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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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stützen wollte, legen dies genugsam an den Tag. Es war kein Wunder,
wenn diese Traditionen im preußischen Jngenieurcorps sich erhielten und wenn
auf sie wissenschaftlich weiter gebaut wurde. Als die Kriege wider Napoleon
zum Schluß gebracht worden waren, und man sich entschied, Hand an die
Befestigung der großen norddeutschen Tiefebene zu legen, wußte man genau,
was man wollte, man hatte einen leitenden Gedanken, einen festen Plan --
man wußte wohin man ging -- das war die Hauptsache!

Die in Wien geschlossenen Verträge hatten Preußen ein Gebiet ange¬
wiesen, welches sich von Saarlouis bis Memel in einer Länge von etwa
zweihundert Meilen ausdehnt. Das ist etwa ebenso viel wie die ganze
Längenevstrcckung des östreichischen Kaiserstaats vom oberen Po bis zum
Dniester. Aber abgesehen von der großen Schmalheit des Leibes und von
seiner Zerrissenheit in zwei Hälften wohnt auch in Hinsicht aus einen Stoß
von Westen oder Osten her der preußischen Ländermasse von Natur nicht
dieselbe Widerstandskraft inne, wie etwa der östreichischen. , Das macht
namentlich die Lage der Monarchie in der Ebene, die nirgend, ausgenommen
in ihren Strömen, von denen nur der Rhein und die Weichsel bedeutend sind,
ein Hinderniß bietet. Diese Schwäche auszugleichen gab es kein anderes
Mittel, als die Durchführung eines großartigen Befcstigungssystems, welches
da Schranken errichtete, wo die Natur nicht ausreichend vorgesorgt hatte,
oder, um treffender und wahrheitsgemäßer es auszudrücken: welches auf den
entscheidenden Punkten seine eigenen Mittel des Widerstandes den natür¬
lichen hinzufügte. ^

Im damaligen Preußen, wie es aus den napoleonischen Kriegen hervor¬
gegangen, war das Gefühl vorherrschend, daß der Staat von Westen her oder
Seitens Frankreich die nächste und ernsteste Gefahr zu fürchten habe, und wir
wollen über diesen Glauben, der ein irrthümlicher gewesen, heute mit unseren
Vätern nicht rechten. An eine Sicherung der heute in jeder Hinsicht wichtigsten
und am meisten in Gefahr stehenden Ostgrenze wurde kaum gedacht, und was
eine Gefährdung von östreichischer Seite anlangt, hegte man nicht nur den
Glauben, daß dawider der deutsche Bund eine sichere Garantie sei, sondern
die Männer, welche unter Blücher und Gneisenau gefochten, waren sich auch,
um es rund herauszusagen, ihrer Ueberlegenheit über den südlichen deutschen
Nachbar in einem hohen Maße und mit vollster Entschiedenheit bewußt.
Es ist das heute wesentlich anders. Oestreich hat nicht nur politisch, sondern
insbesondere auch militärisch eine Regeneration erlebt, und sein Schwert ist
heute eines der gefürchtetsten und schärfsten in ganz Europa. Dazu kommt,
daß das Jahr 1850 die Illusionen in Hinsicht auf die Unmöglichkeit eines
Krieges zwischen deutschen Bundesgliedern gründlich zerstört hat. Doch
hierüber später.


stützen wollte, legen dies genugsam an den Tag. Es war kein Wunder,
wenn diese Traditionen im preußischen Jngenieurcorps sich erhielten und wenn
auf sie wissenschaftlich weiter gebaut wurde. Als die Kriege wider Napoleon
zum Schluß gebracht worden waren, und man sich entschied, Hand an die
Befestigung der großen norddeutschen Tiefebene zu legen, wußte man genau,
was man wollte, man hatte einen leitenden Gedanken, einen festen Plan —
man wußte wohin man ging — das war die Hauptsache!

Die in Wien geschlossenen Verträge hatten Preußen ein Gebiet ange¬
wiesen, welches sich von Saarlouis bis Memel in einer Länge von etwa
zweihundert Meilen ausdehnt. Das ist etwa ebenso viel wie die ganze
Längenevstrcckung des östreichischen Kaiserstaats vom oberen Po bis zum
Dniester. Aber abgesehen von der großen Schmalheit des Leibes und von
seiner Zerrissenheit in zwei Hälften wohnt auch in Hinsicht aus einen Stoß
von Westen oder Osten her der preußischen Ländermasse von Natur nicht
dieselbe Widerstandskraft inne, wie etwa der östreichischen. , Das macht
namentlich die Lage der Monarchie in der Ebene, die nirgend, ausgenommen
in ihren Strömen, von denen nur der Rhein und die Weichsel bedeutend sind,
ein Hinderniß bietet. Diese Schwäche auszugleichen gab es kein anderes
Mittel, als die Durchführung eines großartigen Befcstigungssystems, welches
da Schranken errichtete, wo die Natur nicht ausreichend vorgesorgt hatte,
oder, um treffender und wahrheitsgemäßer es auszudrücken: welches auf den
entscheidenden Punkten seine eigenen Mittel des Widerstandes den natür¬
lichen hinzufügte. ^

Im damaligen Preußen, wie es aus den napoleonischen Kriegen hervor¬
gegangen, war das Gefühl vorherrschend, daß der Staat von Westen her oder
Seitens Frankreich die nächste und ernsteste Gefahr zu fürchten habe, und wir
wollen über diesen Glauben, der ein irrthümlicher gewesen, heute mit unseren
Vätern nicht rechten. An eine Sicherung der heute in jeder Hinsicht wichtigsten
und am meisten in Gefahr stehenden Ostgrenze wurde kaum gedacht, und was
eine Gefährdung von östreichischer Seite anlangt, hegte man nicht nur den
Glauben, daß dawider der deutsche Bund eine sichere Garantie sei, sondern
die Männer, welche unter Blücher und Gneisenau gefochten, waren sich auch,
um es rund herauszusagen, ihrer Ueberlegenheit über den südlichen deutschen
Nachbar in einem hohen Maße und mit vollster Entschiedenheit bewußt.
Es ist das heute wesentlich anders. Oestreich hat nicht nur politisch, sondern
insbesondere auch militärisch eine Regeneration erlebt, und sein Schwert ist
heute eines der gefürchtetsten und schärfsten in ganz Europa. Dazu kommt,
daß das Jahr 1850 die Illusionen in Hinsicht auf die Unmöglichkeit eines
Krieges zwischen deutschen Bundesgliedern gründlich zerstört hat. Doch
hierüber später.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/262>, abgerufen am 29.05.2024.