revalenta Arabica an blindem Glauben nicht nachstand. Die Bereitung der Recepte hatten früher die Aerzte selbst besorgt, und wenn auch hier arge Mißgriffe unausbleiblich gewesen sein mögen, so war es doch eine heillose Verschlimmerung des Ver¬ hältnisses, daß die Aerzte der Kaiserzeit aus Bequemlichkeit und Sorglosigkeit dies unterließen und fertige Salben, Pflaster u. s. w. aus den Buden der Seplasiarii oder Kräuter- und Salbenhündlcr entnahmen, welche mehr Aehn- lichkeit mit unsern Droguisten als Apothekern hatten und theils aus Ignoranz sündigten (Plinius erzählt, daß sie häusig anstatt des indischen Drachenbluts Zinnober unter die Salben mischten), theils ihre sprichwörtlich gewordenen Betrügereien übten und entweder verlegene oder verfälschte Waaren verkauften. Es kam dadurch der Ausdruck Medicamentarius so in Verruf, daß er im Gesetzbuche des Kaisers Theodosius gradezu „Giftmischer" bedeutet. Frei¬ lich mußte auch in einer Zeit, wo die Giftmischerei so vielfach benutzt wurde, jeder Seplasianus auf einige acute Mittelchen für seine vornehmen Kunden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/258>, abgerufen am 29.05.2024.