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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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selbe berichtet wurde, ging ich unter dem letzten Puls mit den Schülern, Ad-
juvantcn und Hausleuten zur Hinterthür hinaus, durch die Kirchgaß nach
der Kirche, da mir jeder männiglich wiederum, wie frühe geschehen, in die
Kirche folgete. Darinnen wurde damals gesungen: "Nun laßt uns Gott dem
Herren u." Aus der Kirche gingen wir in solcher Ordnung wieder singend:
"Lobet den Herrn, lobet den Herrn ze." aus gedachten Platz, da ich aber¬
mals gegen Fremde und Einheimische mit einem herzlichen Friedenswunsch
mich bedankte. Und wurden hier vor K gr. Wecke und etliche reise Aepfel
unter die Kinder ausgetheilet."

Bekannt ist, daß der große Friede sehr langsam kam, wie die Genesung
aus einer tödlichen Krankheit. Die Jahre 1648--50 vom Friedensschluß bis
zur Feier des Friedcnsfcstcs gehörten noch zu den schwersten der eisernen Zeit,
unerschwingliche Kriegssteuern waren ausgeschrieben; die Heere der verschiedenen
Parteien lagen bis zur Abzahlung auf den Landschaften und der Druck, wel¬
chen sie auf die elenden Bewohner ausübten, war so furchtbar, daß mehr als
ein Verzweislungsschrei der Völker sich in den Hader der immer noch verhan¬
delnden Parteien mischte. Dazu kamen Plagen andrer Art, alle Länder wim¬
melten von "herrenlosem Gesindlein". Banden entlassener Kriegsknechte mit
Dirnen und Troßbuben, Scharen von Bettlern, große Räuberhaufen streiften
aus einem Gebiet in das andere, sie quartirten sich gewaltsam in den Dörfern
ein, welche noch Einwohner hatten und setzten sich wol gar in den verlassenen
Hütten fest. Auch die Dorfbewohner mit schlechten Waffen versehen, der Ar¬
beit entwöhnt, fanden es zuweilen noch bequemer zu rauben, als das Feld zu
bestellen und machten heimliche Streifzüge in benachbarte Territorien, die
Evangelischen in katholisches Land und umgekehrt. Auch die echten Kinder
eines gesetzlosen Lebens, die Zigeuner, waren an Zahl und Dreistigkeit
gewachsen, und lagerten phantastisch ausgeputzt mit ihren hochbeladenen Karren,
mit gestohlenen Pferden und rankenden Kindern um den Steintrog des Dorf¬
platzes, grade wie im Anfange des l ö. Jahrhunderts, wo sie zuerst bandenweise
in das deutsche Land eingefallen waren. Wo grade ein kräftiger Regent und eifrige
Beamte thätig waren, wurde solchem wilden Wandern nach Kräften entgegengear¬
beitet. Die Dorfleute des Herzogthums Gotha mußten noch im Jahre 49 von den
Kirchthürmen Wache halten, Brücken und Fährten über die Bäche des Landes
besetzen und Lärm machen, so oft sie einen marfchirenden Haufen erblickten.
Ein System von Polizeiverordnungen, durchaus nothwendig und heilsam, war
das erste Zeichen des neuen Selbstgefühls, welches die, Regierungen erhalten
hatten. Wer sich niederlassen wollte, dem wurde die Ansiedlung leicht gemacht.
Wer fest saß, mußte angeben, wie viel Land er bebaut hatte, in welchem
Zustand ihm Haus und Hos war, ob er Vieh hatte. Neue Flurbücher und
Verzeichnisse der Einwohner wurden angefertigt, neue Steuern in Geld und


selbe berichtet wurde, ging ich unter dem letzten Puls mit den Schülern, Ad-
juvantcn und Hausleuten zur Hinterthür hinaus, durch die Kirchgaß nach
der Kirche, da mir jeder männiglich wiederum, wie frühe geschehen, in die
Kirche folgete. Darinnen wurde damals gesungen: „Nun laßt uns Gott dem
Herren u." Aus der Kirche gingen wir in solcher Ordnung wieder singend:
„Lobet den Herrn, lobet den Herrn ze." aus gedachten Platz, da ich aber¬
mals gegen Fremde und Einheimische mit einem herzlichen Friedenswunsch
mich bedankte. Und wurden hier vor K gr. Wecke und etliche reise Aepfel
unter die Kinder ausgetheilet."

