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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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wirren für unsere Anschauung Fleisch und Blut, wir lernen ihre Motive ver-
sichn und der Zusammenhang der ganzen Tragikomödie tritt lebhast vor unsere
Seele.

Noch ein Wort über das Verhältniß des Herausgebers zu seinem Stoff.
Er hat seine Papiere von der Familie des Grafen Siepers erhalten, das
Buch ist ,,der Frau Geheimräthin Baronin Uexküll, der erlauchten Tochter
des großen Staatsmanns, der würdigen Erbin seines Geistes und seiner Tugen¬
den" gewidmet. Hr. Blum selbst berichtet im Vorwort, er habe sich ein Menschen-
alter in Deutschrußiand ausgehalten, dort die ausgezeichnetsten Ersahrungen
gemacht und Siepers sei immer sein Vorbild gewesen. Es ist also ganz in
der Ordnung, daß Siepers nicht blos als ein großer Staatsmann, sondern
als ein Tugendspiegel im Allgemeinen dargestellt wird. Die Art und Weise,
wie das geschieht, ist von einer wahrhaft bezaubernden Naivetät, und erhöht
um so mehr den Reiz des.Buchs, da die mitgetheilten Actenstücke hinlänglich
dafür sorgen, daß kein Leser, der sich gesunder Augen erfreut, getäuscht wer¬
den kann. Nur eins hätten wir auszusehen: wahrscheinlich um Raum zu
sparen, theilt der Verfasser seine Actenstücke nicht vollständig mit. Er Hütte
statt dessen seine Reflexionen weglassen sollen, da in den Papieren jeder Zug
von Interesse ist.

Siepers, früher einer der bedeutendsten Beamten der großen Katharine,
war in Ungnade gefallen, und lebte seit 10 Jahren in der Verbannung auf
seinein Landgut. Wie das zusammenhängt, ist zwar sehr interessant zu ver¬
folgen, es würde aber hier zu weit führen. Nach dem Tode seines Gegners
Potemtin, den er in seinen Briefen immer als den Fürsten der Hölle bezeich¬
net, erinnerte man sich wieder um ihn und machte ihm Anerbietungen, die er
aber "wegen seiner geschwächten Gesundheit" zurückwies, bis ihm zu Ende
des Jahres t7U2 die Botschafterstelle in Warschau angetragen wurde'. Freu¬
dig ging er darauf ein,,denn er fühlte, daß jetzt die Zeit gekommen sei, sich
einen historischen Namen zu erwerben. Es war der Vorabend der zweiten
Theilung Polens.

Man hatte sich sein Werkzeug mit großer Sorgfalt ausgewählt. Daß
er rücksichtslos war in der Durchführung seiner Befehle, daß er vor keinem
Mittel zurückbebte, sei es Bestechung oder brutale Gewalt, diplomatische Lüge
oder Einschüchterung, dadurch zeichnete er sich vor seinen Collegen nicht aus¬
fallend aus; die Repnin, die Jgc.lström u-. f. w. verstanden das ebenso
gut. Aber er hatte andere sehr erhebliche Vorzüge. Die andern betrachteten
ihr Geschäft, wenn nicht ausschließlich doch in der Hauptsache, als ein Mittel
zu rauben und zu plündern. Siepers nahm zwar auch so viel er konnte,
aber er versäumte darüber weder die Geschäfte noch die Repräsentation seines
Amts, er war in dieser Beziehung von einer Ausdauer und Arbeitskraft ohne


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wirren für unsere Anschauung Fleisch und Blut, wir lernen ihre Motive ver-
sichn und der Zusammenhang der ganzen Tragikomödie tritt lebhast vor unsere
Seele.

Noch ein Wort über das Verhältniß des Herausgebers zu seinem Stoff.
Er hat seine Papiere von der Familie des Grafen Siepers erhalten, das
Buch ist ,,der Frau Geheimräthin Baronin Uexküll, der erlauchten Tochter
des großen Staatsmanns, der würdigen Erbin seines Geistes und seiner Tugen¬
den" gewidmet. Hr. Blum selbst berichtet im Vorwort, er habe sich ein Menschen-
alter in Deutschrußiand ausgehalten, dort die ausgezeichnetsten Ersahrungen
gemacht und Siepers sei immer sein Vorbild gewesen. Es ist also ganz in
der Ordnung, daß Siepers nicht blos als ein großer Staatsmann, sondern
als ein Tugendspiegel im Allgemeinen dargestellt wird. Die Art und Weise,
wie das geschieht, ist von einer wahrhaft bezaubernden Naivetät, und erhöht
um so mehr den Reiz des.Buchs, da die mitgetheilten Actenstücke hinlänglich
dafür sorgen, daß kein Leser, der sich gesunder Augen erfreut, getäuscht wer¬
den kann. Nur eins hätten wir auszusehen: wahrscheinlich um Raum zu
sparen, theilt der Verfasser seine Actenstücke nicht vollständig mit. Er Hütte
statt dessen seine Reflexionen weglassen sollen, da in den Papieren jeder Zug
von Interesse ist.

