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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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hatte Verbindungen genug, um ein richtiges' Bild von dem Charakter
der großen Herren zu erhalten. Und wie unbedeutend einzelne seiner Anek¬
doten sein mögen, sie helfen im Ganzen dazu, Menschen und große Ereignisse
in einem neuen Licht zu zeigen. Das Folgende ist eine getreue Übertragung
seiner Worte in unsere Redeweise, doch mußte aus seinem weitläufigen, oft
durch Mittheilung von Ackerstücken unterbrochenen Bericht Einzelnes aus der
Reihenfolge herausgenommen werden. Nicht Weniges wurde weggelassen, weil
es an dieser Stelle zu verletzend in die Ohren der Leser geklungen hätte.

Vorher einige Bemerkungen. Noch immer fehlt, so scheint uns, den popu¬
lären Geschichtswerken über die Reformationszeit zu sehr das entschlossene Urtheil
über Zustände und Personen. Nur zu lange hat einseitige Benutzung der Quellen,
confessionelle Befangenheit und das kindliche Bedürfniß der Deutschen,zu ver¬
ehren, den Blick des Historikers beschränkt. Selbst in dem geistvollen Ge¬
schichtswerk eines großen Gelehrten vermißt man zuweilen die ehrliche Rück¬
sichtslosigkeit im Verurtheilen, welche die höchste Pflicht des Geschichtschreibers
werden kann. Unter den Ursachen, welche bewirkten, daß dem glänzenden
Sonnenaufgang des 16. Jahrhunderts ein lichtarmer Tag und ein Unheil
verkündender Abend folgte, ist die Kläglichkeit der deutschen Fürsten die vcr-
hängnißvollstc gewesen. Vergebens sucht jetzt unser Blick, wie damals der
des Volkes, nach einer kräftigen Männergestalt, die mehr war als ein rücksichts¬
loser Jäger, ein anspruchsvoller Rvsscbäudiger, im besten, nicht sehr häu¬
figen Falle, ein ehrlicher Hausvater. Der Spanier Karl ist gegenüber den
Repräsentanten des hohen deutschen Adels in der That ein scharfblickender
und großartiger Staatsmann, Prädicate, auf die er in anderer Umgebung nur
bedingten Anspruch hätte. Die deutschen Fürsten standen aber in der Refor¬
mationszeit.in ungünstigeren Verhältniß zu der Bildung und der theoretischen
Sittlichkeit ihrer Zeit, als etwa in der Gegenwart. Die charakteristische"
Fehler und Laster des letzten Mittelalters, rohe Willkür, Völlerei, Mangel an ge¬
schäftlicher und gesellschaftlicher Gewandtheit, vereinigten sich in ihnen mit den
Fehlern der neuern Zeit, Behagen an polizeilichem Despotismus, abschließen¬
dem Kastenstolz, gewissenlosen Jntriguiren und Servilität gegen Stärkere.
Wol hatte Luther Recht, wenn er mehr als einmal in bitteren Schmerz
über die Unwürdigkeit der hohen Häupter klagte, denen der Schutz Deutsch¬
lands oblag, denen auch er mit trüben Ahnungen die Schutzhcrrschaft der neuen
Kirche übergeben hatte. Friedrich von Sachsen, den die protestantischen Geist¬
lichen als den Weisen rühmten, weil selbst ihre Schmeichelei nicht wagte, ihn den
Großen zu nennen, galt im Anfänge der neuen Zeit für die größte politische
Kapacität unter den Fürsten. Und wie in der Regel die Nemesis tüchtige
Naturen am stärksten für das Unrecht straft, das sie begangen, so hat sein
Geschlecht und mit seinem Geschlecht das ganze Deutschland schwer da-


hatte Verbindungen genug, um ein richtiges' Bild von dem Charakter
der großen Herren zu erhalten. Und wie unbedeutend einzelne seiner Anek¬
doten sein mögen, sie helfen im Ganzen dazu, Menschen und große Ereignisse
in einem neuen Licht zu zeigen. Das Folgende ist eine getreue Übertragung
seiner Worte in unsere Redeweise, doch mußte aus seinem weitläufigen, oft
durch Mittheilung von Ackerstücken unterbrochenen Bericht Einzelnes aus der
Reihenfolge herausgenommen werden. Nicht Weniges wurde weggelassen, weil
es an dieser Stelle zu verletzend in die Ohren der Leser geklungen hätte.

Vorher einige Bemerkungen. Noch immer fehlt, so scheint uns, den popu¬
lären Geschichtswerken über die Reformationszeit zu sehr das entschlossene Urtheil
über Zustände und Personen. Nur zu lange hat einseitige Benutzung der Quellen,
confessionelle Befangenheit und das kindliche Bedürfniß der Deutschen,zu ver¬
ehren, den Blick des Historikers beschränkt. Selbst in dem geistvollen Ge¬
schichtswerk eines großen Gelehrten vermißt man zuweilen die ehrliche Rück¬
sichtslosigkeit im Verurtheilen, welche die höchste Pflicht des Geschichtschreibers
werden kann. Unter den Ursachen, welche bewirkten, daß dem glänzenden
Sonnenaufgang des 16. Jahrhunderts ein lichtarmer Tag und ein Unheil
verkündender Abend folgte, ist die Kläglichkeit der deutschen Fürsten die vcr-
hängnißvollstc gewesen. Vergebens sucht jetzt unser Blick, wie damals der
des Volkes, nach einer kräftigen Männergestalt, die mehr war als ein rücksichts¬
loser Jäger, ein anspruchsvoller Rvsscbäudiger, im besten, nicht sehr häu¬
figen Falle, ein ehrlicher Hausvater. Der Spanier Karl ist gegenüber den
Repräsentanten des hohen deutschen Adels in der That ein scharfblickender
und großartiger Staatsmann, Prädicate, auf die er in anderer Umgebung nur
bedingten Anspruch hätte. Die deutschen Fürsten standen aber in der Refor¬
mationszeit.in ungünstigeren Verhältniß zu der Bildung und der theoretischen
Sittlichkeit ihrer Zeit, als etwa in der Gegenwart. Die charakteristische»
Fehler und Laster des letzten Mittelalters, rohe Willkür, Völlerei, Mangel an ge¬
schäftlicher und gesellschaftlicher Gewandtheit, vereinigten sich in ihnen mit den
Fehlern der neuern Zeit, Behagen an polizeilichem Despotismus, abschließen¬
dem Kastenstolz, gewissenlosen Jntriguiren und Servilität gegen Stärkere.
Wol hatte Luther Recht, wenn er mehr als einmal in bitteren Schmerz
über die Unwürdigkeit der hohen Häupter klagte, denen der Schutz Deutsch¬
lands oblag, denen auch er mit trüben Ahnungen die Schutzhcrrschaft der neuen
Kirche übergeben hatte. Friedrich von Sachsen, den die protestantischen Geist¬
lichen als den Weisen rühmten, weil selbst ihre Schmeichelei nicht wagte, ihn den
Großen zu nennen, galt im Anfänge der neuen Zeit für die größte politische
Kapacität unter den Fürsten. Und wie in der Regel die Nemesis tüchtige
Naturen am stärksten für das Unrecht straft, das sie begangen, so hat sein
Geschlecht und mit seinem Geschlecht das ganze Deutschland schwer da-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/290>, abgerufen am 15.05.2024.