Bekannt ist, daß der große Friede sehr langsam kam, wie die Genesung
aus einer tödlichen Krankheit. Die Jahre 1648—50 vom Friedensschluß bis
zur Feier des Friedcnsfcstcs gehörten noch zu den schwersten der eisernen Zeit,
unerschwingliche Kriegssteuern waren ausgeschrieben; die Heere der verschiedenen
Parteien lagen bis zur Abzahlung auf den Landschaften und der Druck, wel¬
chen sie auf die elenden Bewohner ausübten, war so furchtbar, daß mehr als
ein Verzweislungsschrei der Völker sich in den Hader der immer noch verhan¬
delnden Parteien mischte. Dazu kamen Plagen andrer Art, alle Länder wim¬
melten von „herrenlosem Gesindlein". Banden entlassener Kriegsknechte mit
Dirnen und Troßbuben, Scharen von Bettlern, große Räuberhaufen streiften
aus einem Gebiet in das andere, sie quartirten sich gewaltsam in den Dörfern
ein, welche noch Einwohner hatten und setzten sich wol gar in den verlassenen
Hütten fest. Auch die Dorfbewohner mit schlechten Waffen versehen, der Ar¬
beit entwöhnt, fanden es zuweilen noch bequemer zu rauben, als das Feld zu
bestellen und machten heimliche Streifzüge in benachbarte Territorien, die
Evangelischen in katholisches Land und umgekehrt. Auch die echten Kinder
eines gesetzlosen Lebens, die Zigeuner, waren an Zahl und Dreistigkeit
gewachsen, und lagerten phantastisch ausgeputzt mit ihren hochbeladenen Karren,
mit gestohlenen Pferden und rankenden Kindern um den Steintrog des Dorf¬
platzes, grade wie im Anfange des l ö. Jahrhunderts, wo sie zuerst bandenweise
in das deutsche Land eingefallen waren. Wo grade ein kräftiger Regent und eifrige
Beamte thätig waren, wurde solchem wilden Wandern nach Kräften entgegengear¬
beitet. Die Dorfleute des Herzogthums Gotha mußten noch im Jahre 49 von den
Kirchthürmen Wache halten, Brücken und Fährten über die Bäche des Landes
besetzen und Lärm machen, so oft sie einen marfchirenden Haufen erblickten.
Ein System von Polizeiverordnungen, durchaus nothwendig und heilsam, war
das erste Zeichen des neuen Selbstgefühls, welches die, Regierungen erhalten
hatten. Wer sich niederlassen wollte, dem wurde die Ansiedlung leicht gemacht.
Wer fest saß, mußte angeben, wie viel Land er bebaut hatte, in welchem
Zustand ihm Haus und Hos war, ob er Vieh hatte. Neue Flurbücher und
Verzeichnisse der Einwohner wurden angefertigt, neue Steuern in Geld und


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[0028] selbe berichtet wurde, ging ich unter dem letzten Puls mit den Schülern, Ad- juvantcn und Hausleuten zur Hinterthür hinaus, durch die Kirchgaß nach der Kirche, da mir jeder männiglich wiederum, wie frühe geschehen, in die Kirche folgete. Darinnen wurde damals gesungen: „Nun laßt uns Gott dem Herren u." Aus der Kirche gingen wir in solcher Ordnung wieder singend: „Lobet den Herrn, lobet den Herrn ze." aus gedachten Platz, da ich aber¬ mals gegen Fremde und Einheimische mit einem herzlichen Friedenswunsch mich bedankte. Und wurden hier vor K gr. Wecke und etliche reise Aepfel unter die Kinder ausgetheilet." Bekannt ist, daß der große Friede sehr langsam kam, wie die Genesung aus einer tödlichen Krankheit. Die Jahre 1648—50 vom Friedensschluß bis zur Feier des Friedcnsfcstcs gehörten noch zu den schwersten der eisernen Zeit, unerschwingliche Kriegssteuern waren ausgeschrieben; die Heere der verschiedenen Parteien lagen bis zur Abzahlung auf den Landschaften und der Druck, wel¬ chen sie auf die elenden Bewohner ausübten, war so furchtbar, daß mehr als ein Verzweislungsschrei der Völker sich in den Hader der immer noch verhan¬ delnden Parteien mischte. Dazu kamen Plagen andrer Art, alle Länder wim¬ melten von „herrenlosem Gesindlein". Banden entlassener Kriegsknechte mit Dirnen und Troßbuben, Scharen von Bettlern, große Räuberhaufen streiften aus einem Gebiet in das andere, sie quartirten sich gewaltsam in den Dörfern ein, welche noch Einwohner hatten und setzten sich wol gar in den verlassenen Hütten fest. Auch die Dorfbewohner mit schlechten Waffen versehen, der Ar¬ beit entwöhnt, fanden es zuweilen noch bequemer zu rauben, als das Feld zu bestellen und machten heimliche Streifzüge in benachbarte Territorien, die Evangelischen in katholisches Land und umgekehrt. Auch die echten Kinder eines gesetzlosen Lebens, die Zigeuner, waren an Zahl und Dreistigkeit gewachsen, und lagerten phantastisch ausgeputzt mit ihren hochbeladenen Karren, mit gestohlenen Pferden und rankenden Kindern um den Steintrog des Dorf¬ platzes, grade wie im Anfange des l ö. Jahrhunderts, wo sie zuerst bandenweise in das deutsche Land eingefallen waren. Wo grade ein kräftiger Regent und eifrige Beamte thätig waren, wurde solchem wilden Wandern nach Kräften entgegengear¬ beitet. Die Dorfleute des Herzogthums Gotha mußten noch im Jahre 49 von den Kirchthürmen Wache halten, Brücken und Fährten über die Bäche des Landes besetzen und Lärm machen, so oft sie einen marfchirenden Haufen erblickten. Ein System von Polizeiverordnungen, durchaus nothwendig und heilsam, war das erste Zeichen des neuen Selbstgefühls, welches die, Regierungen erhalten hatten. Wer sich niederlassen wollte, dem wurde die Ansiedlung leicht gemacht. Wer fest saß, mußte angeben, wie viel Land er bebaut hatte, in welchem Zustand ihm Haus und Hos war, ob er Vieh hatte. Neue Flurbücher und Verzeichnisse der Einwohner wurden angefertigt, neue Steuern in Geld und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/28>, abgerufen am 15.05.2024.