Siepers, früher einer der bedeutendsten Beamten der großen Katharine,
war in Ungnade gefallen, und lebte seit 10 Jahren in der Verbannung auf
seinein Landgut. Wie das zusammenhängt, ist zwar sehr interessant zu ver¬
folgen, es würde aber hier zu weit führen. Nach dem Tode seines Gegners
Potemtin, den er in seinen Briefen immer als den Fürsten der Hölle bezeich¬
net, erinnerte man sich wieder um ihn und machte ihm Anerbietungen, die er
aber „wegen seiner geschwächten Gesundheit" zurückwies, bis ihm zu Ende
des Jahres t7U2 die Botschafterstelle in Warschau angetragen wurde'. Freu¬
dig ging er darauf ein,,denn er fühlte, daß jetzt die Zeit gekommen sei, sich
einen historischen Namen zu erwerben. Es war der Vorabend der zweiten
Theilung Polens.

Man hatte sich sein Werkzeug mit großer Sorgfalt ausgewählt. Daß
er rücksichtslos war in der Durchführung seiner Befehle, daß er vor keinem
Mittel zurückbebte, sei es Bestechung oder brutale Gewalt, diplomatische Lüge
oder Einschüchterung, dadurch zeichnete er sich vor seinen Collegen nicht aus¬
fallend aus; die Repnin, die Jgc.lström u-. f. w. verstanden das ebenso
gut. Aber er hatte andere sehr erhebliche Vorzüge. Die andern betrachteten
ihr Geschäft, wenn nicht ausschließlich doch in der Hauptsache, als ein Mittel
zu rauben und zu plündern. Siepers nahm zwar auch so viel er konnte,
aber er versäumte darüber weder die Geschäfte noch die Repräsentation seines
Amts, er war in dieser Beziehung von einer Ausdauer und Arbeitskraft ohne


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[0307] wirren für unsere Anschauung Fleisch und Blut, wir lernen ihre Motive ver- sichn und der Zusammenhang der ganzen Tragikomödie tritt lebhast vor unsere Seele. Noch ein Wort über das Verhältniß des Herausgebers zu seinem Stoff. Er hat seine Papiere von der Familie des Grafen Siepers erhalten, das Buch ist ,,der Frau Geheimräthin Baronin Uexküll, der erlauchten Tochter des großen Staatsmanns, der würdigen Erbin seines Geistes und seiner Tugen¬ den" gewidmet. Hr. Blum selbst berichtet im Vorwort, er habe sich ein Menschen- alter in Deutschrußiand ausgehalten, dort die ausgezeichnetsten Ersahrungen gemacht und Siepers sei immer sein Vorbild gewesen. Es ist also ganz in der Ordnung, daß Siepers nicht blos als ein großer Staatsmann, sondern als ein Tugendspiegel im Allgemeinen dargestellt wird. Die Art und Weise, wie das geschieht, ist von einer wahrhaft bezaubernden Naivetät, und erhöht um so mehr den Reiz des.Buchs, da die mitgetheilten Actenstücke hinlänglich dafür sorgen, daß kein Leser, der sich gesunder Augen erfreut, getäuscht wer¬ den kann. Nur eins hätten wir auszusehen: wahrscheinlich um Raum zu sparen, theilt der Verfasser seine Actenstücke nicht vollständig mit. Er Hütte statt dessen seine Reflexionen weglassen sollen, da in den Papieren jeder Zug von Interesse ist. Siepers, früher einer der bedeutendsten Beamten der großen Katharine, war in Ungnade gefallen, und lebte seit 10 Jahren in der Verbannung auf seinein Landgut. Wie das zusammenhängt, ist zwar sehr interessant zu ver¬ folgen, es würde aber hier zu weit führen. Nach dem Tode seines Gegners Potemtin, den er in seinen Briefen immer als den Fürsten der Hölle bezeich¬ net, erinnerte man sich wieder um ihn und machte ihm Anerbietungen, die er aber „wegen seiner geschwächten Gesundheit" zurückwies, bis ihm zu Ende des Jahres t7U2 die Botschafterstelle in Warschau angetragen wurde'. Freu¬ dig ging er darauf ein,,denn er fühlte, daß jetzt die Zeit gekommen sei, sich einen historischen Namen zu erwerben. Es war der Vorabend der zweiten Theilung Polens. Man hatte sich sein Werkzeug mit großer Sorgfalt ausgewählt. Daß er rücksichtslos war in der Durchführung seiner Befehle, daß er vor keinem Mittel zurückbebte, sei es Bestechung oder brutale Gewalt, diplomatische Lüge oder Einschüchterung, dadurch zeichnete er sich vor seinen Collegen nicht aus¬ fallend aus; die Repnin, die Jgc.lström u-. f. w. verstanden das ebenso gut. Aber er hatte andere sehr erhebliche Vorzüge. Die andern betrachteten ihr Geschäft, wenn nicht ausschließlich doch in der Hauptsache, als ein Mittel zu rauben und zu plündern. Siepers nahm zwar auch so viel er konnte, aber er versäumte darüber weder die Geschäfte noch die Repräsentation seines Amts, er war in dieser Beziehung von einer Ausdauer und Arbeitskraft ohne 38 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/307>, abgerufen am 14.05.2024.